Wenn alles stimmt

Kammermusik – mit Isabelle Faust und ihren Freunden oder mit dem Chiaroscuro Quartet

 

Von Peter Hagmann

 

Von Robert Schumanns vergleichsweise selten gespieltem Klavierquartett in Es-Dur op. 47 gibt es eine Aufnahme, die längst Kultstatus erlangt hat. 1968 entstanden, brachte sie den Pianisten Glenn Gould mit dem Juilliard String Quartet aus New York zusammen. Von der Exzentrik Goulds ist hier nichts hören, wohl aber von seiner Genauigkeit in der Lektüre des Notentextes. Vor allem aber lebt die Aufnahme von einer musikalischen Erfüllung, wie sie nur ganz selten gelingt. Und da sie sich in der solistisch gebauten Besetzung der Kammermusik ereignet, kommt sie zu besonders intensiver Wirkung: als ein veritables Non-plus-ultra.

Inzwischen, mehr als ein halbes Jahrhundert später, hat diese Sternstunde im Zeichen Schumanns ein Geschwister bekommen. Im Fokus steht wiederum das Klavierquartett von 1842, hier nun aber vorgestellt von Isabelle Faust, Antoine Tamestit, Jean-Guihen Queyras und Alexander Melnikov. Wer sich an das sensationelle Konzert dieses aus hochkarätigen Solisten zusammengesetzten, durch den Hornisten Johannes Hinterholzer ergänzten Ensembles mit Musik von György Ligeti und Johannes Brahms bei den Salzburger Festspielen dieses Sommers erinnert (vgl. «Mittwochs um zwölf» vom 16.08.23), wird sogleich erahnen, von welchem künstlerischen Geist die neue Schumann-Aufnahme durchdrungen ist.

Geprägt wird dieser Geist nicht zuletzt durch die Tatsache, dass die vier Ensemblemitglieder allesamt adäquate Instrumente verwenden. Lange Zeit war das jenseits der Zirkel der historisch informierten Aufführungspraxis verpönt; inzwischen hat sogar der Pianist András Schiff, in dieser Hinsicht ursprünglich skeptisch eingestellt, eine Kehrtwende vollzogen und den Reiz der Instrumente aus der Entstehungszeit der Kompositionen für sich entdeckt. So spielt denn Isabelle Faust die «Sleeping Beauty», eine Geige aus dem Atelier Antonio Stradivaris von 1704, während Antoine Tamestit eine ebenfalls von Stradivari erbaute Bratsche von 1672 zur Verfügung steht; Jean-Guihen Queyras wiederum verwendet ein Cello von Gioffredo Cappa aus dem Jahre 1696, wogegen Alexander Melnikov einen aus Paris stammenden Pleyel-Flügel von 1851 bedient. Über die Bögen und die Saiten schweigt sich das Booklet leider aus. Wie auch immer: Alle vier Instrumente klingen fabelhaft.

Das ist nicht nur eine Frage der Bauart, sondern auch eine solche der Spielweise. Nirgends herrscht in dieser Aufnahme der Druck, der auch bei Kammermusik noch so oft gepflegt wird; Schumanns Stück kommt vielmehr in entspannter, ruhig ausschwingender Kantabilität und in einer geradezu selbstverständlich wirkenden Gemeinsamkeit des Musizierens daher. Die melodischen Verläufe zeigen Profil, weil die Streicher, anders als noch in der Einspielung mit dem Juilliard Quartet, ebenso differenziert wie unangestrengt mit dem Vibrato umgehen. Und der Gesamtklang lebt von farbenreicher Sonorität; in aller Sinnlichkeit hebt er den latenten Zug des Stücks hin zum Orchestralen ans Licht. Und natürlich wird auch hier das Andante cantabile des dritten Satzes zum Höhepunkt. Das alles gelingt in einem Miteinander, das einerseits letzte Feinabstimmung der Balance ermöglicht und ein beglückendes Mass an Transparenz erzeugt, das andererseits den vier Partnern aber auch den Freiraum für individuelles Ausgestalten eröffnet – für Randbemerkungen sozusagen. Daraus ergibt sich dann eben jenes «Gespräch unter vier vernünftigen Leuten», das die Kammermusik bietet – und eben nur die Kammermusik.

Dem «Gespräch unter vier vernünftigen Leuten» ist auch das Chiaroscuro Quartet auf der Spur – nur kommt es sozusagen von der anderen Seite her zu seinen Denkanstössen. Auch das echt europäisch zusammengesetzte Ensemble spielt auf alten Instrumenten: Alina Ibraginova auf einer Geige von Andrea Amati aus dem Jahre 1570, der Zweite Geiger Pablo Hernán Benedí auf einem Instrument von Nicolò Amati von 1675, Emilie Hörnlund auf einer Willems-Bratsche von zirka 1700 und Claire Thirion auf einem von Carlo Tononi 1720 erbauten Cello. Und mehr noch, konsequent und offen deklariert greift das Ensemble auf Darmsaiten und klassische Bögen zurück. Das allein führt zu einem ganz anderen, einem helleren, leichteren, etwas gläsernen Klang, der seine besondere Stärke im Leisen hat, ohne dass das Kraftvolle zahnlos wirkte. Für das versponnene, voller Haken und Fallen steckende «Harfenquartett», das Streichquartett Nr. 10 in Es-Dur op. 97 Ludwig van Beethovens, genau das Richtige.

Denn zu den Instrumenten kommt eine Spielweise, die sich klar an jenen in der alten Musik entwickelten Gepflogenheiten orientiert, die zur Zeit Beethovens noch gegenwärtig waren. Mit aller Sorgfalt steigt das Chiaroscuro Quartet in den Kopfsatz des «Harfenquartetts» ein. Das Poco Adagio der Einleitung nehmen die Vier mit dem Halbdunkel in ihrem Namen flüssig, für das Allegro des Hauptteils bleiben sie dann im Schlag – was dazu führt, dass Viertel und Achtel kein Problem machen, die Sechzehntel dagegen so schnell werden, dass sie sich bestenfalls als Diminutionen im Geist der Renaissance-Musik erkennen lassen. Das entspricht einer in der Interpretation der klassischen Musik derzeit wieder grassierenden Mode. «Noch schneller als möglich»: Igor Levit trieb es in seiner Auslegung der Klaviersonaten Beethovens auf die Spitze, der Pianist und Dirigent Kristian Bezuidenhout liebt es, und eben auch das Chiaroscuro Quartet. Virtuosität und interpretatorische Absicht in Ehren; wenn am Ende jedoch Defizite greifbar werden, ist ein Moment des Innehaltens vielleicht doch angebracht.

Angesichts des rasenden Presto des dritten Satzes mag man sich verwundert die Ohren reiben. Erst recht nach einer kurzen Begegnung mit einer Deutung nach hergebrachter Art, etwa einer des Alban Berg-Quartetts.  Wer dennoch offen bleibt, wird freilich bald feststellen, wie treffend das Tempo den Charakter des wunderlichen Satzes spiegelt. Sie gehen eben gern an die Grenzen, Alina Ibragimova, die auch hier eindeutig führt, und ihr Team, in dem Claire Thirion denen Gegenpart wahrnimmt. Ein so leises, dazu ohne jedes Vibrato verwirklichtes Pianopianissimo, wie es im Kopfsatz zur Reprise führt, verdient alle Achtung. Und so feingliedrige, gefühlvolle, unkitschige Dialoge, wie sie der zweite Satz exponiert, sie stehen für ganz grosse Kunst des Quartettspiels wie für dessen bedeutende Innovation. Luft nach oben gibt es beim Chiaroscuro Quartet im sprechenden Ausdruck, namentlich in der Differenzierung wiederholter Passagen. Das Potential wäre da, der Eingang zum Finale erweist es.

Wer das Klavierquartett Schumanns live hören möchte: Isabelle Faust, Anne Katharina Schreiber, Antoine Tamestit, Jean-Guihen Queyras und Alexander Melnikov kommen übermorgen Freitag, 3. November 2023, zur Neuen Konzertreihe Jürg Hochulis in die Grosse Tonhalle am See. Gespielt werden ausschliesslich Werke von Robert Schumann: neben dem Klavierquartett und dem Klavierquintett das Streichquartett Nr. 1 in a-Moll aus op. 41.

Robert Schumann: Klavierquartett in Es-Dur op. 47 und Klavierquintett in Es-Dur op. 44. Isabelle Faust und Anne Katharina Schreiber (Violinen), Antoine Tamestit (Viola), Jean-Guihen Queyras (Violoncello), Alexander Melnikov (Klavier). Harmonia mundi 902695 (CD, Aufnahme 2021, Publikation 2023). Auf CD sind die Aufnahmen ab 24. November 2023 erhältlich.

Ludwig van Beethoven: Streichquartette Nr. 10 in Es-Dur op. 74 (Harfenquartett) und Nr. 13 in B-Dur op. 130. Chiaroscuro Quartet: Alina Ibragimova und Pablo Hernán Benedí (Violinen), Emilie Hörnlund (Viola), Claire Thirion (Violoncello). BIS-2668 (SACD, Aufnahme 2022, Publikation 2023).

Die Cellosonaten von Brahms in neuem Ton

Ein Abend mit Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud in La Chaux-de-Fonds

Von Peter Hagmann

 

«Quelle salle, mais quelle salle», rief der Cellist Jean-Guihen Queyras seinen Zuhörern zu, bevor er ihnen eine erste Zugabe ankündigte. Dem kann man sich vorbehaltlos anschliessen: Die Salle de musique von La Chaux-de-Fonds gehört zu den besten Konzertorten dieses Landes und weit darüber hinaus – zumal jetzt auch das im Haus gelegene Restaurant wieder offen ist und niemand mit knurrendem Magen auffallen muss. Schon das Entrée, Moderne im Geist der 1950er Jahre, erregt Aufmerksamkeit und erzeugt Wohlgefallen. Wer in den ersten Stock gelangt, wird ins Foyer eingeladen – das nun allerdings nicht Teil des Musiksaals bildet, sondern zu dem gleich daneben gelegenen Theater von 1837 gehört, das ebenso renoviert und im Originalzustand erhalten ist wie die Salle de musique. Dieser Konzertsaal – mit seinen 1200 Plätzen etwas kleiner als der Musiksaal im Basler Stadtcasino und der Grosse Saal in der Tonhalle Zürich, für eine Stadt wie La Chaux-de-Fonds mit ihren knapp 40’000 Einwohnern aber sehr gross – ist ganz in einem dunklen, nirgends vernagelten, nur geleimten Holz gehalten und bietet eine Akustik, die in ihrer Weite und gleichzeitig ihrer Präsenz tatsächlich ihresgleichen sucht.

Kein Wunder, trafen sich in La Chaux-de-Fonds die Besten der Besten. Sie taten es in den Konzerten der Société de musique, die 1893 gegründet wurde, in diesem Jahr also auf 125 Jahre des Bestehens zurückblicken kann und das mit einer kleinen, edlen Festschrift getan hat. Camille Saint-Saëns, Eugène Ysaïe, Pablo Casals, Fritz Kreisler, Ferruccio Busoni, Artur Rubinstein, Wilhelm Backhaus, Dinu Lipatti, Elisabeth Schwarzkopf waren unter jenen, die schon vor der Eröffnung der Salle de musique 1955 nach La Chaux-de-Fonds gekommen sind. Ihnen schlossen sich Mstislav Rostropowitsch, Arturo Benedetti Michelangeli, Yvonne Loriod und Olivier Messiaen, später Radu Lupu, Emmanuel Pahud, die Gebrüder  Capuçon oder Grigory Sokolov an. Nicht zu vergessen, dass die Salle de musique Ort legendärer Schallplattenaufnahmen war. Claudio Abbado hat an diesem Ort mit Viktoria Mullova zusammengearbeitet, der Pianist Andreas Haefliger hat viele seiner Beethoven-Aufnahmen hier gemacht. Und wenn sich die sogenannten Majors inzwischen aus dem Markt verabschiedet haben, sind es heute die kleineren Labels, die trotz angeblicher Krise des CD-Marktes munter Einspielungen erstellen und dafür nach wie vor gern die Salle de musique in der jurassische Uhrenmetropole aufsuchen.

Jetzt war die Reihe an dem jungen französischen Cellisten Jean-Guihen Queyras und seinem Landsmann Alexandre Tharaud am Klavier. Sie spielten die beiden Sonaten für Klavier und Violoncello von Johannes Brahms – und fingen einigermassen schwach an mit Johann Sebastian Bachs Gambensonate in D-dur BWV 1028. Queyras artikulierte lebendig und vielgestaltig, aber Tharaud blieb ein Schatten seiner selbst. In der edlen Absicht, den Cellisten nicht zu bedrängen, verzog er sich in ein gehauchtes Pianissimo, was dazu führte, dass der Bass nicht zum Fundament werden konnte und das Konzertieren der Oberstimme unterbelichtet blieb – dass in dieser Sonate ein Trio mit Solostimme, Bass und rechter Hand entsteht, war nicht zu hören. Überdies offenbarte der Pianist einen Hang zum Nähmaschinen-Barock, der doch wohl endgültig überwunden ist. Wesentlich besser geriet die zweite Ergänzung mit den vier Stücken für Klarinette und Klavier (in der Version für Violoncello und Klavier) op. 5 von Alban Berg. Der lyrische Grundzug des ersten Stücks, der depressive Charakter des zweiten, die Webern-Nähe des vorbeihuschenden dritten und die explosive Expressivität des vierten mit seinem gewaltigen Schluss-Cluster – all das klang grossartig und in vollendeter Balance, dies bei ganz geöffnetem Flügel.

Auch bei Brahms blieb das Klavier merklich unterbelichtet, wenigstens bei der zweiten der beiden Sonaten, die Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud als erste präsentierten. Es widersprach dem von Brahms formulierten Titel, in dem die Sonaten als Werke für Klavier und Violoncello benannt werden; um Cellostücke mit Klavierbegleitung – das suggerierte leider auch der Programmzettel der Société de musique – handelt es sich hier gerade nicht, die beiden Partner sollen jederzeit auf Augenhöhe agieren. Indes wird das klangliche Ungleichgewicht auf die abendliche Performance zurückzuführen sein, denn bei der inzwischen von Erato/Warner publizierten CD-Aufnahme tritt das Problem nicht auf; und selbst wenn da der Tonmeister nachgeholfen hat, kann man davon ausgehen, dass die beiden Musiker das Resultat abgesegnet haben, mit dem Klangbild also einverstanden waren.

Wichtiger als das Problem der Balance – das sich später bei der Wiedergabe der ersten Sonate deutlich relativiert hat – erscheint indessen der Umstand, dass sich in den Auftritten der beiden Musiker aus Frankreich jenes neue Brahms-Bild offenbart, das sich zunehmend verbreitet. Wer in Aufnahmen aus früheren Zeiten hineinhört, mit Grössen wie Jacqueline du Pré, Mstislav Rostropowitsch oder Mischa Maisky, wird sogleich feststellen, dass der fleischige, von heftigem (und durchgehendem) Vibrato getragene Brahms-Ton bei Jean-Guihen Queyras abgelöst ist durch eine Bogenführung ohne Druck, durch Vielfalt der Artikulation und effektvolle Differenzierung des Vibratos, während Tharaud das kontrapunktische Moment in seinem Part mit aller Sorgfalt, auch aller Lust herausstellt. Es herrscht hier jener eher helle, transparente Ton, den Brahms selbst geschätzt hat, wie ein lobender Satz des Komponisten an die Adresse des Dirigenten Felix Weingartner überliefert. Zu hören war es in La Chaux-de-Fonds, hart an der Schweizer Landesgrenze. Die Reise dorthin lohnt sich allemal.

Johannes Brahms: Sonaten für Klavier und Violoncello Nr. 1 in e-moll op. 38 und Nr. 2 in F-dur op. 99, Ungarische Tänze. Jean-Guihen Queyras (Violoncello) und Alexandre Tharaud (Klavier). Erato 019029573934 (1 CD, aufgenommen 2017).

Ohrenspitzer für Schumann

Ein CD-Projekt mit der Geigerin Isabelle Faust und ihren Freunden

 

Von Peter Hagmann

 

Die Idee, während einer Tournee entstanden, ist so bestechend wie einfach. Die drei Klaviertrios von Robert Schumann sollten zusammenkommen mit den drei Solokonzerten des Komponisten für die Instrumente, die ein Klaviertrio bilden – alles Werke aus der Dresdener Zeit der Schumanns und aus den ersten Jahren in Düsseldorf. Bemerkenswert daran ist zunächst die Tatsache, dass sich das lange Zeit als minder gelungen abgewertete Violinkonzert wie das als Spätwerk ebenfalls nicht sehr geschätzte Konzert für Violoncello und Orchester auf ein und dieselbe Ebene gehoben sehen wie das berühmt gewordene Klavierkonzert. Auffällig ist aber auch das Ausmass an kompositorischer Kreativität, das hier innerhalb eines vergleichsweise eng abgesteckten Rahmens zum Ausdruck kommt.

Unterstützt wird das durch die spezielle interpretatorische Anlage. Musiziert wird im Geist der historisch informierten Aufführungspraxis. Isabelle Faust spielt nicht die moderne Geige, die sie gewöhnlich zur Hand hat, sondern die Stradivari «La Belle au bois dormant» von 1704, die ihr von der Landesbank Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt worden ist. Auch Jean-Guihen Queyras benützt ein altes Instrument, ein Violoncello von Gioffredo Cappa 1696 aus dem Besitz der Société Générale. Während sich Alexander Melnikov für das Klavierkonzert an einen Erard-Flügel von 1837, für die Trios dagegen an ein Hammerklavier der Wiener Werkstatt von Johann Baptist Streicher aus dem Jahre 1847 setzt – an zwei Instrumente aus der Sammlung von Edwin Beunk. Und für die Begleitung in den drei Instrumentalkonzerten sorgt das Freiburger Barockorchester unter der Leitung von Pablo Heras Casado, einem jener Musiker jüngerer Generation, die sich in der historischen Praxis ebenso auskennen wie in der Moderne.

Gespielt wird auf dem gewohnten Stimmton von 440 Hertz für das eingestrichene a, also nicht zirka einen Halbton tiefer, auf 432 Hertz, wie es sonst bei der Verwendung von Darmsaiten auf den Streichinstrumenten üblich ist. Keines der drei Soloinstrumente klingt durch den höheren Stimmton eingeengt wie beim Zürcher Auftritt John Eliot Gardiners und seiner Kräfte vor einigen Monaten. Im Gegenteil, in den wie stets exzellenten Aufnahmen durch das Berliner Studio Teldex kommt die klangliche Schönheit uneingeschränkt zur Geltung. Dazu gesellen sich atmende Phrasierung, vielgestaltige Artikulation und, bei den Streichern, der bewusste Einsatz des Vibratos als Verzierung – das alles mit Blick auf einen möglichst weiten Radius des musikalischen Erlebens. Nicht zuletzt setzen alle beteiligten Musiker auf feuriges Temperament. Beim Orchester kann das auch zu befremdlichen Ausbrüchen führen, etwa im Klavierkonzert, wo am Schluss des ersten Satzes das in der Partitur vermerkte Crescendo zu einer förmlichen Explosion der Pauke führt.

Man nimmt es hin, weil Pablo Heras-Casado das Freiburger Barockorchester zu einer Präsenz anhält, die den Orchesterklang weit über die reine Begleitfunktion hinaushebt. Im Kopfsatz des Geigenkonzerts bilden die Achteltriolen der zweiten Geigen und der Bratschen eine vor Spannung bebende Grundlage, auf der die ohne Vibrato gespielten Halben einen Zug sondergleichen erzielen und die darauf folgenden Läufe wie aus einer Quelle herausschiessen. Isabelle Faust bewegt sich auf der nämlichen Ebene der Gestaltung. Sie prunkt nicht, sie arbeitet vielmehr mit äusserster Sorgfalt und erzeugt damit ein Geschehen, das von reichen Beleuchtungswechseln lebt – Schumanns Violinkonzert ist nun definitiv rehabilitiert. Ihre Partner stehen dem in keiner Weise nach nach. Alexander Melnikov bietet eine extravertierte, sich aber nirgends mit leeren Gesten in den Vordergrund drängende Auslegung des Klavierkonzerts, und Jean-Guihen Queyras arbeitet mit glühender, obertonreicher Kantabilität. Zu dritt fügen sich die Freunde um Isabelle Faust zu einem Trio, das hören lässt, was Kammermusik im besten aller Fälle sein kann.

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Robert Schumann mit Isabelle Faust (Violine), Jean-Guihen Queyras (Violoncello) und Alexander Melnikov (Fortepiano) sowie dem Freiburger Barockorchester und Pablo Heras-Casado (Leitung) bei Harmonia mundi. – Vol.  1: Violinkonzert in d-moll WoO 1 (1853), Klaviertrio Nr. 3 in g-moll op. 110 (1851). HMC 902196. – Vol. 2: Klavierkonzert in a-moll op. 54 (1845), Klaviertrio Nr. 2 in F-dur op. 80 (1847). HMC 902198. – Vol. 3: Cellokonzert in a-moll op. 129 (1850), Klaviertrio Nr. 1 in d-moll op. 63 (1847). HMC 902197.

Am kommenden Sonntag, 26. März 2017, treten Isabelle Faust und das Freiburger Barockorchester mit Pablo Heras-Casado bei der Neuen Konzertreihe in der Tonhalle Zürich auf. Auf dem Programm stehen Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy: neben der «Hebriden»-Ouvertüre und der «Reformations-Symphonie» das Violinkonzert.