Wenn Qualität vor Effekt steht

«Der ferne Klang» von Franz Schreker als CD-Produktion aus Frankfurt am Main

 

Von Peter Hagmann

 

Unspektakulärer lässt es sich kaum denken. Bernd Loebe ist in Frankfurt geboren, hat in Frankfurt studiert (Jurisprudenz und Klavier), in Frankfurt wirkte er als Musikjournalist, in Frankfurt ist er – nach Lehrjahren an der Brüsseler Monnaie-Oper – seit 2002 als Intendant der Oper tätig und bleibt dies, wenn alles gut geht, bis 2028. Eine seltene Konstanz im Curriculum. Sie steht freilich keineswegs für Behäbigkeit des Tuns, in ihr verkörpert sich vielmehr die alles andere als selbstverständliche Grundauffassung, dass Qualität vor Effekt zu stehen habe. So hat Loebe in den bisher fast zwei Jahrzehnten des Wirkens das von ihm geleitete Haus auf ein solides Fundament gestellt und ihm zugleich Ausstrahlung gesichert – Ausstrahlung in die Stadt und die Region wie in die internationale Szene. Und dies auf der Basis des Repertoire- und Ensembletheaters, das einen regelmässigen Spielbetrieb mit stilistisch abwechslungsreichem Angebot vorsieht, aber auch die Pflege eines künstlerischen Teams, dessen Mitglieder langjährig verpflichtet bleiben und dementsprechend Visibilität erhalten.

Zu diesem unspektakulären, spektakulär erfolgreichen Bild passt der Umstand, dass die Oper Frankfurt manche ihrer Produktionen auf Compact Disc dokumentiert, dies in Zusammenarbeit mit dem Label Oehms Classics. Eine klare Ansage – insofern nämlich, als damit der Primat des Musikalischen unterstrichen wird, wo in der Oper (und in der Berichterstattung über sie) heute doch die erste Aufmerksamkeit in der Regel dem Szenischen gilt. Welchen Gewinn diese CD-Produktionen darstellen, wird jetzt mit der Publikation von Franz Schrekers Oper «Der ferne Klang» wieder deutlich. Das 1912 in Frankfurt höchst erfolgreich aus der Taufe gehobene Werk gehört zu den Stützen jener intensiven Schreker-Renaissance, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ereignet hat; zahlreiche Aufnahmen und mehr noch die vielen Inszenierungen seit der Ausgrabung des Werks 1964 in Kassel zeugen davon.

In diesem Umfeld nimmt der Mitschnitt der Frankfurter Produktion von 2019 eine prominente Position ein. Die Aufnahme, die auf den Bezahlkanälen auch online verfügbar ist, lässt erfahren, in welchem Mass «Der ferne Klang» zum Repertoire gehört und auf welch hohem Niveau die Oper in einem Ensembletheater realisiert werden kann. Oder muss die Aussage umgekehrt werden? Ist «Der ferne Klang» nicht gerade für ein Ensembletheater geschrieben? Das Personenverzeichnis umfasst achtzehn Partien, darunter neben zwei Hauptrollen unzählige Auftritte kleineren Ausmasses. Dass in der Aufzeichnung aus Frankfurt alle Partien in hochstehender Weise versehen werden, spricht für die Qualität des Ensembles und sichert dem nach vielen Seiten hin schillernden Werk seine Wirkung. Zur handwerklichen Qualität gehört im Übrigen auch die Aussprache des Deutschen, die auch von den fremdsprachigen Sängerinnen und Sängern ganz erstaunlich gemeistert wird.

Gewiss, die grosse Wagner-Sängerin Nadine Secunde bringt ein Vibrato ein, das einen förmlich ins Schwanken bringt, für die Partie der alten Kupplerin ist sie jedoch genau die Richtige. Für prononcierte Beiträge im Rahmen eines Ensembles sorgen etwa auch Barbara Zechmeister als Mutter der Titelheldin oder Dietrich Volle als der intrigante Winkeladvokat Vigelius. Helles Licht fällt auf das Paar im Vordergrund, auf den Komponisten Fritz, der unter Inkaufnahme menschlicher Verwüstungen nach seiner künstlerischen Identität sucht, und dessen Geliebte Grete, die nach dem Verlust ihrer Beziehung alle Hoffnung verliert, eine Laufbahn im Escort-Geschäft absolviert und am Ende ihren Künstler wieder in Armen hält – natürlich tot. Wie Jennifer Holloway mit ihren höhensicheren, aber fest im Mezzobereich verankerten Sopran die Lebensphasen der unglücklichen Grete erfasst, ist von bezwingendem Reiz. Anders der Tenor Ian Koziara mit seinem vielfarbigen Timbre. Mit einer Intensität sondergleichen stellt er Fritz als einen manisch Getriebenen dar, der vor nichts zurückschreckt und schliesslich an sich selber scheitert.

Die eigentliche Hauptrolle in dieser Produktion von Franz Schrekers «Fernem Klang» spielt jedoch das Orchester. Der Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle – er hat das schon bei der von ihm dirigierten Gesamteinspielung der Sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss vorgeführt – erzielt mit dem Opern- und Museumsorchester ein berückendes Mass an Rundung und Wärme. Der homogene, aber gleichwohl transparente Klang fügt die von Schreker gepflegte Harmonik, die den Bezug zu einer Tonika wahrt, gleichzeitig aber doch wagemutig über die Grenzen der Tonalität hinausgeht, in geschmeidige, natürlich wirkende Verläufe – jedenfalls findet hier der dritte Weg zwischen der Atonalität und dem Neoklassizismus gültigen Ausdruck. Kein Wunder, erscheint «Der ferne Klang» in der mustergültigen Frankfurter Aufnahme des grossartigen sängerischen Profils zum Trotz als eine Orchesteroper – als ein Musikdrama, in dem das Instrumentale nicht als Beiwerk, sondern als aktiv prägendes Element des musikalischen Geschehens in Erscheinung tritt.

Franz Schreker: Der ferne Klang. Eine Produktion der Oper Frankfurt. Mit Jennifer Holloway (Grete), Ian Koziara (Fritz), Anthony Robin Schneider (Wirt), Iurii Samoilov (Schauspieler), Barbara Zechmeister (Gretes Mutter), Dietrich Volle (Vigelius), Gordon Bintner (Graf), Theo Lebow (Chevalier) und anderen. Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Sebastian Weigle (Leitung). Oehms Classics 980 (3 CD, Aufnahme 2019, Publikation 2021).