«Spätlese» – in ausgezeichnetem Jahrgang

Herbstausgabe der Badenweiler Musiktage

 

Von Peter Hagmann

 

Wer nach Badenweiler fährt – zum Beispiel zu den dort zwei Mal im Jahr an je einem verlängerten Wochenenden durchgeführten Musiktagen – sieht es auf den ersten Blick: Die liebliche Landschaft ist vom Weinbau geprägt; kein Fleck zu klein, ein Rebberg zu sein. «Spätlese», das Motto, das sich Lotte Thaler als Künstlerische Leiterin der Musiktage für diesen Herbst ausgedacht hat, lag darum in gewisser Weise nahe. Und das umso mehr, als es nach den Konzerten wieder das von den lokalen Winzergenossenschaften offerierte Glas Wein gab, bei dem sich die Künstler und das Publikum zu Begegnung und Austausch treffen können – eine exzellente Idee, die sich bei einem kleinen, aber feinen Festival wie den Badenweiler Musiktagen geradezu anbietet und dort absolut dazugehört, die aber auch etwas für das etablierte Abonnementskonzert wäre.

Anlass zum Diskurs gab es sehr wohl, denn auch diesen Herbst bot das musikalische Angebot in Badenweiler wieder, wie Lotte Thaler sagt, etwas für Sinne und Geist. Ihre Programme sind bewusst gebaut, sie verfügen über ihre ganz eigene Konsistenz. Unter dem Motto «Spätlese» versammelten sich in der jüngsten Ausgabe der Musiktage Stücke, die allesamt einen Bezug zu Herbstlichem haben – weil sie als Spätwerke entstanden oder weil sie erst spät entdeckt worden sind. Zur sinnreichen Durchführung des Mottos tritt in Badenweiler eine Reihe weiterer Prinzipien. Stars begegnen dort Aufsteigern, also folgte die Bratscherin Tabea Zimmermann auf das Dover Quartet. Verbreitetes trifft auf Verkanntes, diesmal etwa ein Streichquartett von Johannes Brahms auf Musik von Mieczysław Weinberg. Vor allem kommt Deutsches mit Französischem zusammen. Das Markgräflerland und das Elsass, wiewohl durch den Rhein getrennt, sind sich nah durch Dialekt und Mentalität. Das hat schon Klaus Lauer, den Gründer der Badenweiler Musiktage, dazu bewogen, die Nähe zwischen den beiden Kulturkreisen an einer ihrer Schnittstellen zu beleuchten. Seine Nachfolgerin tut das in gleichem Masse.

So hat sie zur Eröffnung der diesjährigen Herbstausgabe den ausserordentlich profilierten, mächtig aufstrebenden Franzosen Bertrand Chamayou verpflichtet. Der Pianist aus Paris brachte einerseits späte (und mittlere) Musik von Franz Liszt mit, andererseits Werke von Maurice Ravel und Camille Saint-Saëns, von dem ausser dem «Carnaval des animaux» und der «Orgel-Symphonie» im Konzert so gut wie nichts gespielt wird. Die «Jeux d’eau à la Villa d’Este» aus dem dritten Band der «Années de pèlerinage» von Liszt brachte Chamayou zu glänzender Wirkung, weil er die Tremoli ohne Anstrengung und klanglich jederzeit kontrolliert meisterte, weil er ausserdem dramaturgisch Übersicht bewahrte und so zu geschickten Steigerungen fand. Den «Feierlichen Marsch zum heiligen Gral» aus Richard Wagners «Parsifal», den Liszt für Klavier gesetzt hat, legte der Pianist mit einem berückenden Mass an klanglicher Sensibilität aus, aber auch mit ausgeprägtem Sinn fürs Grosse, was bei ihm weder mit Lautstärke noch mit Pathos gleichzusetzen ist. Von herrlicher Kraft das Fortissimo, ins Ätherische verschwimmend die Episoden des ganz Leisen. Auf die «Lugubre gondola» Nr. 2, die sich auf Wagners Tod in Venedig bezieht, folgte schliesslich «Venezia e Napoli» aus dem zweiten Band der «Années de pèlerinage» – ein Dreiteiler in funkelnder Virtuosität.

Er leitete über zu den «Miroirs» von Maurice Ravel – und hier feierte die Klavierkunst französischer Provenienz ihr Fest. Nach allen Seiten flexibel die «Noctuelles», sinnlich in ihren tiefen Akkorden «Une barque sur l’océan», von umwerfender Klangmagie «La Vallée des cloches». Die Glocken klangen gleich weiter, nämlich in «Les Cloches de Las Palmas» von Camille Saint-Saëns, einem weit vorausblickenden Stück, das denkbar wenig zu tun hat mit dem Klassizismus, ja der akademischen Haltung des Komponisten denkbar entfernt steht. Nach zwei Mazurken schliesslich die horrible Etude en forme de valse, die Bertrand Chamayou – nicht aus dem Ärmel schüttelte, aber selbst in den heikelsten Passagen geradezu schwerelos darbot. Danach musste man erst einmal tief durchatmen.

Im nächsten Frühjahr, Ende April und Anfang Mai 2020, steht der grossartige, unerhört vielseitige Geiger Ilya Gringolts im Licht. Er beginnt seine Residenz in Badenweiler mit einem reinen Soloauftritt und geht weiter zu einem Duo-Abend mit Kristian Bezuidenhout, mit dem er ein neues Stück des französischen Komponisten Brice Pauset für Violine und Hammerflügel aus der Taufe hebt, ein von den Musiktagen Auftrag gegebenes Werk. Weiter stellt er sich mit dem von ihm geleiteten Streichquartett vor und findet sich schliesslich mit diesem und seinen Kollegen vom finnischen Streichquartett Meta4 zu einem bunten Programm zusammen, das in das selten gespielte Streicheroktett von Georges Enescu mündet.

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