Ein CD-Projekt mit dem Cellisten Christoph Dangel
Von Peter Hagmann
Tief lässt er uns blicken, und der Blick ist von hoher Attraktion. Ins Zentrum seines aussergewöhnlichen CD-Projekts beim Label Prospero stellt der in Basel und von Basel aus wirkende Cellist Christoph Dangel das Jahr 1824. Das Jahr, in dem Charles X in Paris den Thron bestieg und die Wiederherstellung der absoluten Monarchie voranzutreiben begann. Das Jahr, in dem die Missa solemnis und die neunte Sinfonie Ludwig van Beethovens aus der Taufe gehoben wurden. Das Jahr, in dem die Engländer in Afrika eine schwere Niederlage einzustecken hatten und St. Petersburg von einer gigantischen Sturmflut heimgesucht wurde. Das Jahr, in dem das Rossini-Fieber seinen Höhepunkt erreichte, in dem sich Schubert Sorgen um seinen Gesundheitszustand zu machen begann, Hummel es sich in seinem neuen Dasein als Hofkapellmeister in Weimar gemütlich machte und Romberg eine Konzerttournee, die ihn nach Moskau hätte führen sollte, in Breslau abbrach, um Weihnachten mit Frau und Kindern feiern zu können.
Hummel? Romberg? Zwei musikalische Grossmeister des Jahres 1824, von denen heute nur noch Eingeweihte wissen. Von ihnen und manch anderen ist in jener schillernden, aber auch informativen Chronik zu erfahren, mit der Christoph Dangel durch das in den Fokus gerückte Jahr führt. Er tut es in launiger Erzählung, die er mit trefflichen Zitaten aus Zeitungen und Zeitschriften anreichert. So schafft er einen farbenreichen Bilderbogen, in dem man sich bald heimisch fühlt, bildet aber auch die Grundlage für eine Abfolge von vier Werken, die allesamt 1824 entstanden sind und in den Programmen der Kammermusikreihen nicht oder kaum erscheinen. Eine Überraschung nach der anderen findet sich hier, und alles in Interpretationen von überragendem Format.
Da wäre etwa Gioachino Rossini, der 1824 in London für einen Bankier eine viertelstündige Kleinigkeit komponierte und dafür ein sattes Honorar einheimste. Es handelt sich um ein Duett für Violoncello und Kontrabass, das erst seit einigen Jahrzehnten im Druck greifbar ist. Äusserst witzige Musik gibt es da zu hören, elegant bewegt, ausdrucksstark. Und gespielt wird sie in federnder Vitalität. Christoph Dangel hat sich für diesen ersten Beitrag des Programms mit dem Bassisten Stefan Preyer zusammengetan, seinem Kollegen im Kammerorchester Basel, wo Dangel die Celli anführt. Übrigens: Der Kontrabass mit durchgehend makelloser Intonation…
Worauf wir zu Johann Nepomuk Hummel kämen, der als Pianist in den Jahrzehnten vor Liszt alles in den Schatten stellte, der als Komponist nicht weniger Resonanz fand und der auch, davon zeugt eine Fülle an Orden und Auszeichnungen, ein Netzwerker von hohen Gnaden war. 1824 komponierte Hummel als sein Opus 104 eine Cellosonate in A-dur. An Beethovens Cellosonate in A-dur op. 69 von 1808 reicht das Werk nicht heran; gleichwohl kommt es zu einer vergnüglichen musikalischen Begegnung, holt die vorbildliche Interpretation doch ein Optimum aus der Partitur ans Licht – ein erstklassiges Hörvergnügen. Die für die Aufnahme eingesetzten Instrumente haben im Begleittext ihre eigenen Auftritte: Hochmusikalisch bedient Christoph Dangel sein seidenweich klingendes Wiener Cello von Bernhard Stoss aus dem Jahre 1815, während Els Biesemans mit aller Virtuosität einen farbenreichen, ebenfalls aus Wien stammenden Hammerflügel von Joseph Brodmann klingen macht. Besonderes Aufsehen erregt die Selbstverständlichkeit, mit der das Duo die aufführungspraktischen Gegebenheiten des frühen 19. Jahrhunderts berücksichtigt – der Cellist etwa den subtilen Umgang mit dem Portamento, die Pianistin den ungleichzeitigen Anschlag. Das schafft Leben.
Und dann: das Streichtrio Nr. 1 in e-moll des deutschen Cellisten Bernhard Romberg – nicht wie erwartet für Violine, Bratsche und Cello, sondern für Cello, Viola und Kontrabass. Dunkel und warm klingt das Stück, überaus anziehend in seiner tiefen Lage. Zusammen mit Christoph Dangel und Stefan Peyer bildet die Bratscherin Katya Polin, ebenfalls im Kammerorchester Basel tätig, ein homogenes, herrlich bewegliches Trio. Schliesslich die Arpeggione-Sonate Franz Schuberts, ausgeführt wie heute üblich auf einem Cello, jedoch nicht mit Klavier, sondern mit Gitarre, und zwar in einer Einrichtung von Stephan Schmidt, der für einmal nicht als Direktor der Basler Musikhochschule, sondern als ein exzellenter Musiker in Erscheinung tritt. Die sensible Wiedergabe der Sonate für den vergessenen Arpeggione, von sprechendem Geist getragen, verleiht dem Stück eine ausgesprochen intime Wirkung; mehr als einmal lässt sie an den im Biedermeier notgedrungen gepflegten Rückzug in die eigenen vier Wände denken.
Womit wir jetzt (fast) alles wissen über 1824.
Werke von Gioachino Rossini, Johann Nepomuk Hummel, Bernhard Romberg, Franz Schubert. Mit Christoph Dangel (Violoncello), Els Biesemans (Hammerklavier), Katya Polin (Viola), Stefan Preyer (Kontrabass), Stephan Schmitt (Gitarre). Prospero 0016 (CD. Aufnahmen 2019/20, Produktion 2022).