Die Elektramaschine – im Genfer Grand Théâtre

 

Von Peter Hagmann

 

Bild Carole Parodi, Grand Théâtre de Genève

Der italienische Stil der Operninszenierung füllt den Raum mit Bebilderungen – zumal mit solchen, welche die Anweisungen der Librettisten und Komponisten getreulich umsetzen; «Bohème» ohne Pariser Dachstüberl ist dort unmöglich. Gerade umgekehrt ist es beim deutschen Regietheater; hier wird die Bühne jenseits aller Vorgaben in der Partitur durch Zeichen eigener Erfindung im Geiste deutender Intention angereichert. Das Gegenmodell dazu bildet der leere Raum, nicht jener von Peter Brook, aber etwa jener von Robert Wilson, der sich, um dies Beispiel auszudenken, für Wagners «Parsifal» mit einem am Boden liegenden Speer aus Neonlicht und seiner ausgeprägten Gestensprache begnügt. Eng mit dem leeren Raum verbunden, so scheint mir, ist das Bildertheater neuerer Art, wie es Pierre Audi in vielen seiner Inszenierungen für die Amsterdamer Oper, besonders in jener von Wagners «Ring», so virtuos gepflegt hat.

Im Gegensatz zum bebildernden Theater italienischer Provenienz, auch anders als das Regietheater, füllt dieses Bildertheater nicht den Raum, es lässt ihn vielmehr erst als solchen entstehen und wahrnehmen. Indem es nämlich von der Leere ausgeht und mit wenigen, grossformatigen Elementen die Umrisse schafft, innerhalb derer sich die Darstellerinnen und Darsteller bewegen. Genau das verfolgt der deutsche Bühnenkünstler Ulrich Rasche. Für seine Inszenierung von «Elektra», dem Schauspiel Hugo von Hofmannsthals, 2019 am Münchner Residenztheater erfand er eine stählerne Bühnenskulptur, die einen langsam rotierenden Spielort ergab. Dieselbe Einrichtung bestimmt auch Hofmannsthals «Elektra» in der Vertonung von Richard Strauss, seine erste Arbeit für das Musiktheater, zu der er vom Genfer Grand Théâtre eingeladen worden ist.

Zu sehen ist ein kreisrunder, schräg in den Raum fallender Turm von mächtiger Dimension und zugleich filigraner Ausarbeitung. Unter dem Turm befinden sich zwei ebenfalls kreisrunde, schräggestellte Scheiben, die in ihrem äusseren Bereich mit Laufbändern versehen sind. Enorm wirkt diese Konstruktion, zugleich ist sie aber von hoher Beweglichkeit, da sie sich in all ihren Elementen drehen und wenden lässt. Dazu kommt, vom Regisseur und Szenographen zusammen mit Michael Bauer eingerichtet, eine unerhört effektvolle Beleuchtung, die den Bühnenraum in tiefstem Schwarz belässt, die Skulptur jedoch ganz verschiedenartig erhellt und ihre Materialität wandelbar erscheinen lässt. Im Ansatz ist das nicht neu, wenn man an die in den leeren Raum gestellte Schreibe Wieland Wagners denkt, die für die Wiederbelebung der Bayreuther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg steht. In der Ausfertigung ist es aber einzigartig. Und von hinreissender szenischer Wirkung. Bildertheater eben.

Alles ist da unentwegt in Bewegung, meist in schwieriger, anstrengender Bewegung – es fällt gleich zu Beginn auf, wenn die Mägde, die sich auf der unteren Ebene aufzuhalten haben, in die Situation einführen. Doch auch auf der oberen, der Herrschaft vorbehaltenen Ebene, auf der sich die grossen Konfrontationen ereignen, muss aufs Gleichgewicht geachtet werden. Indes, die Bewegung führt keineswegs zu Fortgang, alles dreht sich im Kreis – im unentrinnbaren Kreis einer blutrünstigen Rache. Verdeutlicht wird das durch den immer wieder abgesenkten Turm, der Klytemnästra und deren Töchter Elektra und Chrysothemis gefangen hält: Dem Fatum, von dem «Elektra» handelt, entweicht niemand. So kommt es auch kaum zu Dramatik – auch dann nicht, wenn sich der alte Diener (Dimitri Tikhonov) vor seinem sich noch bedeckt haltenden Herrn verneigt und wenn Elektra den für tot gehaltenen Bruder Orest wiedererkennt. Wie ein gigantisches Ritual läuft die Oper ab, gleichsam der Zeit enthoben, wie es das Libretto Hofmannsthals anlegt, und doch in anhaltend vibrierender Spannung.

Das gelingt, weil die Inszenierung den Raum schafft, in dem die strukturelle Komplexität und die hochgetriebene Expressivität der Musik von Richard Strauss uneingeschränkt zur Geltung kommen. Jonathan Nott, der Musikdirektor des Orchestre de la Suisse Romande, der an der Genfer Oper keine offizielle Position einnimmt, aber künstlerisch hohen Einfluss ausübt, durchdringt die Partitur bis in ihre kleinsten Verästelungen hinein mit pulsierendem Leben. Dabei ergibt sich ein Bogen, dessen durch Identifikation erzeugte Intensität in keinem Augenblick nachlässt; gleichzeitig hat Nott für jeden das erforderliche Handzeichen und für jede einen nützlichen Blick bereit. Das grossbesetzte Orchester schont sich in keinem Augenblick; es sitzt an der Stuhlkante und gibt, was es zu geben vermag. Kraftvoll und klangschön, das ist nicht selbstverständlich, die Eruptionen im Fortissimo, rund und warm die Tiefen, hell leuchtend und schimmernd die Momente der Zärtlichkeit, federnd die punktierten Rhythmen auch im grossen Ton. Zu laut ist da nichts, auch an den Stellen der vollen Kraftentfaltung sorgen die Balancierung durch den Dirigenten und die grossartig gewachsene Klangkultur des Orchesters für sinnreiche Grenzziehungen.

So bleibt ausreichend Raum für die vokale Seite, und die erheischt allen Respekt. Die drei Protagonistinnen – sie sind wie alle Mitglieder des grossen Ensembles von den Kostümbildnerinnen Sara Schwartz und Romy Springsguth in schlichtes Schwarz gewandet und mit markanten Korsetts versehen, an denen die zur Besteigung der stählernen Skulptur notwendigen Sicherheitsseile befestigt sind –, die drei Protagonistinnen sind in der Höhe postiert, ihre Stimmen überfliegen den Orchestergraben und bleiben dementsprechend präsent. Tanja Ariane Baumgartner gibt die Klytemnästra mit wohlgrundiertem, gerundetem Mezzosopran und in hohem Mass verständlich, ausserdem fern jener Hysterie, die hier so nahe liegt. Mit hellem Timbre dringt Sarah Jakubiak als Chrysothemis auf ein Leben als Frau. Während bisweilen Ingela Brimberg mit ihrem weiten Ton als eine Elektra von menschlichem Format erscheint – nicht als eine Kranke, sondern als eine Frau, die ganz einfach weiss, was sie will und keinen Schritt davon abweicht. Wunderbar der Orest von Karoly Szemeredy, köstlich der Ägisth von Michael Laurenz. Dass dem Musikalischen in der szenischen Einrichtung von Ulrich Rasche so viel Bedeutung zukommt, wie es bei «Elektra» selten der Fall ist, stellt die eigentliche Wohltat des Genfer Abends dar.

Im Ausnahmezustand – die Salzburger Festspiele 2020

Von Peter Hagmann

Salzburg, ein Sommermärchen?

Im Grunde war es der einzig richtige Weg – im Falle der Salzburger Festspiele erst recht. Während sich das Virus rasant verbreitete, das öffentliche Leben Schritt für Schritt stillgelegt wurde und die grossen Musikfestivals Europas die für den Sommer 2020 geplanten Ausgaben absagten, hielt man in Salzburg erst einmal still. Sehr lange hielt man still. Dann aber, am Abend des 25. Mai, nachdem die österreichische Regierung weitgehende Lockerungen des Corona-Stillstands verfügt hatte, gaben die Salzburger Festspiele bekannt, dass die Ausgabe zum Jubiläum ihres hundertjährigen Bestehens tatsächlich stattfinden werde, wenn auch in modifizierter Form: mit einem ausgeklügelten Sicherheitskonzept für alle Beteiligten, mit einem reduzierten Programm, mit einem deutlich verkleinerten Angebot an Sitzplätzen, mit Anlässen, die, ohne Pause und Gastronomie durchgeführt, eine Dauer von zwei Stunden nicht übersteigen sollten. Das mutige Warten und das tatkräftige Umgestalten des Programms haben sich gelohnt. Die Salzburger Festspiele als die ausstrahlungsmächtigste Institution ihrer Art führten damit vor, dass die Pandemie nicht das Ende der Kultur bedeuten muss.

In Salzburg angekommen, nimmt man mit Erleichterung Anzeichen von Courant normal wahr. Die Flaggen auf der Staatsbrücke wehen wie immer, die Kaffeehäuser sind belegt wie stets, an gewissen Orten herrscht das übliche Gedränge. Und doch: So wie jeden Sommer ist es nicht. Die Masken, in Österreich «MNS» oder «Mund-Nasenschutz» genannt, fallen schon auf, zumal in den Festspielhäusern, wo sie obligatorisch sind. Die Getreidegasse ist so leer, dass man für einmal die Möglichkeit hat, ihre architektonischen Schönheiten zu entdecken. Und im «Bazar» kann man, wenn man sich nicht allzu ungeschickt anstellt, sogar einen Tisch finden. Bemerkenswert auch die Belegung der Spielorte, an denen das Publikum nach der Art eines Schachbretts auf die Sitze verteilt ist; so ist es wenigstens im Grossen Festspielhaus, wo auch einander nahestehende Menschen einen Sitz zwischen sich freizulassen haben (in der Felsenreitschule wird das Prinzip offenbar nicht gar so streng gehandhabt). Der Abstand zum Nächsten ist gefordert – was nicht jedermann als Nachteil empfinden wird, was eine Einrichtung wie die Salzburger Festspiele mit ihrer eminenten sozialen Funktion aber schwer trifft.

Indes geht es in Salzburg wohl doch in erster Linie um die Kunst. In dieser Hinsicht stellte die vollkommene Umstellung des Programms einen Drahtseilakt erster Güte dar, freilich auch einen Schritt, dessen Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Das Angebot musste überdacht und neu disponiert werden. Bisher verkaufte Karten mussten rückvergütet, Plätze für das neue Programm mussten verkauft werden. Ein Sicherheitskonzept war zu entwerfen und zu testen. Und das alles in kürzester Zeit und unter dem Damoklesschwert von Planungsunsicherheit und unklarer Informationslage. So musste denn von dem schön durchdachten, äusserst reichhaltigen Programm zur Jahrhundertfeier der Festspiele Abschied genommen werden. Endgültig ist der Abschied jedoch nicht; weite Teile des Programms sollen zu späteren Zeitpunkten realisiert werden.  Der aussergewöhnlichen Umstände wegen dauert das Jubiläumsjahr der Salzburger Festspiele denn auch bis zum 31. August 2021, das gilt selbst für die anregende Ausstellung «Grosses Welttheater» im Salzburg Museum am Mozartplatz.

«Elektra»

Ausrine Stundyte (Elekttra) und Asmik Grigorian (Chrysothemis) in der Salzburger ,«Elektra» (Bild Bernd Uhlig, Salzburger Festspiele)

Statt der geplanten vier Neuinszenierungen gab es bei den Salzburger Festspielen 2020 also nur deren zwei. «Elektra» von Richard Strauss, einem der Gründerväter der Festspiele, wurde unverändert aus dem ursprünglichen Programm übernommen – eine herausragende Produktion, die erwies, dass die Pandemie das eine, die Kunst dagegen das andere ist. Die Wiener Philharmoniker traten, so machte es den Anschein, in voller Besetzung auf und liessen die opulente Partitur in ganzer Pracht erklingen. Im Moment der Katastrophe am Ende des knapp zweistündigen Einakters drehte das Orchester ungehemmt auf – und da wurde wieder einmal deutlich, dass das Fortissimo nicht zu Stärken der Wiener gehört, die Krone gebührt diesbezüglich den Berliner Philharmonikern. Aber die Farbenpalette, die aus dem Graben der Felsenreitschule drang, war von betörender Sinnlichkeit. Nicht zuletzt ist das dem Dirigenten Franz Welser-Möst zu danken, der mit ebenso viel Fingerspitzengefühl wie Temperament bei der Sache war.

Täuschte der Eindruck oder legte Welser-Möst den Akzent tatsächlich weniger auf die geschärften Seiten der Partitur als auf ihre klangsinnliche Ausstrahlung? Klang am Ende, wie Elektra den ahnungslosen Ägisth in die Arme ihres blutig rächenden Bruders treibt, nicht sogar ein wenig «Rosenkavalier» an? Nicht zu überhören war jedenfalls, dass des Dirigenten Deutungsansatz Hand in Hand ging mit den vokalen und den szenischen Intentionen. Elektra wird vom Regisseur Krzysztof Warlikowski von Anfang an als eine gebrochene Frau gezeigt. Zu Beginn sieht man sie, verkörpert von einem Double, nackt unter einer Dusche stehen, wo sie unter Aufsicht einer herrischen Zofe Körperpflege zu betreiben hat; später wird sie ihrem Bruder sagen, sie habe im Palast zu Mykene alles hergeben müssen, selbst ihre Scham. Es ist weniger die Obsession als deren Ursache, als der heillose Schmerz, der Elektra zu Boden drückt. Ausgezeichnet spiegelt sich das in Stimme und Darstellung von Ausrine Stundyte. Die Sopranistin aus Litauen ist keine Heroine, ihr Timbre zeichnete eher fein und stellt die verletzte Seite der Figur in den Vordergrund.

Ganz anders die Chrysothemis von Asmik Grigorian. Die ebenfalls aus Litauen stammende Salome von 2018 verfügt über eine Stimme von fabulöser Ausstrahlung und enormem Ambitus sowie eine szenische Präsenz sondergleichen. So erscheint die Chrysothemis hier, im Gegensatz zu den allermeisten Inszenierungen von «Elektra», nicht als die etwas biedere, nach Eheglück und Kindersegen strebende kleine Schwester, sondern als eine starke, ganz und gar dem Leben zugewandte Frau – als die Einzige in der Familie der Atriden, die nicht von Fluch und Wahn besessen ist, sondern positive Lebenskraft ausstrahlt. Eine grossartige Besetzungsentscheidung und eine in jeder Hinsicht überzeugende Darbietung auf der Bühne war das. Nicht minder eindrücklich der Orest von Derek Welton. Sein Auftritt mit dem lapidaren ersten Satz «Ich muss hier warten» gerät zum Höhepunkt der Oper; genau hier liegt, so der Eindruck an diesem Abend, die dramaturgische Scharnierstelle. Äusserst berührend in der Folge der Vorgang des Erkennens, an dem Jens Larsen als der alte Diener mit Schauspielkunst vom Feinsten teilhat.

Etwas oft wird an der Rampe gesungen, gewiss; störend ist es nicht. Es kommt der klanglichen Balance zugute, und in der Tat bleiben die Stimmen fast jederzeit präsent – ganz anders als in der letzten Salzburger «Elektra» von 2010, in welcher der Dirigent Daniele Gatti mit seinen Fortissimo-Exzessen das Bühnengeschehen zum Stummfilm werden liess. Darüber hinaus sind die Figuren derart plastisch gezeichnet, dass sie auch in Momenten sparsamer Aktion greifbar bleiben. Zum Ausdruck kommt das etwa bei der Klytämnestra von Tanja Ariane Baumgartner, deren Mezzosopran grandiose Kontur gefunden hat und deren Darstellungskraft enorm gewachsen ist. Ohne jeden Druck macht sie die Klytämnestra zu einer buchstäblich unheimlichen Theaterfigur.

Sie wird dadurch zur Quelle allen Übels – was als Feststellung allerdings darum nicht restlos stimmt, weil in der Inszenierung Warlikowskis der Mythos als allgegenwärtig gezeigt wird. Links auf der Bühne von Małgorzata Szczęśniak steht ein ausladender Kasten. Es ist der Schrein der Erinnerung. Durch die gläsernen Wände wird ein Salon sichtbar, in der die vermeintlichen Sieger der Geschichte, die bald ein unrühmliches Ende finden werden, ihr üppiges Leben führen. Wie sich der Mythos zu erfüllen beginnt, bewegt sich der Schrein ins Zentrum, worauf in einer raffinierten Videoarbeit von Kamil Polak auf den geschlossenen Arkaden der Felsenreitschule das Blut fliesst. Gierig aufgesogen wird dieses Blut von einer wachsenden Zahl an Fliegen, die sich nach und nach zu einem kreisenden Wirbel fügen – eine szenische Metapher, wie sie zum Ausbruch des Wahnsinns und zur musikalischen Explosion am Ende von «Elektra» nicht besser passen könnte.

«Così fan tutte»

Lea Desandre als Despina, Marianne Crebassa: als Dorabella und Elsa Dreisig als Fiordiligi in «Così fan tutte» (Bild Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele)

Neben Richard Strauss durfte in dem halben Jubiläumsjahr der Salzburger Festspiele Wolfgang Amadeus Mozart nicht fehlen. Im ursprünglichen Programm war «Don Giovanni» mit Teodor Currentzis und Peter Sellars vorgesehen. Der sinnenfreudige Totentanz musste ersetzt werden; an seine Stelle trat – «Così fan tutte». Wie das? Das Dramma giocoso mit seiner Länge von gut drei Stunden an einem pausenlosen Abend? Gewiss nicht, das Stück wurde auf etwas mehr als zwei Stunden gekürzt – ein Eingriff in ein Allerheiligstes des Kanons, von der Pandemie gefordert und durch sie gerechtfertigt. Das lässt sich umso eher sagen, als die Erstellung der Salzburger Bühnenfassung durch die Dirigentin Joana Mallwitz und den Regisseur Christof Loy ausgesprochen geglückt ist. Gestrichen wurde – das Programmbuch lässt es verdienstvollerweise nachvollziehen – in rezitativischen Teilen, wegfallen mussten aber auch Arien: jene der Despina im ersten Akt, drei der beiden Herren und ein Quartett im zweiten Akt, der in mancher Aufführung etwas Länge zeigt. Natürlich ist es schade um die Musik, die nicht erklungen ist, und um die Proportionen, die gestört sind, der dramatischen Stringenz war das Vorgehen eher förderlich.

Unterstrichen wurde es durch eine Inszenierung, deren Minimalismus beinah zu einer halbszenischen Wiedergabe führte. Die Erinnerung an den «Ring des Nibelungen» Richard Wagners 2013 beim Lucerne Festival lag jedenfalls nahe, zumal die Wirkung von «Così fan tutte» im Grossen Festspielhaus von ähnlich bezwingender Direktheit war. Die Bühne von Johannes Leiacker, ganz in Weiss gehalten, begnügte sich mit einer durch zwei Flügeltüren gegliederten Wand und einigen Treppenstufen, beides über die ganze Breite gezogen. Davor ein Sextett von Darstellerinnen und Darstellern, für die Barbara Drosihn fast durchwegs gehobenes Schwarz heutiger Provenienz entworfen hatte; nur für die Verkleidung von Ferrando und Guglielmo sowie für die beiden Auftritte Despinas als Doktor und als Notar waren Kostüme im eigentlichen Sinn in Verwendung – die Differenz zu Szenenbildern früherer Zeit, zumal solchen aus Salzburg, hätte grösser nicht ausfallen können. Eine Verortung des Stücks durchs Optische blieb ebenso aus wie ein Positionsbezug des Regisseurs zu dem eigenartigen Experiment Don Alfonsos mit dem Partnertausch der beiden jungen Paare. Der puristische Ansatz hatte insofern seinen Reiz, als man sich ganz auf die komplexe Interaktion zwischen den Beteiligten konzentrieren konnte. Umso frustrierter liess einen dann aber das Ende zurück – und damit die Frage, was Mozart und Da Ponte mit dem Stück wollten.

Sah die Inszenierung deshalb doch ein wenig nach Notlösung aus, so wurde dieser Eindruck deutlich relativiert durch die Entschiedenheit, mit der Geschehen musikalisch wie szenisch geformt war. Für einmal waren die beiden Paare als solche problemlos zu erkennen: an den Haarfarben, vor allem aber an den Timbres. Als Fiordiligi brachte Elsa Dreisig, blond, einen leicht geführten, hellen Sopran ein, während Andrè Schuen, dunkelhaarig, als ihr Bräutigam Guglielmo mit einem kernigen, in der Tiefe verankerten Bariton aufwartete. Spiegelbildlich angelegt das andere Paar, bei dem Bogdan Volkov, blond, als Ferrando einen lyrischen, obertonreichen Tenor hören liess, dem Marianne Crebassa, dunkelhaarig, einen samtenen, runden Mezzosopran gegenüberstellte. Auf dieser lange nicht in jeder Produktion so klaren Basis konnte der Regisseur witzig und virtuos mit den Irrungen und Wirrungen des Partnertauschs spielen. Ausgezeichnet gelang dies auch dank der entschiedenen Steuerung des Experiments durch Johannes Martin Kränzle, der einen keineswegs altersweisen, sondern durchaus lebensbezogen fordernden Don Alfonso gab und der mit der Despina der quirligen Lea Desandre eine raffinierte Assistentin an der Seite hatte.

Am Pult die junge Joana Mallwitz, die ursprünglich die Wiederaufnahme der «Zauberflöte» hätte dirigieren sollen, nun aber mit «Così fan tutte» Aufsehen erregte. Zügig ihre Tempi, fast so zügig wie bei Arnold Östman. Sehr leicht und agil der Ton, in dem sie durch die besondere Beleuchtung der Bratschen immer für überraschende Akzente sorgte. Nur wirkten leider die Wiener Philharmoniker, anders als bei «Elektra», hier nicht besonders inspiriert. Sie traten mit der Dirigentin nicht wirklich in Dialog, sie versahen ihren Part eher so, wie sie ihn immer versehen. In Fragen der Artikulation und des sprechenden Musizierens blieben einige Wünsche offen. Das führte zumal im zweiten Akt (und trotz der dort vorgenommenen Kürzungen) immer wieder zu Durchhängern in einer sonst sehr animierten Produktion.

Wie auch immer: Gut, dass die beiden Abende stattfanden. Erst recht, dass sie auf diesem Niveau stattfanden. Auf dem Salzburger Niveau – Corona hin, Corona her.