Beethovens Bagatellen – Wunderwerke an Verdichtung und Originalität

Der Pianist Christoph Scheffelt legt die überraschungsreichen Miniaturen in einer vorbildlichen Aufnahme vor.

 

Von Peter Hagmann

 

Klein sind sie, aber fein. Kurz, doch voller Überraschungen. Sein Leben lang hat sich Ludwig van Beethoven auch mit Petitessen abgegeben. Nicht Versuche, nicht Entwürfe sind es, sondern abgeschlossene Werke kürzester Ausdehnung für Klavier – Aphorismen gleichsam, in denen sich Verdichtung unerhörter Art und frappante Originalität finden. Erste Beispiele dazu stammen von 1783, der Komponist war da knapp dreizehn Jahre alt. Etwas älter geworden, bezeichnete er diese Werke als Bagatellen; der Titel taucht 1795 erstmals auf – in jenem Jahr, da Beethoven auch das Rondo mit dem Titel «Die Wut über den verlorenen Groschen» schrieb. Wohl 1802, Beethoven hatte sich inzwischen in Wien niedergelassen, entstanden sieben Bagatellen, die dem Komponisten so wertvoll waren, dass er sie als Opus 33 in sein offizielles Werkverzeichnis aufnahm. Immer wieder wandte sich Beethoven diesen Kleinigkeiten zu – bis hin in die späte Zeit seines Schaffens, aus der die elf Bagatellen op. 119 und die sechs Bagatellen op. 126 stammen.

Im Konzert werden diese Miniaturen vergleichsweise selten gespielt, in Aufnahmen sind sie aber recht ordentlich vertreten. Im nun zu Ende gehenden Beethoven-Jahr haben hier einige Einspielungen von sich reden gemacht. Grigori Sokolov hat seine Sicht auf die Bagatellen op. 119 mitschneiden lassen, Paul Lewis und Tanguy de Williencourt haben alle drei mit Opuszahlen versehenen Gruppen eingespielt – und genau dieses hat auch der als Deutscher in Chile aufgewachsene, heute in der Schweiz lebende Pianist Christoph Scheffelt getan. Seine Aufnahme klingt ganz besonders gut, was die Begegnung mit den Bagatellen Beethovens besonders attraktiv macht. Für ein solches Klangerlebnis braucht es natürlich und in erster Linie einen begabten Pianisten; ebenso bedeutsam ist aber auch der Techniker, der die Mikrophone platziert, das Mischpult überwacht und schliesslich den Schnitt besorgt. In diesem Fall ist das Andreas Werner, der das Spiel Scheffelts im Frühling dieses Jahres in der Kirche Boswil gebannt hat.

Ganz unmittelbar klingt der Flügel in dieser Aufnahme, aber nicht so direkt, als ob man die Ohren ins Instrument hielte. Zugleich herrscht ein sinnlicher Raumklang, der die Musik einkleidet und das, was von der Zeitdauer her als klein erscheint, mit Grösse versieht – mit der Grösse des Einfalls eben. In seinen Auslegungen der Bagatellen arbeitet Christoph Scheffelt das in packender Eindeutigkeit heraus. Ohne die Grenze zum Manierierten zu überschreiten, spitzt er die charakteristischen Züge der Kompositionen zu, bringt sie auf den Punkt und lässt sie den Zuhörer ungeschmälert wahrnehmen. Beispielhaft zu erleben ist es in der g-Moll-Bagatelle, der zweiten aus dem Opus 126; der Pianist unterstreicht den dialogischen Charakter der Stücks und macht es zur Szene. Eine aufbrausende Geste, die er in einem feurigen, technisch blendenden Allegro nimmt, begegnet einer sehr lyrischen, kantablen Antwort, aus der heraus sich die Fortsetzung entwickelt – eine Fortsetzung, die allerdings zu insistenten Fragen führt. Ausgezeichnet getroffen ist das.

Die auch auf den Streaming-Diensten greifbare CD ist in Koproduktion mit Radio SRF 2 Kultur entstanden und bei Prospero Classical erschienen. Prospero? Ja, so nennt sich das neue Schweizer Label, das Martin Korn, lange Jahre bei Sony Music als Labelmanager für die Schweiz tätig, gegründet hat und mit Erfolg betreibt. Acht Alben hat Prospero im ersten Jahr des Bestehens herausgebracht, weitere Produktionen sind geplant – mit Christoph Scheffelt, aber auch mit Pianisten wie Oliver Schnyder, Ulrich Koella oder Alena Cherny. Das stilistische Spektrum ist weit, es reicht vom Solistischen über Kammermusik bis zu einzelnen Orchesteraufnahmen. Die Zeit der sogenannten Majors ist vorbei, die CD lebt aber weiter; das grosse Geschäft wartet hier nicht mehr, in den diversen Nischen blühen jedoch Pflanzen von ungeahntem Reichtum – in Form wie Farbe.

Ludwig van Beethoven: Bagatellen für Klavier opp. 33, 119, 126; Bagatelle in a-Moll «Für Elise». Christoph Scheffelt (Klavier). Prospero Classical 0008 (CD, Aufnahme 2020, Publikation 2020).