Zürich zeigt Verdis «Ballo in maschera»
Von Peter Hagmann
In Zürich, so befand seinerzeit ein in der Limmatstadt umtriebiger Intendant, stehe die am nördlichsten gelegene Oper südlicher Ausrichtung. Ganz falsch war die als Selbstrechtfertigung gedachte Feststellung nicht – in gewisser Weise gilt sie auch heute. Nicht ohne Stolz verweist Andreas Homoki auf den Umstand, dass in den zwölf Jahren seiner Intendanz sechzehn Opern von Giuseppe Verdi auf die Bühne gekommen seien. Tatsächlich? Vielleicht fiel es darum nicht auf, weil die Spielpläne am Hause Homokis immer von ausgesuchter Vielfalt waren und weil sich die szenischen Handschriften doch deutlich voneinander abhoben. Jetzt finden wir uns wieder in einem Moment, da die Vielseitigkeit im Angebot des Zürcher Hauses zu fruchtbaren ästhetischen Weiterungen führt.
Auf die alles andere als unumstritten Produktion von Alfred Schnittkes «Leben mit einem Idioten» in der zugespitzt subjektiven szenischen Lesart von Kirill Serebrennikov (vgl. «Mittwochs um zwölf» vom 06.11.24) folgte mit «Il ballo in maschera» von Giuseppe Verdi keineswegs harmlose Kost, insgesamt aber doch ein Genuss, dem selbst eingefleischte Verdi-Verächter erliegen dürften. Das geht zuallererst auf die Philharmonia Zürich und den von Janko Kastelic vorbereiteten Chor der Oper Zürich zurück; sie tragen beide gleichermassen eine kraftvoll muskulöse Partitur und stellen die Stärken von Verdis Musik in helles Licht. Angefeuert werden sie wie die Solisten auf der Bühne vom Zürcher Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda, der in diesem Repertoire fürwahr zuhause ist und darum aus dem Vollen schöpft. Knackig das Forte, sorgsam ausgearbeitet die Reize der Instrumentation wie die kontrapunktischen Momente – und vor allem: höchst präzis das Rhythmische, zumal die zahlreichen Punktierten, in denen der Abend seine zentrale Energiequelle findet.
Das gilt auch für die auf der Bühne vorgeführte Gesangskunst. Nichts ist da verschliffen, die Töne sitzen exakt auf dem Punkt, der ihnen von Verdi zugedacht war. Und sie verbinden sich mit den denkbar schönsten Timbres und einem Zusammenspiel der Stimmfarben, das Spannung erzeugt und sie bis zum spektakulären, fatalen Schuss am Ende der Oper aufrechterhält. In der Titelpartie des Grafen Riccardo präsentiert sich Charles Castronovo als ein genuiner italienischer Tenor mit Glanz und Schmelz, dazu mit ausgebauter Fähigkeit zu nuancierter Gestaltung. Ihm zur Seite und später, wenn er sich vom treuen zum getäuschten Freund gewandelt hat, als Feind gegenüber steht George Petean als ein mit schwarzem Bariton versehener Renato, der den Umschlag von Vertrauen in Wut packend darstellt. Mit Erika Grimaldi wird Renatos Gattin Amelia durch eine Sängerin mit heller Tongebung verkörpert, während die Wahrsagerin Ulrica bei Agnieszka Rehlis und ihrem herrlich tiefen Alt bestens aufgehoben ist. Für die raschen Umbrüche im Atmosphärischen sorgt souverän Katharina Konradi mit ihrer hohen Beweglichkeit.
Ihre Verwirklichung auf der Bühne finden all diese Auftritte in einer Inszenierung, die nichts anderes möchte, als die Geschichte zu erzählen. Das leuchtet umso mehr ein, als die Spannung, die Verdis Stück innewohnt, im Ansatz der Regisseurin Adele Thomas uneingeschränkt zur Geltung kommt; man spürt auf der Haut, wie sich im zweiten Akt der Knoten schürzt, man atmet mit der Verdichtung im dritten Akt und erschrickt dann angesichts des zwar angekündigten, aber doch überraschend und krass vollzogenen Mords auf der Bühne. Dass sich dieses Attentat inmitten festlichen Gepränges ereignet, gehört zu den Besonderheiten von «Un ballo in maschera». Unverbunden stehen in diesem Werk die Stimmungen nebeneinander, unvermittelt kippen sie – es zu zeigen ermöglicht die Drehbühne der Ausstatterin Hannah Clark. Dass der Schauplatz der Oper der Zensur wegen von Schweden, wo ein König mitten in einem Maskenball ermordet wurde, nach Amerika verlegt werden musste, deutet die Inszenierung subtil an, naheliegendem Gegenwartsbezug geht sie jedoch aus dem Weg. Wichtiger erscheint die Personenführung – und tatsächlich agieren die Darstellerinnen und Darsteller in einer Dringlichkeit, die das Stück aus der durch die Kostüme angedeutete Vergangenheit ins Hier und Jetzt versetzt. Braucht es mehr?