Alban Berg in einem opulenten Bildband
Von Peter Hagmann
Was für ein schönes Buch. Was für ein liebevolles Buch. Was für ein intimes Buch.
Der Nachlass Alban Bergs (1885-1935) wird zum einen von der Österreichischen Nationalbibliothek, zum anderen von der durch Helene Berg, die Gattin des Komponisten, 1968 eingerichteten Alban Berg-Stiftung aufbewahrt; in der öffentlichen Institution finden sich die Dokumente zum künstlerischen Schaffen, in der Stiftung das Private. Nur fünfzig Jahre alt wurde Berg, seine Frau, ebenfalls 1885 geboren, hat ihn mehr als vierzig Jahre überlebt – und sie hat in dieser Zeit unermüdlich am Nachruhm ihres Gatten gearbeitet. Gleich nach Bergs Tod hat sie sein Arbeitszimmer fotografisch dokumentiert, um es originalgetreu zu erhalten. In der Folge hat sie des Komponisten Hinterlassenschaft für spätere Verwendung vorbereitet. Inzwischen steht die Wohnung des Ehepaars Berg im vornehmen Wiener Bezirk Hietzing unter der Aufsicht der von dem Musikwissenschaftler und Musiker Daniel Ender geleiteten Stiftung.
Im dort aufbewahrten Material finden sich mehrere Tausend Fotografien. Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat sie Daniel Ender allesamt gesichtet, sie identifiziert und eingeordnet. Inzwischen hat er aus dem immensen Bestand knapp dreihundert Aufnahmen ausgewählt, sie sorgfältig restaurieren lassen und sie nun in einem prachtvollen Bildband publiziert. Zu den Aufnahmen gibt es Legenden sowie eine Reihe kurzer Auszüge aus Briefen und Texten, aber nicht eigentlich eine Erzählung, die durch die Bildersammlung durchführt. Immerhin findet sich am Ende des Buchs eine Zeittafel zu Bergs Leben, der sich Aufschlüsse zu den Bildern entnehmen lassen – hat man das Buch durchgesehen, kommt man darauf, dass es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, diese Zeittafel vorab zu Kenntnis zu nehmen. Auf der anderen Seite besteht der Reiz der von Ender gewählten formalen Anlage gerade darin, dass man sich den Bildern und ihrer Aussagekraft spontan überlässt und dergestalt dem durch sie vorgestellten Menschen in eigener Weise nahekommt.
Denn in der Tat geht es hier um «Alban Berg im Bild»: um den Komponisten allein. Überaus eindrucksvoll, wie unterschiedlich das an sich immergleiche Gesicht erscheint; fast hat man das Gefühl, Berg beginne gleich zu sprechen. Erstaunlich auch, wie wenig sich das Gesicht Bergs über die Jahre hin verändert. Gewiss, die Kinder- und Jugendbilder sprechen ihre eigene Sprache. Und freilich sind fünfzig Jahre ein Lebensalter, in dem noch manches an den Gesichtszügen erhalten geblieben ist, was sich später womöglich verändert hätte. Bei Anton Webern ist das anders; ein fescher Kerl war der als Junger, und später noch immer schön, dann aber äusserst streng. Berg dagegen erscheint auf der Mehrzahl der Bilder vielleicht nachdenklich, doch stets freundlich, bisweilen fröhlich, ja ausgelassen. Gern hält er eine Zigarette zwischen den Fingern, auch in den Jahren des Ersten Weltkriegs, den er als Soldat aus gesundheitlichen Gründen in einer Kanzlei hinter sich gebracht hat.
Dass sich im privaten Nachlass des Komponisten so viel Bildmaterial findet, geht auf seine Herkunft zurück. Sichtbar wird es gleich auf den ersten Seiten des Buches. Aufgewachsen ist Alban Berg in einer grossbürgerlichen Wohnung im ersten Wiener Stadtbezirk. Der Vater: Kaufmann, die Mutter: aus begüterter Familie stammend. Riesig und üppig dekoriert die Räume – und vor allem: es wurde fotografiert, das gehörte zum Status und zu dessen Herzeigen. Neugierig blickt man auf die Bilder, und wenn man die Seite wendet, stösst man auf einen doppelseitig angelegten, entsprechend vergrösserten Ausschnitt einer soeben wahrgenommenen Aufnahme – das macht geradezu dramatischen Effekt, wie überhaupt das Buch mit Sinn und Sinnlichkeit gestaltet ist. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden professionelle Fotografinnen und Fotografen verpflichtet, die wie etwa Dora Kalmus alias Madame d’Ora hochstehende Kunst-Porträts erstellten. Später knipste man selber, und Berg, vom Fotografieren angetan, tat es ausgiebig (oder liess Freunde abdrücken).
In seiner Anlage folgt das Buch dem Leben des Komponisten. Es zeigt ihn in einem Werdegang wachsenden Selbstbewusstseins, zudem präsentiert es Menschen aus seiner Umgebung, die für ihn von Bedeutung waren: zuallererst seine Frau, aber auch seinen Lehrer Arnold Schönberg oder Wegbegleiter wie Anton Webern, wie der bewunderte Karl Kraus oder Franz Werfel mit Alma Mahler. Einen Lidschlag lang darf hierbei an die in diesem Buch selbstverständlich ausgesparte Affäre Bergs mit Werfels Schwester Hanna Fuchs-Robettin gedacht werden. Wie auch immer: Ein wunderschönes Paar waren sie, Alban Berg und Helene geborene Nahowski, füreinander geschaffen und einander eng verbunden – das tritt in berührender Deutlichkeit heraus. In den biographischen Weg eingelegt sind, auf einer eigenen Schiene, eine Reihe von Porträts des Komponisten bis hin zu den Büsten und den Arbeiten von Malern wie Arnold Schönberg oder Franz Rederer. Ausgespart bleibt auch weder Schalk und Ulk – zum Beispiel in den Fotos aus den Automaten oder jenen von den Besuchen auf dem Fussballplatz oder den lustvollen Ausfahrten mit dem Cabriolet der Marke Ford, das sich der Künstler 1930 aus den Tantièmen seiner erfolgreichen Oper «Wozzeck» erwerben konnte. Das Auto, generalüberholt und fahrbereit, lebt noch. Genauso wie die im Repertoire solide verankerte Musik Alban Bergs.
Daniel Ender: Alban Berg im Bild. Fotografien und Darstellungen 1887-1935. Böhlau-Verlag, Wien und Köln 2023. 280 S., Fr. 51.60.