Beziehungsgeflechte

Yaara Tal mit einem Programm aus dem Hause Schumann

 

Von Peter Hagmann

 

1839 war für sie ein goldenes, aber auch ein schwieriges Jahr. Clara Wieck und der neun Jahre ältere Robert Schumann hatten versucht, die von Claras Vater hintertriebene Eheschliessung durch einen Gerichtsbeschluss zu erzwingen, worauf eine lange Zeit bangen Wartens folgte. Die Liebe aber, sie war überschäumend – nur: Es gab noch eine andere, es gab noch Julie. Drei Jahre jünger als Robert Schumann, brannte Julie von Webenau ebenfalls für den Komponisten.

Von dem nicht gerade ausbalancierten Dreieck geht die Pianistin Yaara Tal in ihrer jüngsten, wiederum geistreich konzipierten und hochstehend realisierten CD aus. Zwei Fantasiestücke, von Julie Webenau 1839 Schumann gewidmet, eröffnen das Programm. «L’Adieu» und «Le Retour» nennen sie sich, was sofort zu hören und noch leichter zu verstehen ist – Schumann jedenfalls verstand, konnte aber nicht im gewünschten Sinn antworten. Nicht erstrangige, aber doch hübsche Musik ist das. Mutatis mutandis gilt das auch für die drei Romanzen, die im selben Jahr 1839 Clara Wieck als Zwanzigjährige ihrem Bräutigam zugeeignet hat. Anregend, sich in diese Stücke einzuhören und dabei zu erkunden, wo und wie sich die Handschriften von Clara und Robert berühren.

Das gelingt umso besser, als Yaara Tal nicht nur ein sensibles, das Verträumte subtil unterstützendes Rubato einbringt, sondern auch sorgfältig, wenngleich ohne Penetranz, die Strukturen aufscheinen lässt. Das kommt vor allem dem zweiten Teil des CD-Programms zugute. Er gilt Clara Schumann, die drei Jahre nach ihres Gatten Tod als Vierzigjährige, als allseits gefeierte Virtuosin eine Romanze mit Theodor Kirchner durchlebte – und dafür von dem vier Jahre jüngeren Komponisten sein Opus 9, eine Reihe von Präludien, zugeeignet bekam. Im Cantabile der Nummer zehn zeigt Yaara Tal sehr schön die Nähe des Tonfalls zu jenem des jungen Schumann – als ob sich Kirchner ein Stück Identität Schumanns hätte aneignen wollen.

Johannes Brahms, Hausfreunde bei den Schumanns, hatte das nicht nötig. Er blieb sich selber. Ein fescher Kerl, war er dankbar für die grosszügige Förderung durch Robert; ausserdem hatte er nicht wenig übrig für Clara. Von Brahms finden sich auf der CD die Variationen über ein Thema von Robert Schumann für Klavier zu vier Händen op. 23 – ein unerhört animiertes, phantasievolles Werk, das Yaara Tal im Duo mit ihrem Gatten Andreas Groethuysen zu prächtiger, klanglich opulenter Wirkung bringt. Allerdings sind diese Variationen nicht Clara Schumann gewidmet, sondern ihrer Tochter Julie, der Brahms als stiller Verehrer zugetan war.

Als Julie Schumann 1869 heiratete, fungierte Brahms als Trauzeuge – dies mit mässiger Begeisterung. Wie schwer ihn diese Eheschliessung niederdrückte, lässt die Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester hören, die Brahms als Hochzeitsgabe mitbrachte. «Aber abseits wer ist’s? / Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, / Hinter ihm schlagen / Die Sträucher zusammen. / Das Gras steht wieder auf, / Die Öde verschlingt ihn.», heisst es da in den Worten Goethes, und Brahms’ Vertonung unterstreicht es.

Dies düstere Werk, so sehr es der Stimmungslage Brahms’ entsprach, sei kein Brautgeschenk, wendet Yaara Tal im Booklet ein. Weshalb sie das Stück kurzerhand neu setzen liess: für Tenor, Frauenchor und Klavier (wobei die Fassung mit Klavier anstelle des Orchesters von Brahms selbst stammt). Das ist fürwahr frappant, zumal Julian Prégardien mit seiner Tiefe und seinem wunderschönen Non-Vibrato für starken Ausdruck sorgt, während die Damen aus dem Chor des Bayerischen Rundfunks für engelsgleiche Töne sorgen. Die Umkehrung der vom Komponisten geschaffenen Besetzung drängt sich nicht auf, sie stellt jedoch die biographische Situation, der die Alt-Rhapsodie verpflichtet ist, klar heraus. So wie es alle Stücke dieser wunderbaren CD tun.

und Theodor Kirchner sowie von Johannes Brahms die Variationen über ein Thema von Robert Schumann für Klavier op. 23 zu vier Händen und Rhapsodie op. 53. Yaara Tal (Klavier), Andreas Groethuysen (Klavier), Julian Prégardien (Tenor), Chor des Bayerischen Rundfunks (Yuval Weinberg, Leitung). Sony 19075963082 (1 CD, Aufnahme 2018/19).

Ohrenspitzer für Schumann

Ein CD-Projekt mit der Geigerin Isabelle Faust und ihren Freunden

 

Von Peter Hagmann

 

Die Idee, während einer Tournee entstanden, ist so bestechend wie einfach. Die drei Klaviertrios von Robert Schumann sollten zusammenkommen mit den drei Solokonzerten des Komponisten für die Instrumente, die ein Klaviertrio bilden – alles Werke aus der Dresdener Zeit der Schumanns und aus den ersten Jahren in Düsseldorf. Bemerkenswert daran ist zunächst die Tatsache, dass sich das lange Zeit als minder gelungen abgewertete Violinkonzert wie das als Spätwerk ebenfalls nicht sehr geschätzte Konzert für Violoncello und Orchester auf ein und dieselbe Ebene gehoben sehen wie das berühmt gewordene Klavierkonzert. Auffällig ist aber auch das Ausmass an kompositorischer Kreativität, das hier innerhalb eines vergleichsweise eng abgesteckten Rahmens zum Ausdruck kommt.

Unterstützt wird das durch die spezielle interpretatorische Anlage. Musiziert wird im Geist der historisch informierten Aufführungspraxis. Isabelle Faust spielt nicht die moderne Geige, die sie gewöhnlich zur Hand hat, sondern die Stradivari «La Belle au bois dormant» von 1704, die ihr von der Landesbank Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt worden ist. Auch Jean-Guihen Queyras benützt ein altes Instrument, ein Violoncello von Gioffredo Cappa 1696 aus dem Besitz der Société Générale. Während sich Alexander Melnikov für das Klavierkonzert an einen Erard-Flügel von 1837, für die Trios dagegen an ein Hammerklavier der Wiener Werkstatt von Johann Baptist Streicher aus dem Jahre 1847 setzt – an zwei Instrumente aus der Sammlung von Edwin Beunk. Und für die Begleitung in den drei Instrumentalkonzerten sorgt das Freiburger Barockorchester unter der Leitung von Pablo Heras Casado, einem jener Musiker jüngerer Generation, die sich in der historischen Praxis ebenso auskennen wie in der Moderne.

Gespielt wird auf dem gewohnten Stimmton von 440 Hertz für das eingestrichene a, also nicht zirka einen Halbton tiefer, auf 432 Hertz, wie es sonst bei der Verwendung von Darmsaiten auf den Streichinstrumenten üblich ist. Keines der drei Soloinstrumente klingt durch den höheren Stimmton eingeengt wie beim Zürcher Auftritt John Eliot Gardiners und seiner Kräfte vor einigen Monaten. Im Gegenteil, in den wie stets exzellenten Aufnahmen durch das Berliner Studio Teldex kommt die klangliche Schönheit uneingeschränkt zur Geltung. Dazu gesellen sich atmende Phrasierung, vielgestaltige Artikulation und, bei den Streichern, der bewusste Einsatz des Vibratos als Verzierung – das alles mit Blick auf einen möglichst weiten Radius des musikalischen Erlebens. Nicht zuletzt setzen alle beteiligten Musiker auf feuriges Temperament. Beim Orchester kann das auch zu befremdlichen Ausbrüchen führen, etwa im Klavierkonzert, wo am Schluss des ersten Satzes das in der Partitur vermerkte Crescendo zu einer förmlichen Explosion der Pauke führt.

Man nimmt es hin, weil Pablo Heras-Casado das Freiburger Barockorchester zu einer Präsenz anhält, die den Orchesterklang weit über die reine Begleitfunktion hinaushebt. Im Kopfsatz des Geigenkonzerts bilden die Achteltriolen der zweiten Geigen und der Bratschen eine vor Spannung bebende Grundlage, auf der die ohne Vibrato gespielten Halben einen Zug sondergleichen erzielen und die darauf folgenden Läufe wie aus einer Quelle herausschiessen. Isabelle Faust bewegt sich auf der nämlichen Ebene der Gestaltung. Sie prunkt nicht, sie arbeitet vielmehr mit äusserster Sorgfalt und erzeugt damit ein Geschehen, das von reichen Beleuchtungswechseln lebt – Schumanns Violinkonzert ist nun definitiv rehabilitiert. Ihre Partner stehen dem in keiner Weise nach nach. Alexander Melnikov bietet eine extravertierte, sich aber nirgends mit leeren Gesten in den Vordergrund drängende Auslegung des Klavierkonzerts, und Jean-Guihen Queyras arbeitet mit glühender, obertonreicher Kantabilität. Zu dritt fügen sich die Freunde um Isabelle Faust zu einem Trio, das hören lässt, was Kammermusik im besten aller Fälle sein kann.

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Robert Schumann mit Isabelle Faust (Violine), Jean-Guihen Queyras (Violoncello) und Alexander Melnikov (Fortepiano) sowie dem Freiburger Barockorchester und Pablo Heras-Casado (Leitung) bei Harmonia mundi. – Vol.  1: Violinkonzert in d-moll WoO 1 (1853), Klaviertrio Nr. 3 in g-moll op. 110 (1851). HMC 902196. – Vol. 2: Klavierkonzert in a-moll op. 54 (1845), Klaviertrio Nr. 2 in F-dur op. 80 (1847). HMC 902198. – Vol. 3: Cellokonzert in a-moll op. 129 (1850), Klaviertrio Nr. 1 in d-moll op. 63 (1847). HMC 902197.

Am kommenden Sonntag, 26. März 2017, treten Isabelle Faust und das Freiburger Barockorchester mit Pablo Heras-Casado bei der Neuen Konzertreihe in der Tonhalle Zürich auf. Auf dem Programm stehen Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy: neben der «Hebriden»-Ouvertüre und der «Reformations-Symphonie» das Violinkonzert.

Schumann mit Holliger

 

Peter Hagmann

Ein Fall für die ideale Diskothek

Die Orchestermusik Robert Schumanns in Aufnahmen mit dem Dirigenten Heinz Holliger

 

Eines der ersten Konzerte, das Heinz Holliger nach seinem Debüt am Pult des Basler Kammerorchesters im Jahre 1976 dirigierte, galt Robert Schumanns «Manfred». Unvergessen, wie Holliger, als Dirigent damals noch wenig erfahren, an diesem Abend im November 1977 den schwierigen Anfang der Ouvertüre nahm. Heftig schlug er die auf der Eins des Eröffnungstaktes stehende Achtelpause, stürmisch folgten darauf die drei synkopisch gesetzten Doppelachtel – dergestalt, dass im Publikum manch einen der Schreck packte. Wild wirkten die Kontraste, nicht weniger gezackt als die genuin aus dem Inneren kommende, technisch aber in jeder Hinsicht unkonventionelle Schlagtechnik Holligers. Lang ist das her.

Inzwischen hat Holliger, der als sagenhaft begabter Oboist rasch berühmt wurde und bald auch als Komponist von sich reden machte, fast vierzig Jahre mit den verschiedensten Orchestern gearbeitet. Viel Erfahrung hat sich da akkumuliert, und sie paart sich mit seiner einzigartigen Musikalität. Genau davon lebt die Gesamtaufnahme der Sinfonischen Werke Robert Schumanns, die Holliger zusammen mit dem WDR-Sinfonieorchester Köln und Instrumentalsolisten seiner Wahl für das Label Audite erstellt und jetzt mit dem sechsten und letzten Teil abgeschlossen hat. Wer wissen möchte, wie Schumann im besten Fall klingen kann, wird um diese sechs Compact Discs nicht herumkommen.

Zum Beispiel lässt sich anhand dieser Aufnahmen das berühmt-berüchtigte Klischee berichtigen, dass Schumann eben nicht zu instrumentieren verstanden habe. Wenn man so intensiv in die Musik dieses Grenzgängers hineinhört, wie es Heinz Holliger tut, sind solche Vorstellungen sogleich ausser Kraft gesetzt. Das umso mehr, als das WDR-Sinfonieorchester Köln in diesen Studioaufnahmen aus der Kölner Philharmonie seinem Gastdirigenten aus der Schweiz ohne Wenn und Aber folgt. So kann Holliger voll auf den warmen, sinnlichen Klang des Orchesters setzen und ihn für seine geschmeidig durchgeatmeten, leuchtend transparenten Auslegungen nutzen.

«Manfred», die Ouvertüre zum Dramatischen Gedicht von Lord Byron, zeigt die Vorteile exemplarisch. Der rasche Einstieg klingt noch immer wie der Ausbruch von 1977, ist aber nun sorgsam kontrolliert und eingebettet in den Kontext, der sich im darauf folgenden langsamen Teil ausfaltet. Und grossartig ausfaltet, denn die klanglichen Gewichte sind optimal verteilt, die Ersten Geigen steigen ganz leicht und nur sparsam vibrierend in die Höhe, das Blech fügt sich markant, aber nicht dominant ins Geschehen ein – ganz von selbst entsteht so untergründige Spannung. Wie die Tempi logisch und als Spiegel der Textvorlage aufeinander bezogen sind, wie gewisse Motive Anlauf nehmen, wie die einzelnen Instrumentalgruppen ihre Vorzüge einbringen, das alles macht aus dieser Ouvertüre ein Sinfonisches Vorspiel.

Womit Teil 6 dieses Kölner Schumann-Projekts auf hohem Niveau eröffnet ist. Und wie es bei Holliger gern der Fall ist, kommt es danach gleich zu einer Überraschung, denn auf die späte «Manfred»-Ouvertüre folgen die beiden vollendeten Sätze der ganz frühen «Zwickauer» Sinfonie von 1833, die keineswegs Unbeholfenheit, sondern ganz erstaunliche Anlagen zeigen – Holliger zollt diesem Fragment Respekt durch eine äusserst einfühlsame Interpretation. Auch jenseits dessen warten die Aufnahmen mit manch ungewohnter Erfahrung auf. Die vierte Sinfonie, d-moll, lässt sich in der gewohnten Version von 1851 wie in der kaum je gespielten Erstfassung von 1841 hören. Ins ebenfalls späte, lange Zeit verkannte Violinkonzert stiegt Patricia Kopatchinskaja mit geradezu erschreckender Verve ein, während Dénes Várjon im Klavierkonzert vorführt, was behende Leichtfüssigkeit diesem früher gern hingedonnerten Werk beibringt. Viel zu hören gibt es da, viel zu entdecken und zu staunen.

Robert Schumann: Die Sinfonischen Werke. WDR-Sinfonieorchester Köln, Heinz Holliger (Dirigent). Audite (6 CD) // I: Sinfonie Nr. 1. Ouvertüre, Scherzo und Finale. Sinfonie Nr. 4 (Frühfassung) // II: Sinfonien Nr. 2 und 3 // III: Konzert für Violoncello und Orchester. Sinfonie Nr. 4 (Spätfassung). Mit Oren Shevlin  // IV: Konzert für Violine und Orchester. Konzert für Klavier und Orchester. Mit Patricia Kopatchinskaja und Dénes Várion  // V: Konzertstück für Klavier und Orchester d-moll op. 134. Fantasie für Violine und Orchester. Konzertstück für Klavier und Orchester G-dur op. 92. Konzertstück für vier Hörner und Orchester. Mit Patricia Kopatchinskaja und Alexander Lonquich  // VI: Ouvertüre zu «Manfred». «Zwickauer» Sinfonie. Ouvertüre zu «Szenen aus Goethes Faust». Ouvertüre zu Goethes «Hermann und Dorothea». Ouvertüre zu «Genoveva». Ouvertüre zu Schillers «Graut von Messina». Ouvertüre zu Shakespeares «Julius Caesar»