Ravel – neu beleuchtet

Eine CD des Linos Piano Trio

 

Von Peter Hagmann

 

Immer wieder ist an dieser Stelle von der zunehmenden Verbreitung der historisch informierten Spielweise auch im Bereich der Kammermusik die Rede. Und vom Glück, das diese Veränderung auszulösen vermag. Nachzuprüfen ist das jetzt wieder an einer (auch im Netz greifbaren) CD-Publikation mit Werken von Maurice Ravel: dem Klaviertrio sowie zwei Klavierstücken, welche die Interpreten für ihre Besetzung eingerichtet haben – ein Verfahren, gegen das der Komponist gewiss nichts einzuwenden gehabt hätte, hat er selbst ja zu diesem Mittel gegriffen. Die Interpreten wiederum bilden das Linos Piano Trio, und sie benützen Instrumente, wie sie Ravel hätten vertraut sein können.

Und mehr noch. Das Trio lässt im Booklet die Instrumente genau benennen. Prach Boondiskulchock spielt auf einem Erard-Konzertflügel von 1882, sogar seine Seriennummer 56105 wird angegeben. Konrad Elias-Trostmann dagegen bringt einen von Stefan-Peter Greiner erstellten Nachbau einer 1743 entstandenen Geige von Giuseppe Guarneri zum Klingen, und er tut das auf Darmsaiten, auf drei reinen und einer umwickelten. Vladimir Waltham schliesslich bedient ein von 1880 und aus Neapel stammendes Cello; auch dieses Instrument ist, diesmal halb-halb, mit reinen wie umwickelten Darmsaiten versehen. Dass das Instrumentarium so detailliert beschrieben wird (nur die Bezeichnungen für die verwendeten Bögen fehlen), ist eine Seltenheit, kann aber nicht hoch genug geschätzt werden. Auch dem Hörer, dem diese Angaben vielleicht wenig sagen, können so doch die Ohren geöffnet werden.

Und die solcherart gespitzten Ohren, sie dürfen hier wahre Wunder erleben: Ravel in ganz anderer klanglicher Erscheinung als gewohnt. Der Flügel aus dem Hause Erard klingt warm und weich, fast so intim wie im Selbstgespräch. Zugleich fehlt ihm, wenn es gefordert isr, nichts an effektvollem Ton, nur bleibt auch das Fortissimo ohne Schärfe, auch stets eingebunden ins Ganze. Und die beiden Streicher verbreiten, in je eigener Art, einen Reichtum an Obertönen, einen Silberglanz und eine Feinzeichnung der Lineatur, die Ravels musikalischen Satz in hellem Licht und geschmeidiger Körperlichkeit erscheinen lassen.  Natürlich geht das alles nicht auf die Instrumente allein zurück, sondern ebenso sehr auf die drei Herren, die sie bedienen. Sie tun es fabelhaft.

Was für ein Einstieg in Ravels Trio für Klavier, Violine und Violoncello in a-Moll – mit den zarten dahingleitenden Dreiklängen des Klaviers, über die sich die in die Oktave verdoppelte Oberstimme der Streicher legt. Und was für eine fulminante Steigerung auf den ersten Höhepunkt hin; seine Wirkung findet er nicht in der reinen Lautstärke, sondern in der Gesamtheit der Ausdrucksmittel. Besonders eindringlich gelingt in dieser Aufführung die Passacaglia des dritten Satzes; dunkel, abgründig und riesengross klingt sie. Sie zeugt damit von der Entstehung des Stücks zu Beginn des Ersten Weltkriegs. In seinem sehr anregenden Booklet-Text weist der Pianist Prach Boondiskulchock darauf hin, dass sich Ravel damals der von Camille-Saint-Saëns 1871 gegründeten Société nationale de musique verweigerte, sich mit dieser Passacaglia vielmehr vor dem grossen Deutschen Johann Sebastian Bach verneigte.

Auf das Klaviertrio folgt die 1899 entstandene, liebliche «Pavane pour une infante défunte» in einem ausgesprochen stimmigen Arrangement des Linos Piano Trio. Und vorgetragen mit all dem, was um die vorletzte Jahrhundertwende an Ausdrucksmitteln zur Verfügung stand, zum Beispiel mit sorgsam eingesetztem Vibrato und geschmackvollem Portamento, dem Gleiten vom einen Ton zum anderen. Den Bogen zum Beginn schliesst die ebenfalls vom Ensemble erstellte Fassung des Klavierstücks «Le Tombeau de Couperin», in dem Ravel mit sechs Sätzen einer barocken Suite an sechs in der Grande Guerre gefallene Freunde erinnert. Ganz eigenartig geht das unter die Haut. In Zeiten wie diesen hört man das Stück, wenn es so eindringlich dargeboten wird, wie es hier geschieht, wohl mit besonderer Bewegung.

Maurice Ravel: In Search of Lost Dance – Klaviertrio in a-Moll, Pavane pour une infante défunte (Arr.), Le Tombeau de Couperin (Arr.). Linos Piano Trio: Prach Boondiskulchock (Klavier), Konrad Elias-Trostmann (Violine), Vladimir Waltham (Violoncello). Avi -music 8553526 (CD, Aufnahme 2022, Produktion 2023).