Geistreiches Vergnügen

A la française – Yaara Tal und
Andreas Groethuysen an zwei Klavieren

 

Von Peter Hagmann

 

Immer noch und immer wieder wissen sie zu überraschen. Unermüdlich durchforsten Yaara Tal und Andreas Groethuysen die Bibliothekskataloge nach Musik für Klavier zu vier Händen oder für zwei Klaviere, und sind sie fündig geworden, tragen sie ihre Schätze mit fulminantem Können und spritzigem Temperament an die Öffentlichkeit. So auch jetzt wieder mit ihrer jüngsten CD-Publikation bei Sony, ihrem Label seit mehr als drei Jahrzehnten, das die Neuerscheinung selbstverständlich auch auf den angesagten Plattformen im Netz greifen lässt. Nach den 18 Studien über Johann Sebastian Bachs «Kunst der Fuge», einem anspruchsvollen Werk des Deutschen Reinhard Febel, kommt nun eine sehr hübsch angerichtete Platte mit geistreich unterhaltender Musik aus der spätromantischen Küche Frankreichs auf den Tisch.

Louis Théodore Gouvy – kennen Sie den aus dem Saarland stammenden, in Paris ausgebildeten Komponisten? Vielleicht dem Namen nach. Seine Sonate in d-moll op. 66 von 1876, erst recht aber die kurz danach entstandenen Variationen über das irische Volkslied «Lilli Bulléro» belohnen den hörenden Annäherungsversuch durch individuell geprägten Umgang mit Traditionen, durch speziell gefärbte Harmonik und originelle Einfälle – das alles im Spannungsfeld zwischen deutscher und französischer Kultur. Weiter als Gouvy ging der eine Generation später geborene Théophile Ysaÿe, der heute vergessene, seinerzeit angesehene Bruder des berühmten Geigers. Seine Variationen op. 10 von 1910 durchmessen in der Abfolge der Tonarten zwei Oktaven in Terzschritten, nur ist das kaum wahrzunehmen, denn harmonisch schwebt der musikalische Satz frei im Geiste Debussys. Attraktiv ist das, und was das Stück an technischem Raffinement bereithält, macht staunen.

Im Gegensatz dazu nehmen sich die Variationen über ein Thema Beethovens von Camille Saint-Saëns, sie tragen die Opuszahl 35 und sind 1874 entstanden, klassizistisch aus; sie glänzen jedoch mit sprühendem Witz und untadeligem Handwerk. Das Thema entnahm der Komponist Beethovens Klaviersonate op. 31 Nr. 3. Das Menuett zum Trio dieser Sonate in Es-dur spaltet sein Thema in einen tiefen und einen hohen Bereich, gleichsam in eine Wechselrede zwischen Mann und Frau: die ideale Anlage für eine Verarbeitung auf zwei Klavieren. Der dialogische Effekt geht allerdings etwas verloren, weil die Aufnahme die beiden Klaviere nah zueinander rückt, so wie sie auf dem Podium ja auch aufgestellt sind, darum aber wenig Räumlichkeit erzeugt. Ausgezeichnet ist aber wahrzunehmen, mit welcher Phantasie Saint-Saëns zu Werk geht – wie er das Thema dreht und wendet, es aus hingetupften Akkorden herausscheinen lässt, es zu einem Trauermarsch formt und ihm zum Schluss noch die obligate Fuge abgewinnt. Der «Tourbillon», der Wirbelwind, der Französin Marguerite Méran-Guéroult bietet daraufhin den zündenden Kehraus.

Prickelnd und belebend ist das alles. Und leicht fügt es sich ins Ohr; wer jedoch genauer zuhört, stösst auf manche präzis gesetzte Pointe. Denn Yaara Tal und Andreas Groethuysen gehen mit verschmitzter Spiellust ans Werk. Die geradezu zirzensische Fingerfertigkeit, die hier bisweilen gefordert ist, meistern sie blendend. Und unter ihrem Zugriff klingen ihre beiden Klaviere herrlich opulent, samten in den Bässen, silberhell im Diskant. Viel Vergnügen.

Avec Esprit. Werke für zwei Klaviere. Louis Théodore Gouvy: Sonate in d-moll op. 66, Variationen über das irische Volkslied «Lilli Bulléro» op. 62. Théophile Ysaÿe: Variationen op. 10. Camille Saint-Saëns: Variationen über ein Thema von Beethoven op. 35. Marguerite Méran-Guéroult: Tourbillon. Yaara Tal und Andreas Groethuysen (Klaviere). Sony 196587 10722 (CD, Aufnahme 2022, Produktion 2023).

Mozart, aber nicht Wolfgang Amadeus

Eine anregende CD der Pianistin Yaara Tal

 

Von Peter Hagmann

 

Frappant, die beiden Portraits die sich genau in der Mitte des Booklets gegenüberstehen. Sie zeigen zwei junge Männer mit hoher Stirn, den einen gemalt im Jahre 1829, er war damals neunzehn, den anderen 1825 als Sechsunddreissigjährigen. Es sind Frédéric Chopin und Wolfgang Amadeus Mozart Sohn. So wurde er genannt, von seinem Stiefvater zum Beispiel, das sagt schon alles. Franz Xaver Mozart, dies sein wirklicher Name, kam als jüngstes Kind Mozarts und seiner Frau Constanze kurz vor dem Tod seines Vaters zur Welt. Vier seiner Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern, erreichten das Erwachsenenalter nicht; als Nachkommen eines grossen Vaters übrig blieben Franz Xaver und sein um sieben Jahre älterer Bruder Carl Thomas Mozart. Der führte, nach erfolglosen Anfängen als Musiker, eine bescheidene Existenz als Beamter in Mailand – während sein Bruder Franz Xaver, nicht zuletzt auf mehr oder weniger sanften Druck seiner Mutter, tatsächlich Musiker wurde, Komponist nämlich, und dabei eine ziemlich traurige Figur machte.

Jetzt aber fällt helles Licht auf Franz Xaver Mozart. Zu verdanken ist es Yaara Tal, die gewöhnlich zusammen mit Andreas Groethuysen in einem berühmten Klavierduo auftritt, hiermit jedoch ihre zweite Solo-CD vorgelegt hat. Sie identifiziert sich – nachzulesen in einem brillanten Beitrag der Pianistin zum Booklet ihrer CD – mit dem Schicksal Franz Xaver Mozarts, der als Komponist wenig zu Kenntnis genommen wurde, sein Leben als musikalischer Hauslehrer verbrachte und lange Jahre mit einer Frau liiert war, die mit einem zwanzig Jahre älteren Mann verheiratet und somit nicht zu bekommen war. Und sie lässt dem Komponisten Gerechtigkeit widerfahren – einem Künstler, der aus der Welt der Klassik kam und an der Schwelle zur Romantik stand. Davon zeugen etwa zehn «Polonaises mélancoliques» aus den Jahren 1811 bis 1818: kurze, von der Struktur her einfach gebaute Stücke mit einem zwei Mal gespielten Aussenteil in Moll und einem Mittelteil in Dur. Was diese Werke in den engen Grenzen an Ausdruck erzeugen, sorgt indessen immer wieder für Ah und Oh.

Das geht nicht zuletzt auf die Interpretin zurück. Liebevoll wendet sich Yaara Tal dieser zarten, innerlichen, bisweilen auch wieder heftig aufschiessenden Musik zu, sie horcht in sie hinein und bringt mit sprühender Darstellungskunst ans Licht, was sie dabei entdeckt hat. Ihr glänzender, obertonreicher Klang bildet die Basis – wobei das dynamische Spektrum, der Entstehungszeit der Werke gemäss, in angemessenen Grenzen gehalten bleibt. Im Vordergrund stehen nämlich die Farben des Klaviers und, vor allem, die Artikulation. Mit einer Fülle und einer Vielfalt an Spielweisen zwischen Legato und Non-Legato bringt Yaara Tal die zu Kunst gewordene Tanzmusik zum Schwingen, mit ihrer Anteilnahme und ihrer Einfühlung aber auch zum Träumen, mit ihren munteren Einfällen zu Überraschungseffekten. Manche Passage scheint direkt aus dem Leben des Komponisten gegriffen, die Momente stiller Melancholie berühren ganz besonders. Sie zeigen aber auch, wie in diesen Kompositionen die Entwicklung einer Gattung nach der Richtung der Romantik hin vorangetrieben wird.

Dorthin hat sich auch Frédéric Chopin bewegt. Und das eben schon früh in seinem Leben, wovon drei Polonaisen zeugen, deren erste kurz nach den «Polonaises mélancoliques» von Franz Xaver Mozart entstanden ist. Um ein Kinderstück handelt es sich da, der Komponist war bei der Niederschrift elf Jahre alt, aber Chopin war ähnlich wie Mozart ein Hochbegabter, der früh begonnen und früh geendet hat. Bei aller Nähe zwischen Mozart Sohn und Chopin, besonders im Atmosphärischen, scheint mir die Fallhöhe aber doch spürbar zu werden. Die Imagination des jungen Chopin bewegt sich schon in ganz anderen Sphären, zudem sind die Spuren der eigenen Handschrift des Komponisten nicht zu überhören. Gerade darum hat die Begegnung zwischen dem Sohn und dem Kind ihren ganz eigenen Reiz.

Polonaise. Franz Xaver Mozart: Polonaises mélancoliques op. 17 und op. 22. Frédéric Chopin: Drei frühe Polonaisen. Yaara Tal (Klavier). Sony 88985446942.