Neues vom Chiaroscuro-Quartett

Mozarts «Preussische» Quartette
und Beethovens Opus 18

 

Von Peter Hagmann

 

Warum schauen sie auf dem Cover ihrer jüngsten Veröffentlichung nur so trüb in die Welt, die vier jungen Leute vom Chiaroscuro-Quartett? Hat sie die Aufnahmesitzung, hat sie der Fototermin erschöpft? Oder dachten sie an die deplorablen Lebensumstände, unter denen Wolfgang Amadeus Mozart seine «Preussischen» Streichquartette, wohl im Auftrag Friedrich Wilhelms II., in den Jahren 1789/90 komponiert hat? Keine Ahnung; Grund zu Missmut gibt es jedenfalls keinen. Das Ensemble mit Alina Ibragimova und Pablo Hernán Benedí (Violinen), Emilie Hörnlund (Viola) und Claire Thirion gehört nach wie vor zu den bedeutendsten, weil zukunftsweisenden Streichquartetten dieser Tage. Besonders fassbar wird das im Repertoirebereich der Wiener Klassik. Vor fünf Jahren begannen sie mit Joseph Haydn – und dort mit nicht weniger als den späten, anspruchsvollen Quartetten op. 76, Hob. III:75-80 (vgl. «Mittwochs um zwölf» vom 06.05.20 und vom 03.02.21). Sie liessen damals erleben, wie feinsinnig und berührend diese Musik klingen kann – keine Spur von Papa Haydn, keine Rede von der angeblichen Verzopftheit des Streichquartetts. Vielmehr pulsierendes Leben.

Inzwischen ist das Chiaroscuro-Quartett weitergegangen zu Ludwig van Beethoven. Hier nun allerdings nicht zu Stücken aus dem schwierigen, widerständigen Spätwerk, sondern zu den weitherum geliebten sechs Streichquartetten des Opus 18. Die Nummer 3 zum Beispiel in D-dur, die vermutlich 1798 als erstes der sechs für den Fürsten Lobkowitz komponierten Quartette entstand: leicht und hell ist da der Ton der alten, mit Darmsaiten bespannten und mit klassischen Bögen gespielten Instrumente, federnd die Artikulation, spritzig die Akzentsetzung. Was die historisch informierte Spielweise, zu der etwa der nuancierte, bewusste Gebrauch des Vibratos gehört, an Gewinn einbringt, es ist etwa an den liegenden Dreiklängen zu hören, die mit ihrer Schönheit ganz unerhört in die Ohren dringen – so ist es eben, wenn solche Akkorde mit geraden Tönen gespielt werden und im Zusammenklingen perfekt austariert sind. Wunderbar ausschwingend zudem die Kantilenen der Primgeige, die sich mit unaufdringlichem Espressivo und zartem Rubato über die von den drei anderen Instrumenten gebildete Harmonie legen.

Und nun also Mozart, der zusammen mit Haydn dem jungen Beethoven so viel Respekt vor dem Streichquartett abgenötigt hat. Rückt das Chiaroscuro-Quartett das Opus 18 Beethovens klanglich in die Nähe zu Haydn, so gibt es die «Preussischen» Streichquartette Mozarts in selbstbewusstem, ja stolzem, festlichem Klang. Natürlich herrscht auch hier, in der Auslegung der drei Quartette in D-dur (KV 575), B-dur (KV 589) und F-dur (KV 590), letzte Genauigkeit gegenüber dem Notentext. Und lebt eine Kultur des Zusammenspiels, in der bei allem klanglichen Ausgleich die vier Stimmen ihre je eigene Individualität pflegen. Auffällig ist aber auch, wie sich das Quartett in der Auseinandersetzung mit Mozart vom streng durchgehaltenen Puls emanzipiert und sich, auch das ist historisch legitim, Freiheiten in der Tempogestaltung nimmt, die wesentlich zur Vitalität des musikalischen Geschehens beitragen – ausserordentlich spannend ist das. In der allgemeinen Wirksamkeit der Musik Mozarts stehen die Streichquartette, wie übrigens auch die Lieder, in einem hinteren Glied. Zu Unrecht, wie die anregende Lektion mit dem Chiaroscuro-Quartett lehrt.

Wolfgang Amadeus Mozart: Die «Preussischen» Streichquartette in D-dur (KV 575), in B-dur (KV 589) und in F-dur (KV 590). Chiaroscuro-Quartett. BIS 2558 (CD, Aufnahme 2020, Publikation 2022)

Ludwig van Beethoven: Sechs Streichquartette op. 18. Chiaroscuro-Quartett. BIS 2488 und 2498 (2 CD, Aufnahme 2019, Publikation 2021)

Joseph Haydn: Streichquartette op. 76. Chiaroscuro-Quartett. BIS 2348 und 2358 (2 CD Aufnahmen 2017 und 2018, Publikation 2020)

Neues aus der Kammermusik

 

Peter Hagmann

Auf der Höhe der Zeit

Das Quatuor Van Kuijk und seine erste CD

 

Da wäre es, das Streichquartett unserer Zeit. Quatuor Van Kuijk heisst es – und da ist die babylonische Verwirrung schon beträchtlich. Es handelt sich nämlich keineswegs um ein Ensemble aus den Niederlanden, wie sein Name suggeriert, sondern um eines aus Frankreich; 2012 in Paris gegründet, besteht es aus vier jungen Absolventen der Konservatorien von Lyon und Paris. Sowohl Nicolas Van Kuijk und Sylvain Favre-Bulle (Violinen) als auch Grégoire Vecchioni (Viola) und François Robin (Violoncello) haben bei ersten Vertretern ihrer Instrumente studiert; als Ensemble haben sie sich etwa vom Hagen-, dem Artemis- und dem Alban Berg-Quartett instruieren lassen. Das liest sich alles schon sehr gut.

Wer nun aber in die erste CD des Quatuor Van Kuijk einsteigt (Alpha 246), kommt mächtig ins Staunen. Die Streichquartette in Es-dur und C-dur, KV 428 und 465, von Wolfgang Amadeus Mozart und dessen Divertimento in D-dur, KV 136, entfalten ein Leben, das man nicht für möglich gehalten hätte. Ganz homogen und kernig der Klang; die vier Instrumente wirken in vollkommen ausbalancierter Gewichtung miteinander. Zugleich aber bringt jedes der vier Ensemblemitglieder seine Persönlichkeit ein, und da der Klang bei aller Homogenität hochgradig transparent bleibt, kommt es sogleich zu jenem Miteinander-Sprechen, das für die Gattung des Streichquartetts kennzeichnend ist. Und das alles im Umfeld eines warmen, leuchtkräftigen Tons, bei dem man durchaus an die Verwendung von Darmsaiten denken kann.

Dies um so mehr, als die Veränderungen in Spielhaltung und Interpretation, welche die historisch informierte Aufführungspraxis ausgelöst hat, beim Quatuor Van Kuijk ganz selbstverständlich präsent sind – obwohl sich die vier Musiker nicht explizit zu dieser Richtung bekennen. Der Kopfsatz des Es-dur-Quartetts KV 428 stellt das Hauptthema im Unisono vor, was das Quartett ohne jedes Vibrato, dafür aber in erregend sauberer Intonation verwirklicht. Wie dieses Hauptthema in den folgenden Takten dann seine harmonische Einkleidung erhält, kommt auch das Vibrato zum Zug, aber eben nicht als Grundlage der Tongebung, sondern in seinem eigentlichen Sinn, als Verzierung und Verschönerung nämlich – aufregend ist das. Ebenso versteht es sich, dass der Primgeiger seinen Triller, den er vor dem Einsatz des Seitensatzes anzubringen hat, von oben spielt. Beobachtungen dieser Art mögen als Klauberei empfunden werden; in Tat und Wahrheit sind es genau solche Details, die diese Musik in neuen Klang bringen.

Und die das Quatuor Van Kuijk als eines jener ganz und gar in der Gegenwart verankerten Streichquartette erkennen lassen, vergleichbar etwa dem Cuarteto Casals. Die Zeiten des Alban-Berg-Quartetts, an dessen enormen Verdiensten in keiner Weise gezweifelt werden soll, sind nun einmal vorbei, in der Streichquartett-Szene weht inzwischen ein anderer, ein frischer Wind. Kein Wunder, war das Quatuor Van Kuijk diesen Sommer bei dem Davoser Festival «Young Artists in Concert» in Residenz, eingeladen von seinem Intendanten Reto Bieri, einem gleichermassen auf der Höhe der Zeit stehenden Klarinettisten. Und ist es erstaunlich, wenn dem Quatuor Van Kuijk eine so renommierte kammermusikalische Bühne wie die Londoner Wigmore Hall offensteht? Wenn nicht alles täuscht, wird man von diesem Streichquartett bald mehr hören.

Das Quatuor Van Kuijk tritt am Samstag, 26. November 2016, um 17 Uhr im Rahmen der Neuen Konzertreihe von Jürg Hochuli im Kleinen Saal der Tonhalle Zürich auf. Informationen unter www.hochuli-konzert.ch.