Kühles Ambiente, brodelnde Energie

«Madama Butterfly» von Giacomo Puccini in Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Schwieriger Moment für die Geisha Cio-Cio-San (Svetlana Aksenova), den Diplomaten Sharpless (Brian Mulligan) und die Dienerin Suzuki (Judith Schmid) / Bild Toni Suter, Opernhaus Zürich

Leer die Bühne und hell, von weissen Stoffwänden eingefasst. Zwar werden nach und nach altbürgerliche, dunkelbraune Holzmöbel massiver Faktur hereingetragen, dennoch bleibt dem japanischen Salon, den Michael Levine auf die Bühne des Opernhauses Zürich gezaubert hat, viel lichter Raum. Dezent aufgetragen ist die couleur locale; sie beschränkt sich auf die authentisch wirkenden Kostüme, in denen Annemarie Woods den Gegensatz zwischen Ost und West scharf herausstellt, auf die Frisuren und die Maske. Besonders aber auf die Körpersprache: auf das Trippeln der Japanerinnen und den schweren Schritt der Amerikaner. Fein wie mit dem Silberstift ist das Szenario angedeutet, das Drama selbst ergibt sich ganz aus dem Musikalischen und der Körpersprache – wobei das Agieren nicht zuletzt unter dem Einfluss der Choreographin Sonoko Kamimura-Ostern kühl zeremoniell gehalten ist. In ihren Ansätzen stellt sich die brillante Inszenierung des Amerikaners Ted Huffman durchaus in die Nachfolge Robert Wilsons.

So tritt denn der zugespitzte Spannungsverlauf in «Madama Butterfly» mit voller Wucht zutage. In der neuen Produktion des Opernhauses Zürich wird die Begegnung mit dem grandiosen Stück Giacomo Puccinis zu einem bewegenden Ereignis. Seinen Grund findet das schon darin, dass in dieser Auslegung zwei kleinere Partien ganz entschieden aufgewertet werden. Das betrifft zunächst Suzuki, die Dienerin der jungen Geisha Cio-Cio-San, die nicht nur als Spiegel und Resonanzkörper in Erscheinung tritt, sondern als aktiv Mitleidende – ihr warmer, strahlkräftiger Mezzosopran und ihre enorme Bühnenpräsenz ermöglichen das. Von einer zudienenden zu einer mitgestaltenden Figur wird aber auch der amerikanische Diplomat Sharpless, der, in Japan stationiert, die Zeichen zu lesen weiss und das Unheil von allem Anfang an kommen sieht: eindringlich, wie Brian Mulligan die Hilflosigkeit dieses an sich aufrechten Mannes verkörpert.

Pinkerton dagegen, der nach Japan entsandte Leutnant der amerikanischen Navy, er ist und bleibt der Widerling, als den ihn «Madama Butterfly» zeigt. Er sieht in Cio-Cio-San das Früchtchen, das er haben muss, er lässt zu diesem Zweck den Zuhälter Goro (Martin Zysset in einem ausgezeichneten Auftritt) eine fingierte Hochzeit inszenieren, und er kommt schliesslich zusammen mit seiner legitimen Gattin (Natalia Tanasii) den aus der Liebesnacht entsprungenen Sohn nach Amerika holen – in scharfer Zeichnung und stimmlich brillant bringt der Tenor Saimir Pirgu diese Figur zum Leben. Wenn am Ende die Erinnerung an die japanische Liebe durchbricht, ist es zu spät: In einem Theatercoup von fürchterlicher Wirkung durchschneidet sich Cio-Cio-San genau in dem Moment die Kehle, da der jahrelang erwartete Geliebte vor sie tritt.

Das drei Jahre dauernde Warten, das sich zwischen den beiden Akten des Stücks ereignet und zu Beginn des zweiten Aufzugs in einem ausgedehnten orchestrale Zwischenspiel kulminiert, es findet an diesem Abend seine besondere Erfüllung. Denn unter der Leitung des jungen Italieners Daniele Rustioni spielt die Zürcher Philharmonia ihre Stärken aus. Ohne die Balance zu gefährden, lässt der Dirigent den sinfonischen Anspruch der Partitur und den phantasievollen Umgang Puccinis mit fernöstlichen Idiomen erkennen. Als Cio-Cio-San hält Svetlana Aksenova, eine Spezialistin für diese Partie, den instrumentalen Wogen blendend stand. Vor allem aber bringt sie eine Glaubwürdigkeit ins Spiel, welche die bodenlose Verzweiflung dieser jungen Frau zu einem kathartischen Moment werden lässt.