Lucerne Festival:
Beat Furrer, «composer in residence»
Von Peter Hagmann
Fast drei Jahrzehnte sind vergangen, seit Beat Furrer beim Lucerne Festival zum ersten Mal als «composer in residence» in Erscheinung trat. Gab es schon damals eine reiche Auswahl an Werken zu hören, so ist das Œuvre des bald siebzigjährigen Schweizers in Wien inzwischen kräftig gewachsen. Was es an Besetzungen und Gattungen gibt, findet sich in seinem kontinuierlich aufgebauten Werkverzeichnis. Eines ist jedoch geblieben: Es ist eine klar erkennbare, wenn auch nach vielen Richtungen erkundete und erweiterte Handschrift. Ihr zentrales Kennzeichen ist das Leise, das der Komponist ähnlich wie Helmut Lachenmann oder Salvatore Sciarrino mit besonderer Zuwendung pflegt.
So erstaunt denn nicht, dass Beat Furrer seinen Kollegen Salvatore Sciarrino mit einer kleinen Assonanz grüsst. In «Begehren», einem Beitrag Furrers zum Musiktheater, der 2003 in Graz, in der damals neuen Helmut-List-Halle, szenisch aus der Taufe gehoben worden ist – in «Begehren» scheinen für einen kurzen Moment jene kleinen, absteigenden, vom Leisen aus im Nichts verschwindenden Gesten auf, die Sciarrinos Musik so unverkennbar machen. «Begehren» ist auch diesen Sommer beim Lucerne Festival erschienen, nicht szenisch, sondern konzertant, aber doch auf der Bühne des Luzerner Theaters. In jenem Haus also, in dem Furrer, übrigens in denkbar eindrucksvoller Weise, Sciarrinos Oper «Luci mie traditrici» dirigiert hat – dies im Herbst 1999, zwei Jahre vor der konzertanten Uraufführung von «Begehren» im Schauspielhaus Graz.
Das Leise, Kleinräumige und gerade darin scharf Profilierte übt eben seine ganz eigene Anziehungskraft aus. Am Beispiel von «Begehren» ist es in besonderem Mass zu erleben. Und in besonderer Plausibilität. Auf einer Collage von Texten Cesare Paveses, Günter Eichs, Vergils und Hermann Brochs geht Beat Furrers Stück dem Orpheus-Mythos nach, genauer: dem verbotenen, fatalerweise aber gleichwohl ausgeführten Blick des Sängers nach hinten zu seiner aus dem Totenreich befreiten Gattin. Alles ist hier schattenhaft, die vom Komponisten selbst geleitete Aufführung liess es eindringlich erleben. Das von Furrer selbst gegründete Klangforum Wien (warum blieben im Programmheft die Namen der Streicher neben der Konzertmeisterin ungenannt?) flüsterte, zischte, raschelte, und das von Cordula Bürgi vorbereitete Vokalensemble Cantando Admont tat es ihm gleich – alles in komplexer Rhythmik und reichster Farbgebung. Hervorragend auch die Sopranistin Sarah Aristidou und der über weite Strecken als Sprecher fungierende Bass Christoph Brunner; beide werden auch an der für März 2025 vorgesehenen Uraufführung von Beat Furrers neuer Oper «Das grosse Feuer» am Opernhaus Zürich mitwirken.
ER und SIE, so sind Orpheus und Eurydike in «Begehren» abstrahierend benannt, begegnen sich im Dunklen. Das erinnert an Furrers erste, tief beeindruckende Oper «Die Blinden» von 1989. Anders als dieses Stück trägt «Begehren» jedoch das Problem in sich, eingeschlossen zu sein in seiner Abstraktion und sich dem Publikum nicht wirklich mitzuteilen. Trotz der subtilen Klangregie von Markus Wallner blieben im Luzerner Theater die gewisperten Texte unverständlich. Das mag seinen Sinn haben; die Begegnung zwischen Orpheus und Eurydike bleibt ja unmöglich, sie endet mit dem Tod der Protagonisten. Der Klang müsse sprechen, etwas in Bewegung setzen, sagt der Komponist zu seinem Schaffen. Wenn aber die Menschen im Auditorium derart im Dunklen tappen, wie es hier zu geschehen hat, dann läuft Furrers grossartige Musik Gefahr, ins Leere zu laufen. In eine Unverbindlichkeit, die dem hochstehenden künstlerischen Entwurf nicht entspricht.
Nicht weniger zwiespältig die Eindrücke bei Beat Furrers Orchesterstück «Lichtung» im Konzertsaal des Luzerner KKL. Gross angelegt war die Uraufführung dieses Kompositionsauftrags von Roche; mit seinem Engagement im Bereich der neuen Musik beim Lucerne Festival führt der Basler Chemiekonzern in verdienstvoller Weise eine von Maja und Paul Sacher begründete mäzenatische Tradition weiter. Das vom Lucerne Festival Contemporary Orchestra unter der Leitung des Komponisten engagiert vorgestellte Stück erzählt ebenfalls keine Geschichte, kennt aber doch einen fassbaren formalen Verlauf. Er führt von einem zarten Flimmern in einen Bereich muskulöserer Klanggebung und nimmt dann den Beginn wieder auf. An langjähriger Erfahrung gereifte Imagination und meisterliches Handwerk zeigen sich da. Am Ende bleibt jedoch die Frage, ob die Partitur nicht doch Zeichen einer gewissen ästhetischen Verfestigung aufweise.
Bei dem Trompetenkonzert «Meduse» von Lisa Streich, ebenfalls «composer in residence» dieses Luzerner Sommers, kann davon keine Rede sein. Die 1985 geborene Schwedin scheint lebhaft mit dem Suchen nach ihrem Eigenen beschäftigt. Lustvoll tummelt sie sich im Garten dessen, was Spätromantik und Moderne im Bereich der Kunstmusik ausgelegt haben – alles freilich in indirekter Präsenz, beschädigt, gesehen durch ein Fenster mit Sprüngen. Immer wieder und in immer anderen Konstellationen taucht das Element der Quart auf, folgen sich Kadenzen in Moll und kommt es zu rauschhaften Steigerungen im Geiste Tschaikowskys, dazu schwingen die Schlagzeuger ihre bunten Schläuche und muss der Solist an der Trompete – es ist der gefeierte Simon Höfele, der jedoch kaum je wirklich zu hören ist – sein Instrument durch einen Wasserschlauch ersetzen. Einige Augenblick lang hat das seine erheiternden Seiten, doch bald nutzen sich die Ideen ab, beginnt das Material verbraucht zu wirken und gerät man ins Grübeln über «Elle est belle et elle rit», den Untertitel des Stücks. Medusa einmal anders als mit kullernden Augen und züngelnden Schlangen. Nun ja, vielleicht ist da nicht alles so ernst gemeint.