Peter Hagmann
Im Geist der Entstehungszeit, aber für heute
Die Klaviertrios von Franz Schubert mit Andreas Staier, Daniel Sepec und Roel Dieltiens
Eine unglaubliche Energie zieht durch die neue Aufnahme der beiden Klaviertrios (B-dur, D 898, und Es-dur, D 929) von Franz Schubert, mit welcher der Pianist Andreas Staier, der Geiger Daniel Sepec und der Cellist Roel Dieltiens bei Harmonia mundi auf sich aufmerksam machen. Musikantischer Schwung herrscht hier und hochgradig erfüllte Musikalität. Zugleich aber wird, was die Interpretation dieser Musik betrifft, ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Grund dafür ist einmal mehr die historisch informierte Aufführungspraxis. Inzwischen verbreitet sie sich auch im Bereich der Kammermusik: still und leise, aber wahrnehmbar. Noch sind die Ensembles, die mit Instrumenten, Spieltechniken und Interpretationsansätzen aus der Entstehungszeit der jeweiligen Kompositionen arbeiten, nicht sehr zahlreich – jedenfalls nicht so zahlreich wie auf dem Feld des Orchestralen. Aber es werden immer mehr, und ihre Leistungen drängen kraftvoll ans Licht, aufmerksam beobachtet von einem Publikum, das zunehmend Interesse zeigt. Deutlich wird dabei auch, dass es nicht in erster Linie um das Instrumentarium geht. Das Quatuor Van Kuijk, das hier vor zwei Wochen vorgestellt wurde, spielt in konventioneller Besetzung; es verwendet zum Beispiel synthetische Saiten, die es zur Zeit Mozarts natürlich nicht gegeben hat. Aber was sich in der Szene tut, scheint den vier jungen Musikern aus Frankreich absolut gegenwärtig.
Im Fall der beiden Klaviertrios von Franz Schubert und ihrer erstklassigen Aufnahme geht es nun aber tatsächlich auch um das verwendete Instrumentarium. Es wird im Booklet, man ist dankbar dafür, in allen Einzelheiten vorgestellt – allein die Benennung der Saiten fehlt noch. Die Geige, die Daniel Sepec spielt, stammt aus der Cremoneser Werkstatt von Lorenzo Storioni und ist dort 1780 erbaut worden, etwa fünfzig Jahre vor der Entstehung der Klaviertrios Schuberts. Sepec verwendet ausserdem einen Bogen auf der Höhe der damaligen Zeit, nämlich einen des berühmten Engländers John Dodd, der nach den Vorgaben des noch berühmteren Franzosen François Xavier Tourte konstruiert ist. Mit Kopien arbeitet der Cellist Roel Dieltiens. Sein Instrument ist ein Nachbau nach Stradivari von Marten Cornelissen aus dem Jahre 1992, während der Bogen von Henk Cornelissen stammt und auf ein Modell von Dodd zurückgreift. Andreas Staier wiederum, er spielt auf einem Wiener Flügel von Conrad Graf von 1827, dem Entstehungsjahr der Klaviertrios – allerdings nicht auf einem Original, sondern einer Kopie des in Frankreich wirkenden Instrumentenbauers Christopher Clarke von 1996.
Das alles ist durchaus von Belang. Die für diese Aufnahme gewählten Instrumente (und ihre etwas tiefere Stimmung) erzeugen einen ganz und gar anderen Ton, als man ihn gewohnt sein mag – wenn man zum Beispiel die klangsatte Einspielung der Schubert-Trios mit Vladimir Ashkenazy am Klavier sowie dem Geiger Pinchas Zukerman und dem Cellisten Lynn Harrell aus dem Jahre 1996 im Ohr hat. Obwohl Sepec, Dieltiens und Staier Kammermusik auf höchstem Niveau betreiben, obwohl sie von ausgefeilter musikalischer Übereinstimmung ausgehen, verbinden sich ihre Stimmen doch nicht zu jenem kraftvollen Amalgam, das dort angestrebt wird; sie stehen vielmehr nebeneinander und wirken in gleichberechtigter Individualität miteinander – bisweilen auch erfrischend gegeneinander wie etwa im Scherzo des B-dur-Trios D 898, wo die Artikulationen in den drei Partien durchaus unterschiedlich ausfallen. Das führt dazu, dass das musikalische Geschehen von innen heraus leuchtende Belebung erhält; es lässt erfahren, wie Schubert auch in diesen beiden späten Trios seine Kantabilität einsetzt, wie kontrapunktisch er aber auch denkt. Äusserst lebhaft ist das Gespräch, das sich daraus ergibt.
Und das, obwohl es in vergleichsweise leisem Ton geführt wird – eine Wohltat in dieser überlauten Zeit. Gewiss, die Graf-Kopie Staiers klingt im Vergleich zu manch anderen Hammerflügeln geradezu opulent, Staier reizt die Möglichkeiten des Instruments auch mit allem Können aus. Dennoch ist nicht zu überhören, dass ein Hammerflügel nie die Kraft eines Steinway erreicht. Dazu kommt die kurze Nachhallzeit des einzelnen Tons, was das Perkussive des Instruments in den Vordergrund rückt – ohne dass dadurch jedoch, Staier gelingt das vorzüglich, das Gebundene und das Singende an Prägnanz verlören. Ähnliche Positionswechsel verlangt die Stradivari von Sepec, die nicht auf die heute übliche Saitenspannung adaptiert ist. Allein, der kümmerliche, etwas näselnde Ton alter Geigen aus der Pionierzeit der historisch informierten Aufführungspraxis ist in dieser Aufnahme nachhaltig überwunden; Sepec holt aus dem Instrument beeindruckende Körperlichkeit und eine Fülle an Farben heraus. Und die temperamentvollen Akzentsetzungen, mit denen der Geiger am Anfang des B-dur Trios zusammen mit dem seinerseits überaus aktiv gestaltenden Cellisten Roel Dieltiens aufwartet, lassen erahnen, welche ganz anderen Ausdrucksmittel hier verlangt – und möglich sind.
Und welch aufregend neue Hörerfahrungen sie erschliessen. Der sorgsame Umgang mit dem Vibrato, das nicht als Grundlage der Tongebung, sondern als Verzierung genutzt wird, sorgt im Kopfsatz des B-dur-Trios für ein spannungsvolles Voranziehen; im langsamen Satz dagegen verbannen die geraden Töne jede Süsslichkeit, schaffen sie vielmehr Raum für eine andere, vielleicht wahrhaftigere Art Emotion. Und in dem zu den beiden Trios gestellten Notturno in Es-dur (D 897), einem rätselhaften Einzelsatz für Klaviertrio aus derselben letzten Schaffensphase Schuberts, nimmt die Dosierung des Vibratos den sehnsüchtigen Terzparallelen jede übersteuerte Emphase. Besonders eindringlich wirkt die Tongebung zu Anfang des Es-dur-Trios D 929. Fast schmerzhaft klar klingt dieser Einstieg, er öffnet dem Zuhörer krass die Ohren und macht ihn frei für die Wunder, die Andreas Staier, Daniel Sepec und Roel Dieltiens vor uns ausbreiten – mit einer Phrasierung, die bewusst mit dem Unterschied zwischen schweren und leichten Taktzeiten arbeitet, und mit einer Artikulation, die nicht vom Legato als dem Mass aller Dinge ausgeht, sondern eine Vielzahl nicht gebundener Tonverbindungen einbringt. Zum Höhepunkt wird der langsame Satz dieses zweiten Trios, den Wolfgang Fuhrmann in seinem Booklet-Text als einen privaten Trauermarsch auf den Tod Beethovens deutet. Hier ist beides zu hören: Trauer wie Privatheit.
Franz Schubert: Klaviertrios in B-dur (D 898) und Es-dur (D 929), Notturno für Klaviertrio in Es-dur (D 897). Andreas Staier (Hammerklavier), Daniel Sepec (Violine), Roel Dieltiens (Violoncello). Harmonia mundi 902233/34 (2 CD).