Wagners «Ring» nach Basler Art

Von Peter Hagmann

 

Brünnhilde (Trine Møller) klärt Sieglinde (Theresa Kronthaler) auf, Siegfried, noch ungeboren, aber anwesend, hört zu: «Die Walküre» im neuen Basler «Ring des Nibelungen / Bild Ingo Höhn, Theater Basel»

Nun hat der «Ring» auch Basel ergriffen – und wie. Anders als in Bern und Zürich, wo die Nibelungen seit der Spielzeit 2021/22 ihr Unwesen treiben, wird Richard Wagners Tetralogie am Theater Basel nicht einfach an und für sich gezeigt – was nach den gescheiterten Annäherungen im frühen und im späten 20. Jahrhundert für ausreichend Sensation gesorgt hätte. Nein, am Rheinknie erscheint der «Ring» eingebettet in ein Festival, das die Geschichte in einem Vorabend und drei Tagen sinnlich oder kritisch begleitet. Das greift freilich etwas hoch. Unter dem Titel «Rheinklang» gibt es vor den Aufführungen von «Rheingold» auf dem Theaterplatz ein «Chorritual» des Briten Matthew Herbert, das den Fluss, in dem das Gold lagert, zu den wartenden Zuschauern und den vorbeigehenden Passanten bringt.

Vor der grossen Treppe stehen fünf Schalen mit den brennenden Scheiten aus der «Götterdämmerung», vor einem Mikrophon finden sich schwarz gekleidete Sängerinnen und Sänger ein, die den Ton Es aus dem Vorspiel zu «Rheingold» intonieren; in der Folge schliessen sich ihnen Mitglieder aus dem Chor und dem Extrachor des Theater Basel an, die, in einer langen Kolonne die Feuerschalen umkreisen und ebenfalls das Es, bisweilen auch das dazugehörige B intonieren. Immer enger werden die Kreise, bis schliesslich alle das Wasser aus ihren mitgebrachten Gefässen über die starken Scheite in den Schalen giessen und eine dichte Rauchwolke aufsteigt. Eine Kürzestfassung der Tetralogie, die zwar Zusammenhänge schafft, in ihrem latenten Jekami-Charakter aber nicht mehr als nette Stimmung erzeugt, jedenfalls wirklich Substanzielles beisteuert.

Drinnen im Haus geht dann aber die Post ab – am einen Abend mit «Rheingold», am zweiten mit der «Walküre» (die Teile drei und vier folgen in der kommenden Spielzeit). Was hier sogleich ins Auge fällt, ist der bis auf einen kleinen Schlitz geschlossene Orchestergraben – ganz nach der Art des Bayreuther Festspielhauses. Das Sinfonieorchester Basel sitzt in grosser Formation nicht nur im Graben, sondern auch in der sogenannten Garage, einem Raum, der sich hinter dem Graben weit unter die Bühne erstreckt. Dort, wo sonst Bretter die Welt bedeuten, ist ein schwarzes Gitter eingefügt, durch das der instrumentale Klang in den Zuschauerraum findet. Die Kommunikation zwischen dem orchestralen Nibelheim und der Bühne wird mit Hilfe von Bildschirmen erzeugt. Unerhört voll und fasslich klingt das Orchester für den Zuhörer in der vierten Reihe; später, auf einem Platz hinten auf der Estrade, ändert sich wenig an diesem Eindruck. Saft und Kraft in aller Schönheit erzeugen die Streicher, aber auch die Hörner, während die solistisch hervortretenden Bläser, namentlich das Englischhorn, farbig schimmernde Linien aufscheinen lassen.

Das alles geschieht unter der Leitung von Jonathan Nott, der 1996 als junger Kapellmeister in Wiesbaden seinen ersten «Ring» dirigiert und im Wagner-Jahr 2013 mit einer konzertanten Aufführung der Tetralogie sensationellen Erfolg erzielt hat. Die Erfahrung ist zu hören. In Wagners Partituren kennt er sich eins zu eins aus; mit sicherem Gespür für die Tempi und ihre Verbindungen, mit instinktivem Gefühl für das Rauschhafte und zugleich mit untrüglichem Wissen um die Einzelheiten zieht er durch die beiden Abende: als ein genuiner Theatermusiker, der den Leitmotiven ihre Rechte lässt, sich aber nie bemüssigt fühlt, den belehrenden Zeigefinger auszustrecken. Alte Instrumente, wie sie diesen Sommer beim Lucerne Festival zu hören waren, haben ihren Reiz; in Basel ist zu erleben, dass es auch ohne sie zu spannenden Ergebnissen kommen kann.

Die spezielle szenische Konfiguration bildet die Basis für Musiktheater im Raum – denn Benedikt von Peter, Intendant des Theater Basel und, zusammen mit Caterina Cianfarini, Regisseur des Basler «Ring», ist ein Raumkünstler. Das hat er in verschiedenen, in ihrer Wirkung oft überwältigenden Inszenierungen, etwa mit Luigi Nonos «Prometeo» 2016 in Luzern oder in Basel 2020 mit «Saint-François d’Assise» von Olivier Messiaen, vor Augen geführt. In Wagners Tetralogie macht die Heranführung der Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne ans Publikum heran besonders Sinn und gehörig Effekt. Wer die bebenden Körper ganz nah vor sich sieht und dabei jedes Wort versteht, bekommt eine Ahnung davon, was Singen heisst – erst recht Singen auf der Bühne und Wagner-Singen. Indessen weist das Konzept zwei entscheidende Schwächen auf. Zunächst ist die Nähe natürlich nur in den ersten Sitzreihen wirklich erlebbar; wer seinen Sitz weiter hinten im Zuschauerraum vorfindet, für den bleibt die Nähe fern wie stets in der Oper – zumal die durch Natascha von Steiger konzipierte Einheitsbühne mit grossen Elementen, etwa einem mehrstöckigen Holzhaus als Sinnbild für die Burg Walhalla, arbeitet und den Blick in den Hintergrund zieht. Das führt zu einer deutlichen Ungleichbehandlung des Publikums.

Vor allem aber erhält in der Basler szenischen Einrichtung der Körperausdruck besonderes Gewicht – und der ist, wie stets bei Benedikt von Peter, handgreiflich, bisweilen jedoch nicht sonderlich differenziert ausgeprägt. Zwar setzt das die musikalische Vitalität fasslich in Gang und Geste um, zugleich aber steht es dem Werk Wagners im Weg. In den beiden grossen Streitgesprächen zwischen Wotan und Fricka in «Rheingold» wie in der «Walküre» verliert die hochstehende Schlagfertigkeit und dessen musikalische Umsetzung an Schärfe, weil zu viel szenische Betriebsamkeit herrscht. Mit seinem dunklen Timbre gibt Nathan Berg einen überherrischen und darum schon merklich angeknacksten Göttervater, der viel zu oft und viel zu stark auf den Tisch haut, während Solenn’ Lavanant Linke die Göttergattin packend singt, aber zu sehr mit Hysterie versieht. Auch der Loge von Michael Laurenz, stimmlich von hohem Format, wirkt überzeichnet. Rollendeckend dagegen die Erda der ehrwürdigen Hanna Schwarz und Frickas Schwester Freia, die für einmal nicht von einer Soubrette, sondern von Lucie Peyramaure mit ihrer pointierten stimmlichen Präsenz gesungen wird.

Das alles findet Platz in einer Inszenierung, die den «Ring des Nibelungen» als Rückblende, als Erinnerung Brünnhildes an ihr Leben, zu erzählen sucht. Wotans Lieblingstochter, Trine Møller bringt das mit farbenreicher Stimme, aber ebenfalls mit etwas heftiger Körpersprache zur Geltung, sieht ihren Vater, seinen zum Scheitern verurteilten Machtanspruch, ausgesprochen kritisch – ja, sie schildert es so, dass ihre Stiefmutter Fricka als Anführerin einer Verschwörung gegen Wotan erscheint. Immer wieder tritts Fricka hinter einer Wand hervor und fordert, ohne ein Wort zu singen, von ihren Untergebenen Donner (Michael Borth) und Froh (Ronan Caillet), ins Bühnengeschehen einzugreifen. Dieses Geschehen zeigt sich in einer Art Zeitlosigkeit, indem sich Ungleichzeitiges gleichzeitig ereignet. Die handelnden Figuren sind in ihren unterschiedlichen Lebensaltern gegenwärtig – Siegfried zum Beispiel mit einem Hörnchen am Gürtel und einem Holzschwert als Kind, auch als Jugendlicher. Das mag aufgesetzt wirken, denkt aber die dramaturgischen Ansätze Wagners weiter, denn durch die Leitmotive und die immer wieder eingefügten Rekapitulationen bleibt die Tetralogie über weite Strecken als Ganzes präsent.

Allerdings schafft die Basler Art der Bühnenerzählung für das Publikum auch Momente der Verwirrung und solche der Ablenkung. Zudem wird hier «Der Ring des Nibelungen», der von A bis Z durchkomponiert ist, durch unnötige, weil banale Zwischentexte unterbrochen. Dabei gäbe es reichlich genug zu erleben. «Rheingold» etwa als ein ins Grosse verlängertes Puppentheater, in dem die Rheintöchter wie in den ersten Inszenierungen der Tetralogie als an Stäben geführte Nixen erscheinen, während Alberich (der vorzügliche Andrew Murphy) als riesige Kröte herumhüpft und später als veritabler Drache aus den seitlichen Vorhängen hervorschnaubt. Oder in der «Walküre», mit Ric Furman und Theresa Kronthaler, Siegmund und Sieglinde als ein von Anfang an schwer gefährdetes Liebespaar. Artyom Wasnetsov gibt einen furchterregenden Hunding, Runi Brattaberg neben Thomas Faulkner als Fasolt einen nicht weniger schlagkräftigen Fafner, und Karl-Heinz Brandt macht als Mime auf die Fortsetzung im nächsten Herbst neugierig.

Von den Nibelungen, deren rhythmisch vertrackte Hammerschläge leider nicht sehr gut vernehmbar geraten, wird erzählt, sie gewännen das Gold in den Tiefen des Rheins und dort in Schluchten und Grüften. Fast in denselben Worten berichtet das die Basler Mission in einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Schilderung ihrer Tätigkeit in Afrika. Dies im Rahmen eines dokumentarischen Theaterstücks von Regine Dura und Hans-Werner Koestinger mit dem Titel «Gold, Glanz und Götter» – einem Teil des Festivals zum «Ring». Es handelt vom globalen Wirken der Basler Handelsherren, die mit ihren auch den Sklavenhandel einbeziehenden Dreiecksgeschäften zwischen Europa, Afrika und Südamerika im Namen Gottes des Herrn mächtig Gold an die Gestade des Rheins gebracht haben. Davon die Rede ist zunächst in einem kleinen Raum im obersten Stock des Basler Stadttheaters, später dann, nach einem eiligen Gang durch ein endlos wirkendes Treppenhaus in die tiefste Tiefe des Materiallagers. Dort wird diese von heute aus peinliche Geschichte anhand vieler nicht ganz neu entdeckter, aber doch hochinteressanter Dokumente ausgebreitet. Und dort kommen auch wieder jene Messing-Gefässe zum Einsatz, die schon im «Chorritual» auf dem Theaterplatz zu sehen waren und die auf der Bühne als Rheingold den Körper Freias zudecken. Auch hier: Leitmotive. Aber solche der eigenen Art.

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