Das Kuss-Quartett und die Sopranistin Mojca Erdmann in Zürich
Von Peter Hagmann
Etwas lang war der Abend mit seinen knapp zweieinhalb Stunden Dauer, aber er war so schlüssig gebaut, dass die Zeit im Flug verging. Herzstück des Programms bildeten zwei Streichquartette Ludwig van Beethovens: Das C-dur-Quartett aus op. 59, das dritte der Rasumowsky-Quartette, liess erleben, mit welcher Entschiedenheit der Komponist in seiner mittleren Schaffensphase neue Ufer in den Blick nahm, während das letzte Quartett, jenes in F-dur, op. 135, mit seiner heftigen sprachlichen Geste vor Ohren führte, zu welchem Ziel Beethoven schliesslich gelangte. Eingerahmt wurde das Herzstück durch zwei Gruppen von Liedern auf Gedichte Heinrich Heines – Klavierlieder von Theodor Kirchner und Felix Mendelssohn Bartholdy, die Aribert Reimann für Singstimme und Streichquartett gesetzt und durch neu komponierte Zwischenspiele miteinander verbunden hat. Obwohl das Klavier mit seinem perkussiven Moment spannungsvolle Kontraste zur Linearität der Singstimme einbringt und damit in eigener Weise Energien freizusetzen vermag, hat die Einrichtung für vier Streicher ihren Reiz; das Kontrapunktische tritt in dieser Konfiguration doch deutlicher heraus.
Genau darin lag die Besonderheit an diesem Abend in der vom Tonhalle-Orchester Zürich veranstalteten Kammermusikreihe. Anders als man es vielleicht annehmen mag, erwies sich der Saal in der Tonhalle Maag für eine heikle Besetzung wie Streichquartett als ausnehmend geeignet; der Nachhall war so eingestellt, dass sich nicht nur ein opulentes Klangbild ergab, sondern auch die Transparenz im Zusammenwirken der einzelnen Stimmen gewahrt blieb. Mit dem sinnlichen Obertonreichtum, der warme Rundung und der klaren Zeichnung in ihrem Timbre fügte sich Mojca Erdmann ausgezeichnet in das Geflecht der vier Stimmen ein. Die deutsche Sopranistin liess dem Text sein Gewicht, formte die Bögen aber ganz aus den musikalischen Gegebenheiten heraus, was zu lebendiger Interaktion zwischen Sprache und Musik führte. Interaktion aber auch zwischen Mendelssohn und Reimann. Die sechs Intermezzi, die Reimann 1997 unter dem Titel «…oder soll es Tod bedeuten?» in die Folge von insgesamt neun Liedern Mendelssohns einfügte, sprechen ganz unmittelbar an. Sie entwickeln sich aus dem soeben Verklungenen, denken es weiter in eigener Sprache und lassen das Bevorstehende anklingen – und sie tun das so charakteristisch und anregend wie die Paraphrasen, die Wolfgang Rihm den vier Sinfonien von Johannes Brahms beifügte.
Nicht weniger Anteil an der Wirkung des Abends hatte das von der Primaria Jana Kuss begründete Quartett, das ihren Namen trägt. Das Ensemble steht für die unverkrampfte Integration neuer Musik und überdies für eine überaus gehaltvolle Spielkultur. Der später hinzugefügte vierte Satz in Beethovens Opus 135 trägt den vom Komponisten beigefügten Kommentar: «Muss es sein? Es muss sein.» Mit welch packender Kraft das Kuss-Quartett die beiden vom Komponisten ganz unmittelbar in Musik gefassten Sätze in Klang brachte, machte hinreissend Effekt. Vielversprechend hatte es schon begonnen. Im dritten Rasumowsky-Quartett lebte die langsame Einleitung zum Kopfsatz von sparsam eingesetztem, sorgsam gestaltetem Vibrato. Das Andante des zweiten Satzes wurde getragen von den volltönenden, bisweilen aber auch wunderbar leisen Pizzicati des Cellisten Mikayel Haknazaryan, während im Menuett der Sekundgeiger Oliver Wille und der sehr zu Recht nicht hinten, sondern vorne sitzende Bratscher William Coleman mit ihrer energiegeladen federnden Tongebung das Geschehen bestimmten. Dem wirbelnden Finale schliesslich blieb das Kuss-Quartett nicht das Geringste schuldig.