«La rondine» von Giacomo Puccini in Zürich
Von Peter Hagmann
Die Einleitung erinnert unüberhörbar an das zweite Bild von «La Bohème», an die rauschende Fröhlichkeit von Heiligabend in den Strassen des Quartier Latin. In «La rondine», dem Spätwerk Giacomo Puccinis, ist es fürs erste jedoch bald vorbei mit der Ausgelassenheit. Gehört die Bühne einer jungen Frau, die von der grossen, der wahren Liebe träumt. Es ist Magda de Civry, die von dem begüterten Rambaldo ausgehalten wird, jedoch dringend aus dem goldenen Käfig ausbrechen möchte. Und es ist Ermonela Jaho, die mit ihrer Kunst auf Anhieb in Bann schlägt. Mühelos steigt sie in höchste Höhen, in hauchzartem Pianissimo verharrt sie auf der emotional so aufgeladenen Terzlage, und dazu bebt sie am ganzen Körper – in restloser Identifikation mit dem Moment. Kein Wunder hören Rambaldos Gäste fassungslos zu, und jeder von ihnen tut das in seiner eigenen Weise, denn am Regiepult sass Christof Loy, der wie selten jemand die Kunst beherrscht, aus Sängern Schauspieler werden zu lassen und auch in kleinen Rollen ausgeprägte Charaktere zu schaffen. Die Lust im grossen, durchwegs ausgezeichneten Ensemble ist nicht zu verkennen.
So blicken wir denn, wenn sich im Opernhaus Zürich der rote Theatervorhang nach der Art der Wagner-Gardine angehoben hat, in einen edlen Salon mit doppelter Raumhöhe, gestylten Sitzgelegenheiten und, in einer Ecke, dem Flügel als Zeichen gehobener Bürgerlichkeit – der Bühnenbildner Etienne Pluss hat an diesem hochästhetischen Ort für Weite und ein angenehmes Zusammenspiel von Alt-Rosa und Grautönen gesorgt. Mit allem Raffinement hat die Kostümbildnerin Barbara Drosihn die Dezenz der Form und die Subtilität der Farbe aufgenommen. Viel zu singen hat Vladimir Stoyanov als der diskrete Hausherr und Gastgeber nicht, aber wenn Rambaldo in seinem vollendeten Dreiteiler leicht gelangweilt zur bereits durchgelesenen Tageszeitung greift, richten sich aller Augen auf ihn.
Erheiternd der unerhört selbstgewisse Dichter Prunier und seine Geliebte Lisette, ein Wirbelwind von Dienstmädchen – Juan Francisco Gatell und Sandra Hamoui sorgen für ein von liebevollem Geplänkel getragenes Vorspiel. Wie dann aber unverhofft der junge, ebenso naive wie stolze Ruggero in seiner Bankerkluft zu Besuch kommt, beginnt sich der Knoten zu schnüren. Erst nehmen sie nicht gross Notiz voneinander. Im Café Bullier, wo enorm Trubel herrscht und das Klischee von Paris als der Weltstadt des Flirts ausgelebt wird, verfallen sie einander hoffnungslos, knautscht sie aufgeregt ihr grünes Täschchen, während er nervös an seinem gleichermassen grünen Absinth nippt. Sie und Er, Magda und Ruggero, sie sind das Paar der Stunde, denn Ermonela Jaho mit ihrem dunklen Timbre und Benjamin Bernheim mit seinem obertonreich glänzenden, äusserst flexiblen Tenor sind füreinander geschaffen – wie einst, ebenfalls in der Zürcher Oper, Agnes Baltsa und José Carreras.
Seine allerschönsten Töne hat Puccini in die Notenlinien gezaubert: aufschwingende Melodiebögen und silberhellen Orchesterklang, gefärbt durch oktavierte Geigen, zarte Einwürfe der Holzbläser und, in Momenten der Kulmination, helle Glöckchen. Unter der ebenso inspirierenden wie kundigen Hand des Dirigenten Marco Armiliato blüht die Philharmonia Zürich förmlich auf; das Orchester schwelgt im Spiel der Farben und, vor allem, in den schimmernden Tönen des Leisen. Doch dann und sehr plötzlich steigt die Temperatur. Magdas Mimik spricht von ihren Zweifeln. Ruggero dagegen, nichts ahnend im Versuch, die feurige Beziehung zu festigen, erscheint mit einem Brief, in dem die Mutter in die Eheschliessung einwilligt. Da bricht es aus Magda heraus: Sie sei nicht, was er in ihr sehe, könne weder Gattin noch Mutter sein, sie habe sich für Geld hergegeben, sie könne sein Haus nicht betreten – mit einem Schrei aus der Tiefe ihrer Bruststimme entringt sich Ermonela Jaho dieser letzte Satz.
Benjamin Bernheim steht ihr, was seine lebensgefährliche Verzweiflung ob diesem Geständnis betrifft, in nichts nach. Und Marco Armiliato zeigt, wie grossartig er das Orchester aus dem Duft des Leisen in die volle Kraft zu führen weiss – dort übrigens ohne jede Störung der Balance. Rasch ist das Ende herbeigeführt; Puccini tat sich schwer damit, hat dank seinem Sinn für das Dramatische aber doch den rechten Weg gefunden. Und schon sehen sich die Protagonisten dem tosenden Beifall gegenüber, er mit zusammengebissenen Lippen, sie mit einer Träne, die sie keineswegs verstohlen weggewischt. «La rondine»: ein Meisterwerk, meisterlich dargeboten.