«Spätlese» – in ausgezeichnetem Jahrgang

Herbstausgabe der Badenweiler Musiktage

 

Von Peter Hagmann

 

Wer nach Badenweiler fährt – zum Beispiel zu den dort zwei Mal im Jahr an je einem verlängerten Wochenenden durchgeführten Musiktagen – sieht es auf den ersten Blick: Die liebliche Landschaft ist vom Weinbau geprägt; kein Fleck zu klein, ein Rebberg zu sein. «Spätlese», das Motto, das sich Lotte Thaler als Künstlerische Leiterin der Musiktage für diesen Herbst ausgedacht hat, lag darum in gewisser Weise nahe. Und das umso mehr, als es nach den Konzerten wieder das von den lokalen Winzergenossenschaften offerierte Glas Wein gab, bei dem sich die Künstler und das Publikum zu Begegnung und Austausch treffen können – eine exzellente Idee, die sich bei einem kleinen, aber feinen Festival wie den Badenweiler Musiktagen geradezu anbietet und dort absolut dazugehört, die aber auch etwas für das etablierte Abonnementskonzert wäre.

Anlass zum Diskurs gab es sehr wohl, denn auch diesen Herbst bot das musikalische Angebot in Badenweiler wieder, wie Lotte Thaler sagt, etwas für Sinne und Geist. Ihre Programme sind bewusst gebaut, sie verfügen über ihre ganz eigene Konsistenz. Unter dem Motto «Spätlese» versammelten sich in der jüngsten Ausgabe der Musiktage Stücke, die allesamt einen Bezug zu Herbstlichem haben – weil sie als Spätwerke entstanden oder weil sie erst spät entdeckt worden sind. Zur sinnreichen Durchführung des Mottos tritt in Badenweiler eine Reihe weiterer Prinzipien. Stars begegnen dort Aufsteigern, also folgte die Bratscherin Tabea Zimmermann auf das Dover Quartet. Verbreitetes trifft auf Verkanntes, diesmal etwa ein Streichquartett von Johannes Brahms auf Musik von Mieczysław Weinberg. Vor allem kommt Deutsches mit Französischem zusammen. Das Markgräflerland und das Elsass, wiewohl durch den Rhein getrennt, sind sich nah durch Dialekt und Mentalität. Das hat schon Klaus Lauer, den Gründer der Badenweiler Musiktage, dazu bewogen, die Nähe zwischen den beiden Kulturkreisen an einer ihrer Schnittstellen zu beleuchten. Seine Nachfolgerin tut das in gleichem Masse.

So hat sie zur Eröffnung der diesjährigen Herbstausgabe den ausserordentlich profilierten, mächtig aufstrebenden Franzosen Bertrand Chamayou verpflichtet. Der Pianist aus Paris brachte einerseits späte (und mittlere) Musik von Franz Liszt mit, andererseits Werke von Maurice Ravel und Camille Saint-Saëns, von dem ausser dem «Carnaval des animaux» und der «Orgel-Symphonie» im Konzert so gut wie nichts gespielt wird. Die «Jeux d’eau à la Villa d’Este» aus dem dritten Band der «Années de pèlerinage» von Liszt brachte Chamayou zu glänzender Wirkung, weil er die Tremoli ohne Anstrengung und klanglich jederzeit kontrolliert meisterte, weil er ausserdem dramaturgisch Übersicht bewahrte und so zu geschickten Steigerungen fand. Den «Feierlichen Marsch zum heiligen Gral» aus Richard Wagners «Parsifal», den Liszt für Klavier gesetzt hat, legte der Pianist mit einem berückenden Mass an klanglicher Sensibilität aus, aber auch mit ausgeprägtem Sinn fürs Grosse, was bei ihm weder mit Lautstärke noch mit Pathos gleichzusetzen ist. Von herrlicher Kraft das Fortissimo, ins Ätherische verschwimmend die Episoden des ganz Leisen. Auf die «Lugubre gondola» Nr. 2, die sich auf Wagners Tod in Venedig bezieht, folgte schliesslich «Venezia e Napoli» aus dem zweiten Band der «Années de pèlerinage» – ein Dreiteiler in funkelnder Virtuosität.

Er leitete über zu den «Miroirs» von Maurice Ravel – und hier feierte die Klavierkunst französischer Provenienz ihr Fest. Nach allen Seiten flexibel die «Noctuelles», sinnlich in ihren tiefen Akkorden «Une barque sur l’océan», von umwerfender Klangmagie «La Vallée des cloches». Die Glocken klangen gleich weiter, nämlich in «Les Cloches de Las Palmas» von Camille Saint-Saëns, einem weit vorausblickenden Stück, das denkbar wenig zu tun hat mit dem Klassizismus, ja der akademischen Haltung des Komponisten denkbar entfernt steht. Nach zwei Mazurken schliesslich die horrible Etude en forme de valse, die Bertrand Chamayou – nicht aus dem Ärmel schüttelte, aber selbst in den heikelsten Passagen geradezu schwerelos darbot. Danach musste man erst einmal tief durchatmen.

Im nächsten Frühjahr, Ende April und Anfang Mai 2020, steht der grossartige, unerhört vielseitige Geiger Ilya Gringolts im Licht. Er beginnt seine Residenz in Badenweiler mit einem reinen Soloauftritt und geht weiter zu einem Duo-Abend mit Kristian Bezuidenhout, mit dem er ein neues Stück des französischen Komponisten Brice Pauset für Violine und Hammerflügel aus der Taufe hebt, ein von den Musiktagen Auftrag gegebenes Werk. Weiter stellt er sich mit dem von ihm geleiteten Streichquartett vor und findet sich schliesslich mit diesem und seinen Kollegen vom finnischen Streichquartett Meta4 zu einem bunten Programm zusammen, das in das selten gespielte Streicheroktett von Georges Enescu mündet.

Streichquartett mit Singstimme und Geistertönen

Auf Entdeckungsreise zu den Badenweiler Musiktagen

 

Von Peter Hagmann

 

«Frühling. Erwachen.», so das Motto der Musiktage Badenweiler. Und fürwahr: Welches Frühlings-Erwachen stellte sich an diesem 1. Mai 2019 ein – einem Prachtstag, auf den am frühen Abend ein Konzert der Extraklasse folgte: ein Liederabend mit dem Bariton Christian Gerhaher und mit Gerold Huber, seinem langjährigen Partner am Klavier. Lieder von Robert Schumann und Johannes Brahms standen auf dem Programm, von jenem die «Dichterliebe» und weniger Bekanntes, von diesem zum Beispiel der «Regenlied»-Zyklus in seiner Frühfassung. Ein fulminanter Einstieg; der Saal war randvoll.

In seiner Weise nicht weniger aufsehenerregend geriet der Auftritt des Deutschen Frank Dupree. Seiner jungen Jahre zum Trotz ist er kein Unbekannter, zwei CD-Publikationen und eine Reihe hochrangiger Preise haben auf den Schlagzeuger, Pianisten und Dirigenten aufmerksam gemacht. Vom perkussiven Element in der Musik ausgehend, hat er am Klavier eine spezifische Sensibilität für das Rhythmische entwickelt. Und so präsentierte er in seinem unprätentiös moderierten Auftritt amerikanische Musik, die dem Jazz nahesteht. Zum Beispiel drei Stücke des deutschstämmigen Amerikaners George Antheil, die mit dem Gattungsbegriff der Sonate spielen, dabei aber erfrischend wider den Stachel löcken, mit unanständigen Sekundreibungen reizen und immer wieder den Blues anklingen lassen

Das ist die Welt, die Frank Dupree liebt – und darum bewunderte er schon als Jugendlicher «An American in Paris», die Sinfonische Dichtung von George Gershwin aus dem Jahre 1928, die der Pianist in denkbar brillanter Weise für sein Instrument eingerichtet hat. Grandios, was Dupree alles in den Klaviersatz eingebracht hat. Und blendend, mit welcher Agilität er die Erinnerung eines Amerikaners an die französische Kapitale seinem deutschen Publikum nahegebracht hat. Nicht ohne Interesse nahm es auch die so gut wie unbekannten «Phrygian Gates» entgegen, eine anregende minimalistische Studie des 72-jährigen Amerikaners John Adams. Das Randständige wie das Neue gehörte schon immer zu den Musiktagen in Badenweiler.

Besonders eindrücklich war es beim Kammerkonzert mit dem Quatuor Béla aus Lyon zu erleben. Die «Intimen Briefe», das Streichquartett Nr. 2 von Leoš Janáček, wollte den beiden Geigern Julien Dieudegard und Frédéric Aurier, dem Bratscher Julian Boutin und dem Cellisten Luc Dedreuil nicht restlos gelingen; die Wiedergabe trug Züge des al-fresco-Spiels und entbehrte der Dringlichkeit, die bei diesem Stück möglich wäre. Umso besser gelang zum Schluss Ludwig van Beethovens letztes Streichquartett, das Opus 135 in F-Dur. Leicht und hell im Ton, auch lebendig in der Artikulation die beiden ersten Sätze, sehr berührend das in aller Ruhe und mit Wärme ausgesungene Assai lento in Des-Dur, erheiternd dann das Finale, das in einem einleitenden Grave die Frage stellt, ob es denn wirklich sein müsse, dieses Finale, und das darauf im Allegro die lapidare Antwort gibt: «Es muss sein.»

Im Zentrum der Begegnung mit dem Quatuor Béla, einem der auf neue Musik und erweiterte Präsentationsformen spezialisierten Ensembles, stand «Strings» von Robert HP Platz, ein Stück für Streichquartett, Singstimme und Elektronik. Live-Elektronik, mit deren Hilfe der Klang von Instrumenten transformiert und in Echtzeit über Lautsprecher in den Raum verteilt wird – das ist inzwischen hoch entwickelt und geläufig. Im Stück von Platz kommt freilich kein einziger Lautsprecher zum Einsatz, verwendet wird vielmehr ein Transducer – ein kleines, über Kabel mit einem Computer verbundenes Gerät, das an den Instrumenten des Quartetts befestigt ist und auf ihnen elektronische Signale in hörbare Wellen umsetzt. Das Streichinstrument wird somit zur doppelten Klangquelle; es erzeugt sowohl den eigenen als auch einen sozusagen fremden Ton. Dabei wird dieser fremde Ton vorab eingespielt und von einem Techniker im richtigen Moment an das Instrument gesendet; die Computertechnik ist noch nicht so weit entwickelt, dass die Prinzipien der Live-Elektronik auch beim Transducer zur Verwendung kommen könnten.

Was nach einer technischen Spielerei aussah, war in der Aufführung des Streichquartetts von Robert HP Platz von frappanter Wirkung. Dies umso mehr, als die vier Streicher im René-Schickele-Saal des Kurhauses Badenweiler, einem akustisch überraschend guten Raum, verteilt waren. Als Zuhörer hatte man wahrhaft zu tun, man musste die Ohren spitzen und sich in die verhaltenen Klänge einhören – bis dann mit einem Mal von fern her kommende Geisterstimmen dazu traten. Erst erschienen sie als verfremdete Echos, später wurden sie zu eigenständigen Begleitern, indem sie Obertöne aufnahmen und weiterführten; ein Pizzicato etwa erhielt dadurch eine Art Glöckchen umgehängt und empfing so subtile klangliche Erweiterung. Der Erste, der eine solche Horizonterweiterung versucht hat, war Arnold Schönberg, der in seinem zweiten Streichquartett (fis-Moll, op. 10, 1907/08) eine Singstimme einsetzt. Mit dem Beizug einer Singstimme in «Strings» schliesst Robert HP Platz an diesen historisch bedeutsamen Moment an. Tatsächlich war da buchstäblich Unerhörtes zu erleben. Die Sopranistin Julia Wischniewski und das Quatuor Béla hatten daran ganz wesentlichen Anteil.

In einem halben Jahr geht es weiter in diesem Stil – dem Badenweiler Stil, der durch Klaus Lauer begründet worden ist und durch seine Nachfolgerin Lotte Thaler in eigener Handschrift weitergeführt wird. «Spätlese» verheisst die Herbstausgabe der Musiktage. Sie findet zwischen dem 7. Und dem 10. November 2019 statt. Der grossartige französische Pianist Bertrand Chamayou bietet ein Programm, das von selten gespielten Werken französischer Provenienz ausgeht, um in Prélude, Choral et Fugue von César Franck zu kulminieren. Im zweiten Teil stehen sich Wolfgang Rihm und Franz Liszt gegenüber, von dem die in jeder Hinsicht anspruchsvollen «Réminiscences de Don Juan» erklingen. Am zweiten Abend spielt das vielversprechende amerikanische Dover Quartet Streichquartette von Paul Hindemith und Johannes Brahms. Die beiden Kammerkonzerte des Wochenendes bringen die Begegnung mit dem Atos-Trio, einem deutschen Klaviertrio, das an den hundertsten Geburtstag des Komponisten Mieczyslaw Weinberg erinnert und sich im Finale für eine Abfolge von Raritäten um die Bratscherin Tabea Zimmermann und ihre Freunde schart. Programme, wie sie Lotte Thaler im Verein mit ihren Gästen ersinnt, gibt es nur in Badenweiler.

Erwin Schulhoff: Streichquartett Nr. 1. Pavel Haas: Streichquartett Nr. 2. Hans Krása: Thema und Variationen. Quatuor Béla. Klarthe K077 (Aufnahme 2017).

Grenzüberschreitungen

Die Badenweiler Musiktage im Herbst 2018

 

Von Peter Hagmann

 

Badenweiler ist und bleibt die Reise wert. Im lieblichen Markgräflerland gelegen, einer südlich anmutenden Gegend mit herrlichen Weinen, nutzt der Kurort das Heilwasser, das auf den Anhöhen eines kleinen Seitentals zur Oberrheinischen Tiefebene entspringt. Vom Ortszentrum aus blickt man hinunter zum Rhein und hinüber ins Elsass, bei Föhn bis nach Mulhouse und Colmar. Da und dort stösst man im Ort auf den Namen des Schriftstellers René Schickele, eines deutschsprachigen Elsässers aus der ersten Hafte des 20. Jahrhunderts, der sich mit Weitblick jener kulturellen Schnittstelle zuwandte, von der die Gegend bestimmt wird. Und gleich denkt man an Colmar, wo bis heute Jean-Jacques Waltz dominiert, der zur gleichen Zeit wie Schickele unter dem Künstlernamen Hansi fürs Elsass stritt – allerdings für die französische Sache. Womit wir mittendrin wären in den Badenweiler Musiktagen.

Nämlich bei der Osmose zwischen dem Deutschen und dem Französischen, die seit jeher einen Grundpfeiler des kleinen, aber äusserst feinen Festivals für alte und neue Kammermusik bildet. Es war so bei Klaus Lauer, seinem Gründer und langjährigen Leiter. Und es bleibt so bei Lotte Thaler, die seit diesem Jahr die künstlerische Verantwortung für die inzwischen von der Thermenverwaltung der Stadt getragene, durch zahlreiche Sponsoren unterstützte Einrichtung trägt – dabei aber sehr persönlichen Akzente setzt. Diesen Herbst verwirklichte sich der Dialog zwischen den beiden Kulturkreisen in der Begegnung von Claude Debussy, der vor hundert Jahren gestorben ist, mit Bernd Alois Zimmermann, der ebenfalls vor einem Jahrhundert zur Welt gekommen ist.

Mit Jean-Efflam Bavouzet, einem ganz aussergewöhnlichen, hierzulande freilich wenig bekannten Pianisten aus Frankreich, erarbeitete Lotte Thaler ein überaus spannendes Programm, das neben dem zweiten Band der «Préludes» von Claude Debussy zwei Klaviersonaten von Joseph Haydn und dazu Debussys «Hommage à Haydn» sowie drei Stücke aus dessen späten Etüden enthielt. Gerade diese horribel schweren Stücke sind im Konzert so gut wie nie zu hören, Bavouzet bewältigte sie in bewundernswerter Bravour. Nicht weniger brillant meisterte er den zweiten Band der «Préludes», der ebenfalls weniger häufig auf den Programmen steht als der erste. Schon die technische Seite seines Spiels löste ungläubiges Staunen aus, erst recht gilt das für das von ihm erzeugte Farbenspektrum, das einen Klangrausch sondergleichen auslöste, und sein erzählerisches Temperament, das die bisweilen etwas distanziert wirkende Musik Debussys ganz nah an den Zuhörer heranbrachte.

Bernd Alois Zimmermann wiederum kam mit seinen «Monologen» für zwei Klaviere zu Wort, die das Klavierduo Andreas Grau und Götz Schumacher auf dem Programm hatten – einem Programm übrigens, das so beziehungsreich gestaltet war, wie es in Badenweiler Sitte ist. Gleichsam persönlich trat Zimmermann ins Licht bei einer Gesprächsveranstaltung zu dem dieses Jahr erschienenen Band «Con tutta forza», in dem Bettina Zimmermann ihren Vater porträtiert. So vielgestaltig wie das Buch, das mit Schilderungen der Autorin, mit Bildern aus dem Familienarchiv, Briefen und Erinnerungen von Weggefährten durch das Leben des Komponisten führt, so bewegt und bewegend war die Gesprächsrunde, bei der Lotte Thaler mit Bettina Zimmermann sprach und Rainer Peters zusammen mit der Autorin aus dem Buch vorlas. Dass über Musik kundig gesprochen, dass dieser Kunst durchaus aktiv verstehend begegnet werden kann, das hat diese Matinee in aller Eindringlichkeit fassbar gemacht.

Überhaupt nimmt – darin liegt eines der Kennzeichen des Festivals – das Nachdenken und Sprechen über die erklingende Musik in Badenweiler einen bedeutenden Stellenwert ein. Diesen Herbst zum Beispiel war Stefan Litwin zu Gast, der deutsche Pianist, der sich mit seinen Lecture Recitals einen Namen gemacht hat. Litwin hatte den Variationenzyklus «The People United Will Never Be Defeated» von Frederic Rzewski mitgebracht, den er im zweiten Teil seiner Matinee so souverän und so sprechend darbot, dass der Spannungsbogen über der knappen Stunde Musik in voller Kraft zur Geltung kam. Davor aber sprach Litwin über das, was er danach vorzutragen gewillt war – und er tat das in freier Rede, packend von A bis Z. Er ging auf die Entstehung des Zyklus ein, wies auf das politische Statement hin, das seine Uraufführung 1976 im Kontext der 200-Jahr-Feiern der USA abgab, und führte dann mit Hörbeispielen durch die 36 Variationen, die das chilenische Revolutionslied «El pueblo unido jamás será vencido» in postmoderner Vielfalt beleuchten. Kein Blatt nahm Litwin vor den Mund, als er die Umstände schilderte, deretwegen Sergio Ortega das von Rzewski verarbeitete Lied komponiert hat: die Wahl Salvador Allendes zum Staatspräsidenten Chiles 1970 und dessen von den USA betriebenen Sturz durch den in der Folge zum Diktator beförderten General Augusto Pinochet drei Jahre später. Mit Schaudern konnte man dabei an die heutigen Verhältnisse auf dem amerikanischen Kontinent denken.

Debussy, Zimmermann, Rzewski – das ist kein Zufall. Bei den Badenweiler Musiktagen hört die Musik nicht 1914 auf, sie geht in ungebrochener Kontinuität und aller Selbstverständlichkeit weiter bis in unsere Tage. Davon zeugte diesen Herbst der Abend mit dem Arditti String Quartet. Kompromisslos wiesen Irvine Arditti und Ashot Sarkissjan (Violinen), Ralf Ehlers auf seiner eigenhändig gebauten Viola und der Cellist Lucas Fels darauf hin, wie unbändig modern das frühe Streichquartett op. 3 (1910) von Alban Berg klingen kann. Im fünften Streichquartett Hans Werner Henzes fand sich dann auch die Quelle für das Motto dieses Badenweiler Herbstes; «Echos, Erinnerungen, ganz von fern» nennt sich der fünfte Satz dieses immer wieder erstaunlichen Werks. Ein Glanzlicht ergab sich jedoch durch familiäre Verbindungen, denn mit dem ganz ausgezeichneten Countertenor Jake Arditti gesellte sich der Sohn des Primarius zum Quartett. Und sang dort mit den «Canciones lunáticas» (2008/09) der Mexikanerin Hilda Paredes ein attraktives Werk seiner offenkundig herzlich geliebten Stiefmutter. Den Schluss machte «Cosa resta» für Streichquartett und Countertenor – bitte beachten Sie die Reihenfolge – von Salvatore Sciarrino, eine witzige, in die charakteristische Handschrift des Italieners gefasste Aufzählung der Gegenstände, die der Renaissance-Maler Andrea del Sarto bei seinem Tod hinterlassen haben soll.

War nicht Richard Strauss der Meinung, ein zünftiger Komponist müsse auch das Telephonbuch vertonen können? Wie auch immer, danach schritt man frohgemut zum weissen Wein, denn nach allen Abendkonzerten des Festivals schenkt einer der Winzer aus der Gegend eine Spezialität aus seinem Keller aus. Auch das gehört, natürlich, zu den Badenweiler Musiktagen.

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Die nächste Ausgabe der Badenweiler Musiktage findet vom 1. bis zum 4. Mai 2019 statt. «Frühling. Erwachen» heisst das Thema. Zur Eröffnung gibt es einen Liederabend mit dem Bariton Christian Gerhaher und dem Pianisten Gerold Huber. Das Béla-Quartett aus Lyon interpretiert unter anderem ein Streichquartett des Kölners Robert HP Platz, während der junge deutsche Pianist Frank Dupree etwa Werke von George Antheil spielt und sich das Boulanger-Trio zusammen mit dem Klarinettisten Kilian Herold einem rein französischen Programm widmet.

Bettina Zimmermann: «Con tutta forza». Bernd Alois Zimmermann – ein persönliches Portrait. Unter Mitwirkung von Rainer Peters. Wolke-Verlag, Hofheim 2018. 464 S., 34 Euro / 52 Franken.

Alt und Neu gesellt sich gern

Badenweiler Musiktage im Frühling 2018

 

Von Peter Hagmann

 

Es geht also weiter. Fast 45 Jahre lang hat Klaus Lauer die von ihm 1973 ins Leben gerufenen Badenweiler Musiktage geleitet. Letzten Herbst har er sich von dieser Aufgabe zurückgezogen und die Leitung des zwei Mal im Jahr durchgeführten, hochstehenden Kammermusik-Festivals im südlichen Schwarzwald seiner Nachfolgerin Lotte Thaler übergeben (vgl. Mittwochs um zwölf vom 15.11.17). Sehr zu Recht hat die Musikologin und Journalistin Kontinuität in Aussicht gestellt; zugleich hat sie jetzt, in ihrer ersten Ausgabe, erkennen lassen, in welcher Weise sie eigene Akzente zu setzen vermag. «Heut‘ und ewig» hiess das Motto, das in seiner poetischen Formulierung ein Gefühl für das Vergehen der Zeit und, auf der anderen Seite, für das Bestehenbleiben, zum Beispiel singulärer Leistungen, evoziert. Es entstammt einem Gedicht Goethes, dessen Vertonung Wolfgang Rihm 2007 abgeschlossen hat – und Rihm, einer der bedeutendsten Komponisten unserer Tage und regelmässiger Gast bei den Badenweiler Musiktagen, durfte hier nicht fehlen. «Heut und ewig» schien nämlich auch zu bedeuten, dass es auch mit der komponierten Musik weitergeht, jedenfalls sprachen die Programme mit ihren kreativen Verbindungen von Alt und Neu in aller Deutlichkeit davon.

Zum Beispiel an jenem unerhört eindrucksvollen Liederabend, an dem sich nicht nur der Bariton Hans Christoph Begemann und der Pianist Thomas Seyboldt trafen, sondern auch Wolfgang Rihm und Franz Schubert. Und dies in zwei Werkgruppen: mit Gedichten von Goethe einerseits, mit solchen von Heine andererseits. Der Komponist von heute, der Texte aus dem 19. Jahrhundert vertont, wie es sein gut 150 Jahre zuvor geborener Kollege tat, das mag einen bildungsbürgerlichen Zug tragen. Bei Rihm fällt das aber nicht ins Gewicht. Rihm sah sich immer in einem grossen Traditionsstrom und leugnete bei aller Eigenheit seiner Handschrift nie seine innige Verbindung mit Altvorderen. Er kann sich das erlauben, weil sein Vorrat an musikalischen Ideen unerschöpflich scheint und weil, auch wenn er sich aktiv der Tradition nähert, stets so viel Neues auf Tapet kommt, dass kein Déjà-vu entsteht. Vor allem aber sind die von Rihm ausgewählten Texte so besonders, dass sich die kompositorische Beschäftigung mit ihnen geradezu aufdrängt. Die im Vokalen ausserordentlich textgenaue und im Instrumentalen hochgradig farbenreiche Präsentation durch Begemann und Seyboldt liess an all dem keinen Zweifel.

Bei den Goethe-Liedern wurde der Block mit den Vertonungen Schuberts eingerahmt von «Sehnsucht und Nachtgesang» (2014), «Heut‘ und ewig» sowie am Ende der äusserst speziellen «Harzreise im Winter» von 2012. Im Falle Heines folgten die sechs einzigen Lieder, die Schubert auf Texte dieses Dichters komponiert hat, sie stammen alle aus dem «Schwanengesang», dem Zyklus «dort wie hier» (2015), bei dem Wolfgang Rihm, die Idee muss man erst haben, ein Gedicht Heines sieben Mal in unterschiedlicher Weise vertont hat. Da kam es zum Höhepunkt des Abends, denn Begemann wie Seyboldt, ein durch langjährige Übung bestens aufeinander eingespieltes Duo, sind Virtuosen im Umgang mit dem Leisen – und «dort wie hier» soll ja als eine Meditation im Pianissimo aufgeführt und gehört werden. Bei Schubert dagegen konnte es vital, ja dramatisch werden, etwa in dem drängenden Zug, den «Rastlose Liebe» entwickelte, oder im Grauen des «Doppelgängers», dessen Nachspiel radikale Konturen annahm. Überhaupt beeindruckten hier die enorme Diversität der Ausdrucksformen und die Einlässlichkeit, mit der sowohl der Sänger als auch der Pianist den Stücken auf den Grund gingen. Dass es dabei bisweilen, zumal in den Schlussmomenten der Lieder, zu einer Art Zelebrieren kam, musste und konnte mit etwas Nachsicht hingenommen werden.

Nicht weniger anregend waren die Verzahnungen in einem Programm, das an den hundertsten Geburtstag Bernd Alois Zimmermanns erinnerte. Die drei Solosonaten für Geige, Bratsche und Cello, die Zimmermann zwischen 1951 und 1960 komponiert hat, erscheinen selten im Konzertsaal – was wenig erstaunt, sind sie doch von kaum zu bewältigender Schwierigkeit. Grossartig, wie Ilya Gringolts die Virtuosität der Geigensonate blitzen liess und wie James Boyd die schwarze Depression der Bratschensonate zur Geltung brachte; die Cellosonate mit David Eggert, der kurzfristig für den erkrankten Thomas Demenga eingesprungen war, musste für uns leider einer unumgänglichen Reisedisposition weichen. Der Moment geriet ohne Zweifel nicht weniger hochstehend, denn der aus Kanada stammende Cellist trug massgeblich zur Wirkung des Trios in B-dur, D 471, von Schubert bei – einem Fragment, das ganz im Geiste Mozarts geschrieben ist. Mozart selbst war mit seinem grossen Duo in G-dur, KV 423, vertreten, in dem Gringolts und Boyd impulsiv mit dem Tempo arbeiteten und sorgsam artikulierten – mithin zu äusserst lebendigem Dialogisieren fanden. Zum Schluss gab es Ludwig van Beethovens Streichtrio in D-dur, op. 9, Nr. 2. Zimmermann und schönste Musik im Tonfall der Klassik, das machte den Reiz dieser blendend komponierten und grandios interpretierten Werkfolge aus.

Starke Gegensätze prägten auch das Eröffnungskonzert; es stand im Zeichen der Verbindung zwischen dem deutschsprachigen und dem französischsprachigen Kulturraum, die Klaus Lauer zu einer wichtigen Schiene in seinen Programmen ausgebaut hatte und die Lotte Thaler nun fortführt. Mit dem Diotima-Quartett aus Paris war eines der führenden Ensembles im Bereich der neuen Musik verpflichtet, und dass dieser Ruf gerechtfertigt ist, erwies das Streichquartett in g-moll (1893) von Claude Debussy, das Yun-Peng Zhao und Constance Ronzatti (Violinen), Franck Chevalier (Viola) und Pierre Morlet (Violoncello) in einer Sinnlichkeit sondergleichen aufblühen liessen. Ganz anders das zwölf Jahre später entstandene Streichquartett Nr. 1 in d-moll, op. 7, von Arnold Schönberg, das die Chromatik bis kurz vor die Atonalität hochtreibt, das in mancher Hinsicht aber an die späten Streichquartette Beethovens anschliesst und nicht ohne Druck auskommt. Geriet dieses Stück dem Diotima-Quartett klanglich und dynamisch etwas pauschal, so fesselte das Ensemble in der Mitte des Programms mit «sogni, ombre e fumi», einem 2016 entstandenen Streichquartett von Tristan Murail. In einen fast tonlos gehauchten Beginn wirft die Bratsche Pizzicati und weiche Akkorde ein, die übrigen Instrumente reagieren mit kurzatmigen Bewegungen, dazu kommen bald mikrotonal verfärbte Klänge, bis sich alles in einem Unisono der beiden Geigen beruhigt – so haptisch gestaltet Murail eine Folge von Verläufen, die von klaren Konturen leben und den Zuhörer auf Anhieb gefangen nehmen. Auch das gibt es: neue Musik, die sich verständlich macht, ohne auf Anbiederung zu setzen. In Badenweiler ist sie zu hören.

«Echos – Ferne Erinnerungen» – so ist die Herbstausgabe der Badenweiler Musiktage überschrieben. Sie findet vom 8. bis zum 11. November statt. Und bringt etwa das Streichquartett op. 1 von Glenn Gould mit dem Minguet-Quartett, einen Auftritt des Arditti-Quartetts mit dem Countertenor Jake Arditti sowie die «Monologe» von Bernd Alois Zimmermann und Ferruccio Busonis «Fantasia contrappuntistica» mit dem Klavierduo Grau-Schumacher.

Alle sechzehn, keinesfalls weniger

Die Streichquartette Beethovens und ein Epochenwechsel bei den Badenweiler Musiktagen

 

Von Peter Hagmann

 

Besonders, nämlich fordernd und anregend, waren die Badenweiler Musiktage jederzeit. Als ich zum ersten Mal in die liebliche Gegend etwas nördlich von Basel kam, vor knapp dreissig Jahren, fanden sie noch im Hotel Römerbad statt und hiessen darum «Römerbad-Musiktage». Klaus Lauer, ihr Erfinder und spiritus rector, wirkte von Berufs wegen als Geschäftsführer des hochkarätigen Hauses in Badenweiler, hatte zugleich aber eine ausgeprägte Schwäche für klassische Musik. Weil dem Hotelier missfiel, dass in den trüben Novembertagen die Gäste ausblieben, trat der Melomane auf den Plan. 1973 gründete Lauer die Römerbad-Musiktage als ein kleines, aber eben besonderes Festival von wenigen Tagen eines verlängerten Wochenendes; es sollte die Auslastung des Hauses fördern und gleichzeitig eine ungewöhnliche Art Begegnung mit der Musik bieten. Bis 2007 leitete er das über die Jahre hin vielfach erweiterte Festival, dann zog es ihn weg: aus dem Hotel wie aus dem Schwarzwaldstädtchen. 2008 ging er für vier Jahre nach Bad Reichenhall, wo er die künstlerische Leitung des Festivals Alpenklassik besorgte; 2013 kehrte er nach Badenweiler zurück, um die Intendanz der neu gegründeten Badenweiler Musiktage zu übernehmen.

Bild Badenweiler Musiktage

In der Grundidee ging es den damaligen Römerbad-Musiktagen darum, das Erlebnis der gehobenen Hotellerie mit einem hochstehenden musikalischen Angebot zu verbinden. Da die von Lauer eingeladenen Künstler ebenfalls im Hotel wohnten, geschah diese Verbindung in intimem Rahmen. Wer sich auf einen Spaziergang aufmachte, konnte im Vorbeigehen mit dem (inzwischen verstorbenen) Pianisten Zoltan Kocsis ein Wort wechseln. Wer spät am Abend noch auf ein Glas in die Bar ging, konnte dort auf Mitsuko Uchida stossen, die am Flügel nicht genug bekommen konnte von Schubert. Die ungewohnte Nähe zwischen dem Künstler und seinen Zuhörern, sie beförderte im Publikum die Intensität der Auseinandersetzung wie den Mut, sich auf Neues einzulassen. So bildete sich hier eine Stammklientel, die sich ganz und gar dem Geist des Festivals verschrieb – die spezielle Konstellation und ihre anhaltend geglückte Konkretisierung ermöglichten es.

Zu dem in Badenweiler gelebten Geist gehörte nicht nur die Offenheit in ästhetischer Hinsicht, sondern auch intellektuelle Regsamkeit. Einführungen genossen alle Aufmerksamkeit, bisweilen waren auch Proben offen, und die kritische Anteilnahme fand auf hohem Niveau statt. Nicht zu unterschätzen war aber auch die ganz eigene Sinnlichkeit der Veranstaltung. Mag sein, dass die südbadischen Weine ihre Rolle spielten. Ebenso von Bedeutung war die im «Römerbad» gepflegte Kulinarik; nicht von ungefähr erinnere ich mich mit einigem Wohlgefallen daran, wie in den letzten Momenten der Konzerte die Düfte des anschliessenden Abendessens verbreiteten. Und kein Wunder, hat sich Heinz Josef Herbort, der damalige Musikkritiker der «Zeit», in einem Herbst nicht seinem Metier hingegeben, sondern sich als Hilfskraft in der Hotelküche verdingt – und dafür in einer kleinen Zeremonie ein Diplom sowie die vereinbarte Gage in der Höhe von einer Deutschen Mark überreicht bekommen.

Das Zentrum des Geists von Badenweiler bildete indessen eine im positiven Sinne elitäre Grundhaltung. Nur das Beste, nur das Interessanteste sollte gut genug sein. Erstklassige Vertreter ihrer Kunst waren zugegen. 1989, die Berliner Mauer war eben gefallen, konnte man Kontakt aufnehmen mit dem Komponisten György Kurtág und seiner Gattin Márta, der Pianistin, beide im Westen noch so gut wie unbekannt. Im Jahr zuvor war Elliott Carter zu Gast gewesen, der damals schon achtzigjährige Komponist aus den USA, der hierzulande selten gehörte Musik im Geist der europäischen Avantgarde schrieb. Zentralfiguren waren Wolfgang Rihm und Pierre Boulez. Als er den berühmten Komponisten und Dirigenten für einen Auftritt in Badenweiler angefragt habe, so Klaus Lauer, sei die Antwort ein glattes Nein gewesen; für ein einzelnes Konzert komme er nicht, es müsse schon eine ganze Woche sein. So kam es 1990 zu jener denkwürdigen Ausgabe der Musiktage, bei der Boulez mit dem damals noch von ihm selbst geleiteten Pariser Ensemble Intercontemporain einen denkbar breiten Horizont moderner Musik ausschritt.

Mit dem Abschied Klaus Lauers von seinem Hotel und, wenigstens vorläufig, von seinem Festival war das dahin. Allerdings nicht ein für alle Mal, wie inzwischen feststeht. 2013 wurden das Festival wiederbelebt, nun unter der Bezeichnung «Badenweiler Musiktage» und durchgeführt von der örtlichen Therme zusammen mit der Gemeinde und einer Gruppe von Sponsoren, aber nach wie vor mit zwei Ausgaben, einer im Frühjahr, einer im Herbst. Die Atmosphäre des grossbürgerlichen Hotels ist Vergangenheit, nicht aber der Geist. Einführungen gibt es weiterhin. Und am Ende der Konzerte wird jeweils ein Glas badischen Weissweins gereicht, was der Kontaktnahme förderlich ist – zum Beispiel jener mit den Musikern, die sich bald unters Publikum mischen. Und was die Programmgestaltung betrifft, ist bei den Badenweiler Musiktagen auch heute manches möglich, was andernorts ausgeschlossen wäre.

Wer wäre schon in der Lage, eine integrale Aufführung der sechzehn Streichquartette Ludwig van Beethovens an sechs Abenden aufs Programm zu setzen, die Grosse Fuge op. 133 eingeschlossen, und das dargeboten von einem einzigen Streichquartett? Bei Klaus Lauer ist so etwas möglich; er hat es seinem Publikum, aber auch sich selbst geschenkt – zum Abschluss, zum Abschied, denn mit dieser Herbst-Ausgabe des Festivals zieht sich Lauer von der Leitung der Badenweiler Musiktage zurück. Mitgetragen hat das wagemutige Projekt das Danel-Quartett, das französisch geprägte Ensemble mit Sitz in Brüssel, das schon seit 1991 besteht, im deutschsprachigen Kulturkreis aber viel zu wenig bekannt ist.

Das ist zu bedauern, handelt es sich hier doch um eine sehr spezielle, weil sehr persönlich wirkende Gruppierung. Seine Mitglieder unterscheiden sich erheblich voneinander. Der Cellist Yovan Markovich, seit 2013 mit dabei, bleibt jederzeit, auch in heikelsten Momenten, souverän und makellos, bringt zugleich aber ungeheure musikalische Energie ins Ensemble ein. Ihm zur Seite der Bratscher Vlad Bogdanas, der, wenn er denn heraustreten darf, eine Innigkeit eigenen Zuschnitts hören lässt. Noch mehr gilt das für Gilles Millet, der an der zweiten Geige den ruhenden Pol bildet, dabei aber keineswegs im Schatten bleibt, weil er so viel unaufgeregte Genauigkeit beisteuert. Das braucht es, denn Marc Danel als Primarius ist ein Feuerteufel erster Güte. Er legt sich unheimlich in den Klang und seine Verläufe hinein, und dabei zieht es ihm bisweilen vor lauter Spannung die Beine hoch – wann hat man Derartiges schon gesehen, ja gehört? Die Vielfarbigkeit der vier Musikerpersönlichkeiten findet nun aber zu einer Übereinstimmung, die nur staunen lassen kann; so eng sind sie miteinander verbunden, dass alles wie aus einem Guss, wie aus einer Geste heraus klingt.

Ein geradezu orchestraler Zugriff bestimmt die Auslegung der drei Quartette op. 59, die Beethoven für den Fürsten Rasumowsky geschrieben hat. Das heisst freilich nicht, dass die verrückten Zuspitzungen, die der Komponist hier gesucht hat, in der Fülle des Wohlklangs untergingen – nein, sie kommen erst recht als solche zur Geltung. Viele Einzelheiten bleiben dabei in Erinnerung, etwa die rhythmische Prägnanz, die, vom Primarius mit seiner fast perkussiven Bogenführung ausgelöst, das F-dur-Quartett op. 59, Nr. 1 kennzeichnet, oder das sensationell stimmende Tempo im Scherzo und im Trio des C-dur-Quartetts op. 59, Nr. 3. Im Vergleich zur Extravaganz von Opus 59 boten die drei nächsten Quartette, F-dur op. 74, f-moll op. 95 und Es-dur op. 127, spielfreudige Entspannung. Mit historisch informierter Aufführungspraxis hat das Danel-Quartett nichts am Hut. Dennoch wurde in der Maestoso-Einleitung zum Kopfsatz von Opus 127 ebenso sorgfältig wie phantasievoll mit dem Einsatz des Vibratos gearbeitet. Während sich in dem unglaublich ausladenden Adagio dieses Quartetts wieder Wunder an Tempogestaltung ereigneten.

Bild Badenweiler Musiktage

Der gewaltige Schlusspunkt war ein Abschied ganz nach dem Geschmack von Klaus Lauer. Im kommenden Frühjahr geht es jedoch mit neuer Energie weiter. In der Musikologin Lotte Thaler, noch für kurze Zeit als Musikredaktorin beim SWR tätig und als langjährige Besucherin, bisweilen Mitwirkende, mit den Badenweiler Musiktagen vertraut, ist genau die richtige Nachfolgerin gefunden worden. Auch wenn sie ihre eigenen Akzente setzt, bleibt sie dem Geist von Badenweiler treu. «Heut‘ und ewig» lautet das Motto ihrer ersten Ausgabe – was heisst, dass das Kernrepertoire seine Bedeutung bewahrt, dem Hergebrachten aber Neues beigesellt wird. Indem sie an den hundertsten Todestag von Claude Debussy und den hundertsten Geburtstag von Bernd Alois Zimmermann erinnern, führen die Badenweiler Musiktage im Frühjahr 2018 die traditionelle Verbindung zwischen dem Deutschen und dem Französischen weiter. Das Pariser Quatuor Diotima wird Tristan Murail spielen und das Streichquartett Debussys, aber auch das erste Quartett Arnold Schönbergs. Der Bariton Hans Christoph Begemann wird Lieder von Franz Schubert mit solchen von Wolfgang Rihm kombinieren. Ilya Gringolts wird mit James Boyd und Thomas Demenga unter anderem die drei für ihre Instrumente geschriebenen Solosonaten vorstellen, während Alexander Melnikov auf nicht weniger aus drei Instrumenten Klaviermusik zwischen Schubert und Strawinsky einbringt. Nicht wenig, was dieser Auftakt verspricht.

Die nächsten Badenweiler Musiktage, die ersten unter der Leitung von Lotte Thaler, finden vom 28. April bis zum 1. Mai 2018 statt. Informationen unter www.badenweiler-musiktage.de.