Auf neuem Weg

Violinsonaten Mozarts beim Musikkollegium Winterthur

 

Von Peter Hagmann

 

An Wolfgang Amadeus Mozarts Sonaten für Klavier und Violine wagen sich nur die allermutigsten, um nicht zu sagen: die allerbesten Geiger, und für die Pianisten gilt dasselbe. Aus jüngster Zeit sind etwa Alina Ibraghimova zu nennen, welche die insgesamt 35 Stücke mit ihrem Klavierpartner Cédric Tiberghien aufgenommen hat, oder ihre Kollegin Isabelle Faust, die zusammen mit Alexander Melnikov für das Label Harmonia mundi an einem bemerkenswerten CD-Projekt mit dieser Musik arbeitet. Der Grund für die Probleme ist rasch genannt: Mozarts Geigensonaten sind wesentlich heikler zu spielen, als sie klingen. Sie leben von kleinen Bewegungen auf engem Raum, und sie geben sich fast durchwegs verspielt, ja unbeschwert. Vor allem stellen sie nicht ein Soloinstrument mit Klavierbegleitung in den Raum; gerade in den frühen Sonaten – die Gattung hat Mozart von Kindsbeinen an bis wenige Jahre vor seinem Tod beschäftigt – gebührt der Vorrang meist dem Klavier, an dessen Seite sich die Geige in unterschiedlichster Beziehung zum Tasteninstrument artikuliert. Das alles führt dazu, dass diese Stücke zwischen KV 6 und KV 526 nicht sonderlich beliebt sind, weder bei den Musikern noch beim Publikum, und dass sie dementsprechend selten gespielt werden.

Beim Musikkollegium Winterthur sind sie nun jedoch erklungen – nicht allesamt, aber doch die 16 berühmten unter ihnen. «Mozart-Challenge» nannte sich das Unternehmen mit Roberto González Monjas, dem Ersten Konzertmeister des Musikkollegiums, und dem Pianisten Kit Armstrong. Und wie schon in früheren Jahren, bei den Projekten mit den Violinsonaten von Beethoven und Brahms, gab es ein Rahmenprogramm, eine kleine Ausstellung und ein Wiener Kaffeehaus, in dem sogar, vom Geiger eigens hergebracht, die berühmten Mozart-Kugeln aus der Salzburger Konditorei Fürst angeboten wurden. Nicht nur das Kaffeehaus war gut besucht, beim dritten und letzten Abend im Zyklus war auch der Musiksaal im Stadthaus so gut wie voll besetzt. Abgesehen vom unvermeidlichen Geräusch eines Mobiltelephons herrschte zudem jene gespannte Aufmerksamkeit, die sich heute in Konzerten nicht mehr selbstverständlich einstellt. Am Ende sprangen die Menschen von den Sitzen auf und brach ein Jubel aus, dass es eine Art hatte. Das nach Geigensonaten von Mozart.

Nach einer Musik nämlich, die in der Darbietung durch Roberto González Monjas und Kit Armstrong gründlich anders klang als gewöhnlich, nämlich vielgestaltig, beredt und spannend. Kit Armstrong spielte einen Bechstein-Flügel, und er entlockte diesem wunderschönen Instrument Lineaturen von heller, durchsichtiger Zeichnung. Roberto González Monjas wiederum arbeitete mit ganz leichter, von jedem Druck befreiter Bogenführung und sehr dosiert eingesetztem, meist nur kleinem Vibrato; der Klang seines ebenfalls traumhaften Instruments von Giuseppe Guarneri, einer durch fünf Winterthurer Familien gekauften und durch die Rychenberg-Sitftung zur Verfügung gestellten Geige aus dem frühen 18. Jahrhundert, blieb darum jederzeit schlank und obertonreich. Dazu kam die ausgeprägte Artikulation: die ganz bewusste, vielfach ausdifferenzierte Unterscheidung zwischen dem Gebundenen und dem Gestossenen, aber auch die Aufmerksamkeit für die Differenzierung zwischen schwer und leicht innerhalb des einzelnen Taktes. So wurde zum Beispiel gleich im zweiten Takt der eröffnenden Sonate in F-dur KV 377 eine absteigende Folge von vier Vierteln zu einer aufregenden Sache. Bei den Variationen im abschliessenden Allegretto der Es-dur-Sonate KV 481 dagegen zeigte sich, zu welcher Virtuosität das bestens aufeinander abgestimmte Duo vorzudringen vermag, und wie mutig pikant die beiden Musiker das Geschehen auszulegen wagten. Kein Wunder, wurden die drei mittleren Sonaten in Es-dur KV 302, C-dur KV 303 und vor allem jene in D-dur KV 306 mit ihrer wahnwitzigen Kadenz im Finale zu einem hochgradig animierenden Erlebnis.

Entdeckungsreisen bei und mit Mozart

Sonaten für Klavier und Violine mit Cédric Tiberghien und Alina Ibragimova

 

Von Peter Hagmann

 

Von Anne-Sophie Mutter gibt es eine schöne CD-Box mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Sie trägt den ebenfalls schönen Titel «Die Sonaten für Klavier und Violine». Allein, das ist ein Irrtum, lauten müsste der Titel nämlich «Sonaten für Klavier und Violine» – ohne den bestimmten Artikel. Die vierteilige Edition enthält 16 Stücke für diese Besetzung, wo es von Mozart doch deren 37 gibt. Die Besetzung immerhin, die wird richtig angegeben; die Sonaten sind tatsächlich für Klavier und Violine, nicht für Violine und Klavier geschrieben. Aber schon optisch, erst recht jedoch musikalisch dominiert die Geigerin das Album voll und ganz, während der originelle Lambert Orkis auch hier als ihr charmanter Begleiter im Hintergrund wirkt.

Obwohl die Box erst zehn Jahre ist, erscheint sie als Produkt einer vergangenen Zeit. Jedenfalls dann, wenn man sich den Aufnahmen der Mozart-Sonaten zuwendet, die Cédric Tiberghien und Alina Ibragimova derzeit auf CD publizieren. Hier geht es wirklich um «Die Sonaten für Klavier und Violine», denn die 31-jährige Russin und der zehn ältere Franzose haben alle Stücke Mozarts in dieser Gattung und für diese Besetzung im Blick. Auch die ganz frühen des komponierenden Wunderkinds von acht Jahren, die auf dem Titelblatt der (vom Vater eilig vorangetriebenen) Druckausgabe noch als Sonaten für Cembalo angezeigt werden, die mit Begleitung der Violine gespielt werden könnten. Das ist von hohem Reiz; in den sechs Sonaten KV 10 bis 15 zum Beispiel, 1764 entstanden, gibt es viel zu entdecken. Zum Beispiel die rasant aufsteigende Tonleiter des Klaviers, die sehr ungewöhnlich in die dreisätzige C-dur-Sonate KV 14 einführt, oder den Effekt eines Glockenspiels, den der Pianist im Trio zum abschliessenden Menuett dieser Sonate zu erzielen hat.

Überraschende Einfälle eines Kindes? Das Staunen erhöht sich, wenn diese Einfälle so hochstehend präsentiert werden, wie es hier geschieht. Zum Einsatz kommen Instrumente unserer Tage; Cédric Tiberghien sitzt an einem Steinway, Alina Ibragimova spielt auf einer Violine von Bellosio aus dem späten 18. Jahrhundert, wenn auch in heute üblicher Ausstattung. Was für die Wiedergabe von Musik Mozarts gilt, was also die historisch informierte Aufführungspraxis in den letzten Jahrzehnten ans Licht gebracht hat, das ist dem Duo aber völlig bewusst und wird von ihm auch auf dem «modernen» Instrumentarium ganz selbstverständlich eingesetzt – mit Gewinn, kommt es doch weniger auf das Instrument an sich als auf den Geist an, mit dem das Instrument behandelt wird.

Ausgezeichnet gelöst ist etwa das heikle Problem der Balance zwischen dem Klavierpart, der hier in unterschiedlichster Weise die Hauptsache darstellt, und dem der Geige, die einmal kommentierend im Hintergrund wirkt, einmal dialogisierend auf Gleichberechtigung pocht: Pianist und Geigerin konzertieren in diesen Aufnahmen auf Augenhöhe, vielgestaltig und vital. Dazu kommt zu einen, dass Cédric Tiberghien sorgsam zwischen dem Gebundenen und dem Gestossenen unterscheidet und so zu sprechender Artikulation findet. Zum anderen fällt prägend ins Gewicht, dass Alina Ibragimova grundsätzlich vom zurückhaltenden, geraden Ton ausgeht, das heisst: Klangfülle und Vibrato als das Besondere einsetzt und so zu unterstreichender Wirkung bringt. Welten liegen zwischen diesem neuartigen Ansatz und jenem von Mutter und Orkis.

Fünf Doppelalben soll die von Hyperion ebenso vorzüglich wie schlicht präsentierte Edition umfassen. Aufgebaut ist sie nicht chronologisch, vielmehr bietet jede der bisher erschienen Folgen eine Mischung aus frühen, mittleren und späten Sonaten, die weniger nach tonartlicher Verwandtschaft als nach stilistischer Unterschiedlichkeit zueinander gestellt sind. Wer sich neugierig auf die C-dur-Sonate KV 10 eingelassen hat, kann sich danach der ausserordentlich tief gehenden Sonate in e-moll KV 304 – das weit in die Zukunft weisende Wunderwerk eines Zweiundzwanzigjährigen. Der helle Klavierton, der diskret präsente Bass, die Leichtigkeit in der Formung der von Mozart mit einem Keil versehenen, also akzentuiert gewünschten Töne, die Unterschiedlichkeit in der Ausführung der Triller, die fast unmerklichen, aber doch ins Gewicht fallenden Veränderungen in den durchwegs respektierten Wiederholungen – all das führt zu reichhaltigem Hörerleben. Besonders anrührend im zweiten, abschliessenden Satz das «sotto voce» des Menuetts und das «dolce» im Trio, das in E-dur gehalten ist und in dieser Einspielung wie eine Insel der Glückseligen erscheint.

Wolfgang Amadeus Mozart: Sonaten für Klavier und Violine. Cédric Tiberghien (Klavier), Alina Ibragimova (Violine). Hyperion 68091 (Vol. 1), 68092 (Vol. 2), 68143 (Vol. 3).