«I vespri siciliani» im Opernhaus Zürich
Von Peter Hagmann
Soll man das Stück tatsächlich spielen? Mehr noch: Soll man «I vespri siciliani» so aufführen, wie es jetzt im Opernhaus Zürich geschieht? Die Antwort lautet, subjektiv grundiert, aber von ganzem Herzen: Nein. Nein danke. «Les Vêpres siciliennes» – als Versuch Giuseppe Verdis, die Oper von Paris zu erobern, an die Hand genommen, darum auch als Grand opéra mit fünf Akten und ausgedehnten Balletteinlagen komponiert, später dann in eine italienische Fassung gegossen – ist eine gründlich misslungene Schöpfung. Langfädig zieht sich das Libretto Eugène Scribes vor allem durch die zwei letzten Akte. Und musikalisch bleibt Verdis Partitur weit hinter «Rigoletto» und «La traviata» zurück; vor allem fehlt es an zündender melodischer Erfindung. Das tritt vor allem dann zutage, wenn Verdis Oper so einseitig auf grobschlächtige Kraftmeierei reduziert wird, wie es Ivan Repušic am Pult der Philharmonia Zürich und des verstärkten, von Janko Kastelic vorbereiteten Chors der Oper Zürich zu tun beliebt. Ein Hau-Ruck-Verdi von vorgestern.
Die Vokalsolisten auf der Bühne halten wacker mit; hätten sie das nicht getan, sie wären hoffnungslos untergegangen. In der Partie der zwischen der Loyalität gegenüber dem sizilianischen Vaterland und der Liebe zu einem Vertreter der französischen Besatzungsmacht schwankenden Gräfin Elena zeigt Maria Agresta stählernen Schmelz, aber auch wenig Substanz in der Tiefe und an der Premiere einige Mängel in der Intonation. Als ihr Liebhaber Arrigo hält Sergey Romanovsky nicht dieselbe stimmliche Präsenz, szenisch jedoch, in seinem Kampf gegen den berüchtigten Anführer der Franzosen, der sich als sein Vater herausstellt, bringt er unerhörte Agilität ins Spiel. Dieser Anführer, Guido de Monforte, wird von Quinn Kelsey mit der ganzen Wucht seines Baritons eingeführt – um später dann den Wandel zu dem um Liebe bettelnden Vater mit Respekt zu meistern. Die Krone des Kraftgesangs gebührt jedoch Alexander Vinogradov in der Partie des Procida, des aus dem Exil heimgekehrten Chefs der sizilianischen Widerstandsbewegung; Lautstärken dieses Ausmasses zu erleben, mag Erstaunen hervorrufen, künstlerischen Gewinn bringen sie nicht ein.
Und dann, ach, die Inszenierung von Calixto Bieito. Sie wirkt wie ein Produkt von der Stange, die szenische Durchführung entwickelt manchen Ansatz der Interpretation, bleibt in deren Entwicklung aber gerne auf halber Strecke stehen. Aida Leonor Guardia stellt ein in edlem Hellweiss gestrichenes, da und dort Zeichen der Zerstörung aufweisendes Containerdorf auf die Bühne: einen Unort, der in diesen Tagen nur zu rasch ganz konkrete Assoziationen an die Lage im Nahen Osten weckt – und da beginnen die Probleme. Warum, zum Beispiel, erscheint Arrigo, eine vergleichsweise blasse Figur, als Selenski, so eingekleidet vom Kostümbildner Ingo Krügler? Sollte das als politisches Statement des Regisseurs zu nehmen sein, müsste es als inhaltlich verfehlt und in der formalen Ausführung als gescheitert abgelehnt werden. Und dann die vier Grobiane aus dem Umfeld des Tyrannen Monforte, in edles Tuch gehüllt und stets bereit, die schützenden Lederhandschuhe überzustreifen, sie haben nichts anderes im Sinn als sich der sizilianischen Frauen zu bemächtigen. Das mag so gewesen sein, das mag von Scribe und Verdi auch so gemeint sein – nur: Muss man sich die Vergewaltigungen hier und jetzt, mit den Bildern und Berichten aus den Medien im Hinterkopf, so konkret und so drastisch vorgeführt bekommen, wie es Calixto Bieito tut? Die Untaten sind verabscheuungswürdig genug, auf der Opernbühne und selbst bei «I vespri siciliani» brauchen sie nicht nachgestellt zu werden. Ein bisschen Grips, ein wenig Phantasie darf auch beim Opernpublikum vorausgesetzt werden.