Roberto González-Monjas in Winterthur,
Jakub Hrůša in Zürich
Von Peter Hagmann
Ein Quereinsteiger ist er nicht wirklich, aber doch ein wenig. Am Salzburger Mozarteum liess er sich zum Dirigenten ausbilden, berühmt geworden ist Roberto González-Monjas jedoch als Geiger. In Winterthur, einem Zentrum seines vielfältigen künstlerischen Wirkens, hat er nicht nur als Konzertmeister des Musikkollegiums und, ex officio, als Primarius des Winterthurer Streichquartetts Spuren hinterlassen, sondern vor allem auch als Kammermusiker; unvergessen sind seine Abende mit dem Pianisten Kit Armstrong von 2019 und 2020, bei denen in einer Differenziertheit und einer Spannung sondergleichen Sonaten von Brahms und Mozart erklangen. Das Dirigieren steht in der Wahrnehmung von aussen her eher an zweiter Stelle, gilt dem 34-jährigen Spanier aber gleich viel wie das Geigenspiel. Auch in diesem Bereich gab es für mich bemerkenswerte Momente, und zwar beim Lucerne Festival, wo er als Orchesterleiter mit der Geige die Iberacademy, das von ihm gegründete Jugendorchester aus Kolumbien, in Ekstase versetzte und wo er im Sommer letzten Jahres mit dem Mahler Chamber Orchestra die Wiedergabe einer Sinfonie Joseph Haydns zur Sternstunde werden liess.
Inzwischen ist Roberto González-Monjas Chefdirigent des Musikkollegiums Winterthur, und als solcher hat er nun ein sehr spezielles Abonnementskonzert präsentiert. «Scheherazade» war das Stichwort des Abends. Er endete denn auch mit der gleichnamigen Sinfonischen Dichtung von Nikolai Rimsky-Korsakow – einem Stück, das von der Besetzung und vielleicht auch von der Akustik im Konzertsaal des Winterthurer Stadthauses her an die Grenzen ging. Dasselbe tat Roberto González-Monjas. Nach einem überschiessenden, geradezu explosiven Beginn lotete er die doch sehr redselige Partitur in ihrer ganzen Farbenpracht aus, versah die sich gerne wiederholenden Gesten mit prägnanter Kontur und unterstützte die musikalische Erzählung durch temperamentvolle Schärfung der Verläufe. Das Orchester gab sich dem packenden interpretatorischen Ansatz mit vollem Engagement hin – und klang schlicht grossartig, jedenfalls fern jener Herbheit, die sich bei Thomas Zehetmair bisweilen eingestellt hatte. Die Streicher fanden klangvolle Homogenität, der Konzertmeister Ralph Orendain brillierte in seinen ausgedehnten Soli, und die Bläser, denen der Dirigent die nötige Freiheit liess, trugen mit charakteristischen Einwürfen zur Vitalität des Geschehens bei.
Überraschend spannend war das, wie überhaupt der Abend reiche Anregung bot – Roberto González-Monjas ist nun einmal ein genuiner Musiker, dem es weder an Einfall noch an Agilität fehlt (und der eines Tages vielleicht auch noch seine Körpersprache zu mässigen weiss). Begonnen hatte das Programm mit einem erst kürzlich aufgefundenen Stück von Igor Strawinsky, einem frühreifen, emotionalen «Chant funèbre» auf den Tod seines Mentors Rimsky-Korsakow. Worauf die «Shéhérazade» von Maurice Ravel mit der intonatorisch nicht restlos sattelfesten Mezzosopranistin Sophie Koch folgte und sich die reizende «Epiphanie» für Sopran und Orchester von Charles Koechlin anschloss. In Winterthur, so der Eindruck, ist etwas los; Anfang Juni folgt zum Schluss der Saison «Le grand rituel», ein unkonventionelles Festival von zwei Wochen Dauer, das klassische (und andere) Musik in den Industriebau der «Halle 23» bringt und das in einer durch Tanz begleiteten Aufführung von Strawinskys «Sacre du printemps» kulminiert.
Ganz anders als der Wirbelwind Roberto González-Monjas erscheint Jakub Hrůša, der von Beobachtern gerne in der Nähe zu Eminenzen wie Bernard Haitink oder Mariss Jansons gesehen wird. Das erstaunt nicht, verfolgt der 40-jährige Tscheche doch eine ganz und gar konventionelle, allerdings steil ansteigende Laufbahn. Nach der Ausbildung an Klavier und Posaune in der Heimatstadt Brünn, nach dem Studium und ersten Erfolgen in Prag wirkt Hrůša jetzt als Chefdirigent bei den Bamberger Symphonikern sowie als Gastdirigent bei der Tschechischen Philharmonie und bei der Accademia di Santa Cecilia in Rom; gerne gesehen ist er auch in den grossen Opernhäusern. Indessen zielt Hrůša nicht nur auf den Aufstieg im Rahmen des etablierten Repertoires. Bei seinem Diplomkonzert in Prag dirigierte er die Sinfonie «Asrael» von Josef Suk, die er später auch auf CD aufnahm, während er beim Lucerne Festival im letzten Sommer mit den Bamberger Symphonikern ein Programm mit einem neuen Stück von Iris Szeghi, dem Violinkonzert von Beat Furrer und dem Orchesterwerk «Move 01-04» von Miroslav Srnka präsentierte.
Die Verankerung im Etablierten und zugleich die emphatische Neigung zum Neueren prägte auch den jüngsten Auftritt Jakub Hrůšas beim Tonhalle-Orchester Zürich. Zunächst: das Cellokonzert von Antonín Dvořák in einer handwerklich untadeligen Ausführung – und mit einer hochmusikalisch ausgesungenen, unerhört in die Tiefe gehenden und dementsprechenden berührenden Präsentation des Soloparts durch den jungen Cellisten Kian Soltani. Blendend der Einstieg des Orchesters mit dem glänzenden Solohorn und der innigen Klarinette, trefflich das Dazutreten des Cellisten, der ohne jeden Druck voranzuziehen verstand. Im zweiten Satz erzeugte Kian Soltani eine Melancholie, die gewiss niemanden gleichgültig liess – und wie er das hohe d vor der Kadenz hinstellte, zunächst rein und gerade, um gegen das Ende hin in eine kleines Vibrato hinzuzufügen, das war hohe Kunst.
Danach freilich (und nach einer entbehrlichen «Pastorale» von Dmitri Smirnov): das Konzert für Orchester des Polen Witold Lutosławski, ein Werk von unglaublicher Wucht, das in der grandiosen, sehr persönlichen Auslegung durch das Tonhalle-Orchester Zürich und seinen Gastdirigenten Jakub Hrůša zu einer Grösse sondergleichen fand. Messerscharf griffen die musikalischen Ideen ineinander, hart stiessen die instrumentalen Farben aufeinander, Harmonie war ausgeschlossen, es gab einzig energisches Aufstehen, ja Aufbäumen. In welchem politischen und gesellschaftlichen Klima Lutosławski 1950 die ersten Noten zu Papier brachte, zwar befreit vom Nazi-Terror, aber mit Stalin im Nacken, dann jedoch, beim Abschluss der Partitur 1954, im Zeichen jener leichten Lockerung, die zur Gründung des Warschauer Herbstes 1956 führte – das alles war zu hören. Und nicht beiseitezuschieben war der Gedanke an das, was derzeit in der Ukraine geschieht. Solches vermag, mit Hingabe ausgeführt und mit Empathie wahrgenommen, Musik als Kunst wie unterm Brennspiegel zu fassen.
Übrigens geht auch beim Tonhalle-Orchester die Post ab. Der Stolz auf die neue Orgel im Saal fruktifiziert sich in einem eigens dem Instrument gewidmeten Festival. Es zeigt die Orgel als Soloinstrument, indem Christian Schmitt, als Organist spezieller Gast des Orchesters in der zu Ende gehenden Saison, zwei mächtige Werke von Johann Sebastian Bach und Olivier Messiaen spielt, und dies am 4. Juni, bevor dann der Altmeister Herbert Blomstedt ans Pult tritt und die fünfte Sinfonie Anton Bruckners dirigiert. Die Orgel wird aber auch als Instrument für Kammermusik gezeigt: in einer Sonntagsmatinee am 12. Juni im Rahmen der Reihe «Literatur und Musik». Thomas Hampson kommt und lässt sich von Christian Schmitt an der Orgel begleiten, auch Jazz soll sich auf ihr spielen lassen. Mittendrin und als Höhepunkt schliesslich gibt es auch hier den «Sacre du printemps», in dem nicht die Orgel tanzt, wohl aber eine Truppe aus dem Ballett Zürich zusammen mit dem Choreographen Lucas Rodrigues Valente.