Das Streichquartett als Solistenorchester

Zu Gast beim Tonhalle-Orchester Zürich:
das Leonkoro-Quartett

 

Von Peter Hagmann

 

Wie ein Komet ist es am Himmel der Kammermusik aufgestiegen; heute zählt das 2019 in Berlin gegründete Leonkoro-Quartett zu den begehrtesten Formationen junger Generation, wie der prall gefüllte Kalender des Ensembles erweist. Zu den Destinationen gehört Madrid, wo Günter Pichler, seines Zeichens Primarius des ehemaligen Alban Berg-Quartetts, an der Escuela Superior de Música Reina Sofia eine weitherum beachtete Meisterklasse führt. Zu den Mentoren zählt auch der Pianist Alfred Brendel, der in seinen späten Lebensjahren zu einem ferventen Verfechter des Vibratos und der darauf bauenden Klangkultur geworden ist. Das Spiel des Leonkoro-Quartetts – der Name bedeutet so viel wie «Löwenherz» in der Kunstsprache Esperanto – lässt diese ästhetische Herkunft in aller Klarheit aufscheinen.

Jonathan Schwarz und Amelie Wallner an den beiden Geigen sowie Mayu Konoe an der Bratsche spielen im Stehen, nur der Cellist Lukas Schwarz sitzt. Das ist ein klares Statement – insofern, als sich die vier Mitglieder des Ensembles als Solisten verstehen. So tat es bisweilen auch das Artemis-Quartett, bei dessen Geiger Heime Müller sich das Leonkoro-Quartett ersten Schliff holte. Spuren davon gab das Gastspiel des Quartetts beim Tonhalle-Orchester Zürich in der umwerfend expliziten Gestaltung der musikalischen Verläufe zu erkennen. Mit einem Feuereifer sondergleichen stürzte sich das Ensemble in die Auslegung von Paul Hindemiths frühem Streichquartett Nr. 2, f-Moll op. 10. Die vier verliehen dieser wild ausgreifenden Partitur Ecken und Kanten und schonten sich keinen Augenblick lang. Dass der Variationensatz in der Mitte und vor allem das Finale eine kürzende Hand vertragen hätte, daran trugen sie keine Schuld.

Vier Solisten: ja, gewiss. Es war an der ungeheuer vitalen Interaktion zu spüren, aber auch an den sehr persönlichen, von spezifischer Musikalität getragenen Einwürfen der Bratscherin Mayu Konoe mit ihrem kernigen Klang und des Cellisten Lukas Schwarz mit seiner prägnanten Artikulation. Allein, trotz der solistischen Ambition glänzt das Leonkoro-Quartett durch einen unerhört kompakten, warmen, sinnlichen Ton. Vier Individuen haben von ihren je eigenen Positionen aus zu einem Gesamten gefunden – zu einem Gesamten nach der Art eines Orchesters. Ohne Zweifel geht das auf die Schulung durch Günter Pichler zurück – es ist ein Wiener Ton, der hier herrscht, farbenreich blühend. Das machte im vollbesetzten Kleinen Saal der Zürcher Tonhalle das Streichquartett in e-Moll, op. 44 Nr. 2, von Felix Mendelssohn Bartholdy zum bejubelten Grossereignis. Hinreissend, wie hier Kantabilität und Virtuosität zueinander fanden. Wie das Appassionato des Kopfsatzes und das Elfen-Scherzo helle Kontraste bildeten und das Finale in seiner perfekten Geläufigkeit staunen machte.

Technisch, a auch musikalisch gibt es hier nicht das Geringste zu bemängeln – ausser, die alten Herren aus Wien lassen grüssen – dem Vibrato. In kontinuierlicher Üppigkeit wird es eingesetzt. Das hatte zur Folge, dass das Streichquartett in F-Dur, KV 590, das dritte der «Preussischen» mit seinem hohen Anteil an tragenden Einwürfen des Cellos, etwas gestrig, etwas unverbindlich wirkte. Gerade in Sachen Mozart ist dieser Tage manches in Bewegung geraten, man denke nur an Ensembles wie das Quatuor Mosaïque, das Gringolts-Quartett oder das Chiaroscuro Quartet. Nicht dass die historisch informierte Aufführungspraxis zum Dogma gemacht werden müsste. Aber die eine oder andere Anregung, gerade in Fragen des Vibratos und damit des sprechenden Ausdrucks, liesse sich vielleicht doch aufnehmen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Streichquartetts folgt in den Konzerten des Tonhalle-Orchesters Zürich am Wochenende vom 25./26. Januar, an dem in drei Konzerten in der Kleinen Tonhalle das Jerusalem Quartet die Streichquartette Nr. 1 bis 9 von Dmitri Schostakowitschs vortragen werden. Dies im Rahmen des Schostkawitsch-Zyklus, den das Orchester und seine Musikdirektor Paavo Järvi in dieser Spielzeit verfolgen.