«Roberto Devereux» von Donizetti in Zürich
Von Peter Hagmann
Schon das Eröffnungsbild lässt einen erschrecken. Der Körper liegt reglos in einer Blutlache, der Hals geht ins Leere und zeigt seine Innereien, der Kopf liegt weitab davon – und schon sind die dienstbaren Geister da, die einen tragen die zwei Teile des Opfers weg, die anderen versuchen der Blutspuren Herr zu werden. Wem das falsche Wort entfährt, wer die falsche Tat begeht, dem droht das Beil des Henkers. So war es damals, als es Königinnen gab, die riesige Reifröcke trugen, über Leib und Leben geboten und in verzweifelter Einsamkeit lebten. Und so ist es heute, in Russland, in Iran, in Saudi-Arabien – die Menschheit ist kaum einen halben Schritt weiter. Der Gedanken mag einem durch den Kopf schiessen, während man sich im Opernhaus Zürich die neue Produktion von «Roberto Devereux» zu Gemüte führt. Tatsächlich spielt die dritte der drei Opern Gaetano Donizettis über die in England herrschende Familie der Tudors im sechzehnten Jahrhundert, davon sprechen die prachtvollen Kostüme, mit denen Gideon Daveys Ausstattung prunkt. Ins Auge fällt aber auch die leicht gekrümmte, aus glattpolierten Steinblöcken gebildete Rückwand, die nicht nur den Spielraum ins Weite öffnet, sondern auch in aller Eindeutigkeit auf die Kälte der Gegenwart verweist.
Entschieden schliesst sich dem der Dirigent Enrique Mazzola an – und zwar gerade dadurch, dass er Donizettis Musik am Pult der hellwachen Philharmonia und des von Janko Kastelic hervorragend vorbereiteten Chors der Oper Zürich im Geist der historisch informierten Aufführungspraxis zum Klingen bringt. Das ist längst keine Frage des verwendeten Instrumentariums mehr, wohl aber eine solche der Textbezogenheit. Mazzola entdeckte in der originalen Handschrift der Partitur Tempobezeichnungen des Komponisten, die in der verbreiteten, flächig gearteten Tradition der Wiedergabe verlorengegangen sind. Mazzola spielt diese Brüche kompromisslos aus – so scharf, wie er die Instrumentalfarben staffelt und dadurch Donizetti geradewegs als ein anderer erscheinen lässt. Die innere Zerrissenheit, welche die Figuren in «Roberto Devereux» durchs Band kennzeichnet, erscheint so in hellem, ja grellem Licht. Und hebt die Oper über jede Belcanto-trunkene Harmlosigkeit heraus.
Der Regisseur David Alden, der mit diesem Abend seine 2018 in Angriff genommene Zürcher Tudor-Trilogie beschliesst, bleibt da unbestimmter. Er denkt eher in Kategorien des szenischen Effekts als in solchen der psychischen Feinzeichnung. Das raumhohe, halbkreisförmige Element mit den Porträts aus der ungewöhnlich langen Regierungszeit Elisabeths I. – es zu bewegen dem Team der Bühnentechnik Schwerarbeit ab –, der steinerne Brocken, der aus Andreas Homokis Inszenierung der «Walküre» stammen könnte, der enorme Thron, das alles frappiert gehörig. In der Profilierung der handelnden Figuren bleibt jedoch manches beiläufig. Wenn der Strippenzieher Lord Cecil (Andrew Owens) als körperbehinderter Alter mit Stock und nervös wippenden Fingern auftritt, erscheint das als ein allzu wohlfeiles Déjà-vu. Und die Brutalität des Herzogs von Nottingham angesichts der Enttäuschungen, denen er sich gegenübersieht, wirkt in einem wenig überzeugenden Sinn opernartig. Das mag auch auf sängerische Defizite zurückgehen; Konstantin Shushakov arbeitet mit so viel Vibrato, dass die Tonhöhe oft nur schwer zu orten ist.
Auch nicht frei von Klischees bleibt das Profil, mit dem die titelgebende Figur des Roberto Devereux, des jungen Aufständischen, den die Königin an ihr Herz gezogen hat, versehen ist. Musikalisch lässt Stephen Costello dagegen keinen Wunsch offen; dank seinem leuchtenden, tragfähigen Timbre gerät die Arie, in der er seiner Verzweiflung Lauf lässt, überaus eindringlich. Grandios die junge Anna Goryachova als Sara, die Gattin Nottinghams und Geliebte Devereux’. Herrlich entfaltet sich ihr dunkler Mezzosopran, zu intensiver Verbindung finden das musikalische Gestalten und die szenische Verwirklichung. In der Titelpartie ist Diana Damrau, die bei «Maria Stuarda» wie bei «Anna Bolena» im Zentrum stand, nicht mehr dabei. An ihre Stelle trat Inga Kalna, eine Charakterdarstellerin von hohem Format. An der Premiere verlor die lettische Sopranistin in den Fortissimo-Eruptionen des Beginns die dynamische Kontrolle – mit einiger Wehmut kam da der Gedanke an die künstlerisch so erfüllten Zeiten mit Edita Gruberova auf. Mehr und mehr gelang es ihr jedoch, den stimmlichen Ausdruck ins Ganze ihrer Bühnenerscheinung einzubinden und die fatal folgenreiche Egozentrik der Königin zu erschreckender Wirksamkeit zu bringen.