Der Komponist Gottfried von Einem in einer Biographie von Joachim Reiber
Von Peter Hagmann
Ein unerhört spannendes Buch. Und ausserdem hervorragend geschrieben. Joachim Reiber, der aus Stuttgart stammende Historiker, der seit im langem in Wien lebt und dort als Chefredaktor das Monatsmagazin der Gesellschaft der Musikfreunde betreut, also mittendrin steht – Joachim Reiber verfügt über einen ausgesprochen persönlichen Sprachstil und versteht seine Geschichte packend zu erzählen. Als ausgebildeter Historiker weiss er aber auch, wie man recherchiert und mit Quellen umgeht. Zugute kommt das dem österreichischen Komponisten Gottfried von Einem, dessen Geburtstag sich am 24. Januar 2018 zum hundertsten Mal gejährt hat. Aus diesem Anlass (und auf der Basis von Einems Nachlass im Archiv des Musikvereins) hat Reiber eine Biographie erarbeitet, die den Künstler in sehr speziellem Licht erscheinen lässt. Und die vergangenes Wochenende, als die Wiener Staatsoper «Dantons Tod» von Einem in einer neuen Produktion herausbrachte, besondere Aktualität erhielt.
Mit «Dantons Tod» von 1947 hebt die Lebenserzählung nämlich an – nicht etwa mit der Geburt, den Eltern und der Herkunft. Reiber zäumt das Leben am Werk auf: an den acht Opern, die Einem in dem halben Jahrhundert bis zu seinem Tod am 12. Juli 1996 geschrieben hat. Er schliesst sich damit einer Art der Musikgeschichtsschreibung an, die lange verpönt war, inzwischen aber rehabilitiert ist: der Verbindung von Leben und Schaffen, wie sie etwa Constantin Floros im Fall der «Lyrischen Suite» von Alban Berg fruchtbar gemacht hat. Vor allem aber nimmt Reiber einen Faden auf, den der Porträtierte selbst ausgelegt hat; wer die Textbücher seiner Opern lese, so schrieb Einem in seiner 1995 erschienenen Autobiographie, könne erkennen, wer er sei.
Tatsächlich war «Dantons Tod» der wohl entscheidende Paukenschlag in Einems Leben. Mit der Salzburger Uraufführung von 1947 wurde er auf Anhieb bekannt; er kam sogleich in die Direktion der Festspiele, wo er entschieden und hartnäckig gegen Herbert von Karajan kämpfte – gegen die Kulinarik, für die neue Musik. Und das bis 1966, bis er nach seinem vielleicht nicht ganz selbstlosen, immerhin aber mutigen Engagement für den damals staatenlosen Bertolt Brecht mit Schimpf und Schande aus der Festspielleitung entfernt wurde. Reiber nimmt da kein Blatt vor den Mund. Messerscharf zeichnet er nach, wie arg dem Komponisten von Brecht mitgespielt wurde und wie grausig die Politik mit dem zum Bauernopfer gewordenen Künstler umsprang.
Mit unbarmherziger Genauigkeit hebt Reiber allerdings auch an den Tag, was vor dem sensationellen Aufbruch in Salzburg lag. Es ist eine Adoleszenz im Zeichen des Nationalsozialismus. Als der junge Mann zu sich selber finden wollte und sollte, sah er sich von mehr oder weniger dubiosen Figuren umgeben. Von dem (allerdings selbst immer wieder in Schwierigkeiten mit dem Regime geratenden) Boris Blacher, der ihm das Handwerk beibrachte, von dem stramm mitmarschierenden Werner Egk, der die Fraktion der Komponisten in der Reichmusikkammer anführte und den jungen Kollegen als Mitarbeiter wirken liess, von Carl Orff, dem väterlichen Freund. Hitler, dem er während seiner Assistenz bei den Bayreuther Festspielen persönlich begegnete, bewunderte Einem über die Massen; so wie der Führer, er nannte ihn ein Genie, wollte der junge Mann werden. Nun gut, viel anderes blieb Einem, der seit frühen Jahren zu den ganz Grossen aufzuschliessen gedachte, als Vorbild nicht übrig – was noch keinen Freispruch ergibt, aber vielleicht doch mildernde Umstände einbringen mag.
Verdienstvoll, dass sich Reiber Schlussfolgerungen solcher Art versagt. Aus schonungsloser Distanz heraus breitet er die Faktenlage aus, zunächst nichts als das. Dann freilich schreitet er zu kreativer, bisweilen gewagter Interpretation – und macht so deutlich, dass auch die Lebensschilderung durch einen Aussenstehenden Momente des Subjektiven einschliesst. Ein Elternhaus, das ihm Wärme bot und ihn Selbstsicherheit finden liess, kannte Einem nicht. Der leibliche Vater hatte sich nach der Zeugung seines Sohns abgesetzt; der Mann, den der kleine Gottfried Vater nannte, war sein Ernährer – was seine Mutter verheimlichte, durch Zufall dann aber doch ans Licht kam. Die Mutter selbst schildert Reiber als eine undurchsichtige Netzwerkerin mit Beziehungen bis hin zu Hermann Göring – Einem nannte den «Generalfeldmarschall» beim Vornamen. Anwesend war sie kaum, diese Mutter, dafür war Geld in Hülle und Fülle vorhanden – ebenso wie jene Protektion, die den jungen Einem nach Kriegsende ins Zentrum des künstlerischen Neubeginns katapultierte.
Aus diesen Anfängen kondensiert Reiber die psychosoziale Konstellation, in deren Licht er Einems Leben sieht: den Narzissmus, der mit anhaltenden Störungen in der Beziehung zu Frauen einherging, der einen Geltungsdrang und eine Sucht nach öffentlicher Anerkennung mit sich brachte und der am Ende vielleicht sogar die Grundlage für den ästhetischen Konservativismus des Komponisten bildete. Mit der Darmstädter Avantgarde hatte er jedenfalls rein gar nichts am Hut, das verbindet ihn mit dem acht Jahre jüngeren Friedrich Cerha. Doch während Cerha mit eiserner Konsequenz und mit sehr langsam wachsendem, aber nachhaltigem Erfolg seinen eigenen Weg beschritt, gab sich Einem, der wie seine Mutter über eine einzigartige Befähigung zum Netzwerken verfügte, dem Strippenziehen hin. Nicht zuletzt in eigenem Interesse: Als Kurt Waldheim Generalsekretär war, besorgte sich der Komponist einen Auftrag der Uno; später, in der Waldheim-Affäre, stand er dafür dem heftig umstrittenen Bundespräsidenten zur Seite. Die Erinnerung an Momente solcher Art dürften nicht überall auf Gefallen stossen.
Dabei ist nur gesagt, was gesagt werden muss. Und es wird differenziert gesagt. In Reibers Biographie sieht sich Einem nicht einfach zum gnadenlosen Mitläufer gestempelt, es wird auch angeführt, wie der Komponist in einem Hochrisikospiel sondergleichen einem jüdischen Musiker einen lebensrettenden Ausweis besorgt hat. Vor allem zieht das Leben Gottfried von Einems in einer äusserst geschickt gebauten, dicht verwobenen Geschichte am Leser vorbei. Chronologie gibt es keine, strenge thematische Ordnung ebenso wenig. Die Opern, die nur in den Zitaten aus den Besprechungen der Uraufführungsrezensenten Form annehmen, bieten dagegen Anlass, einzelne Aspekte aus des Komponisten Leben zu behandeln oder Momente der ästhetischen Entwicklung wie etwa die von Adorno dominierte Diskussion um den Stellenwert des Schönen in der Musik zu beleuchten. Ein ungeheuer farbiges Panoptikum erwächst aus dieser methodischen Anlage. Man betrachtet es mit ebenso viel Vergnügen wie Gewinn.
Joachim Reiber: Gottfried von Einem. Komponist der Stunde Null. Kremayr & Scheriau, Wien 2017. 253 S., Fr. 32.90.