Im Land der versehrten Seelen

«Das grosse Feuer» von Beat Furrer,
Uraufführung im Opernhaus Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Bild Herwig Prammer, Opernhaus Zürich

In seinem Kopf herrscht ein Riesen-Durcheinander. Seine Identität schwankt. Auf der einen Seite fühlt sich Eisejuaz verbunden mit jenem indigenen Stamm aus dem Norden Argentiniens, in dem er aufgewachsen ist, auf der anderen prägt ihn die Sozialisation durch eine Missionsstelle mit ihren strengen Geboten. So zieht es ihn einerseits immer wieder zu seiner schamanischen Tradition, kommuniziert er mit den Tieren und den Bäumen, die zu ihm sprechen. Während er andererseits ein Leben führt, in dem ihm Pastoren das Schreiben und Lesen beibringen, aber auch Gehorsam, ja Unterwerfung fordern. In diesem Gestrüpp dröhnen die Kettensägen und die Lastwagen, die Ladung um Ladung das Biotop des Waldes zerstören – Eisejuaz nimmt selbst daran teil, indem er zeitweise in einem Sägewerk arbeitet. Und dabei auf eine Vielzahl von Menschen stösst, die ihm mit den unterschiedlichsten Forderungen begegnen.

So schildert es die argentinische Schriftstellerin Sara Gallardo in «Eisejuaz», ihrem Roman von 1971. Er ist in einer ganz eigenartigen, bisweilen rohen, bisweilen zärtlichen Sprache gehalten, denn er basiert auf langen Gesprächen mit dem Menschen, der sich hinter dem Namen des Protagonisten verbirgt. Durch einen seiner Studenten ist Beat Furrer auf den Stoff und die Art seiner Präsentation aufmerksam geworden. Dass sich der siebzigjährige Komponist dadurch angezogen fühlte, ist kein Wunder. Seinem unprätentiösen Auftreten entsprechend, gehorcht seine Musik einer Ästhetik des Leisen; der bis ins Feinste aufgefächerte Klang bildet die Grundlage seines Tuns, auch wenn der Verdichtung, ja dem Ausbruch durchaus Raum bleibt – die Vielstimmigkeit von Sara Gallardos Roman fügte sich da nahtlos ein. Auf der anderen Seite macht Beat Furrer kein Hehl aus seiner Wachheit den Zeitläuften gegenüber. Was mit dem Regenwald geschieht und welche Folgen es bis hinein ins Individuelle es zeitigen kann, mag ihm alles andere als gleichgültig sein.

So machte er sich auf die Reise, als ihn vor fünf Jahren ein Kompositionsauftrag des Opernhauses Zürich erreichte. Jetzt ist «Das grosse Feuer», so der Titel von Furrers nunmehr achter Oper, zu einer intensiven, von einem hochstehenden Programmbuch begleiteten Uraufführung gekommen. Das Stimmengewirr der Vorlage hatte den Komponisten dazu angeregt, die Oper ganz aus dem Klang eines Chors heraus zu entwickeln, was umso näher lag, als mit Cantando Admont (Einstudierung Cordula Bürgi) ein hervorragendes, mit Furrers Handschrift seit langem vertrautes Vokalensemble zur Verfügung stand. So gibt es in dieser Oper nur zwei herausgehobene Partien, jene des Eisejuaz, in der Leigh Melrose grossartig zugespitzte Expressivität findet, und jene des Paqui, seines larmoyanten, egozentrischen Gegenspielers aus dem Lager der Weissen – Andrew Moore bringt das haarscharf auf den Punkt. Was hier geleistet wird, auch von der Philharmonia Zürich mit dem Komponisten am Pult, kann nicht genug gewürdigt werden.

Denn Beat Furrers Partitur hat es sich in sich. In ihren Grundzügen ist die Handschrift unverkennbar geblieben. Zu hören ist eine Musik, die über weite Strecken flüstert, die im Instrumentalen von einem hohen Raffinement an Klangfarben lebt, die auch, allerdings sehr diskret, das Geräusch einbezieht und mit all dem die Menschen im Zuschauerraum einlädt, die Ohren zu spitzen. «Das grosse Feuer», zwei ineinander übergehende Akte von insgesamt zwei Stunden Dauer, geht aber insofern einen Schritt weiter, als die Mikrotonalität stark verfeinert ist, was vor allem den Klang des Vokalensembles prägt. Das musikalische Geschehen erhält ausgeprägt glissierende Züge, wobei dieses Glissieren jedoch strukturell gemeint und vom Komponisten bis ins Einzelne gesteuert ist.

Mag sein, dass die blendende musikalische Anlage dem Dramatischen als dem Zentrum einer Oper im Weg steht. Der Schriftsteller Thomas Stangl hat den Roman von Sara Gallardo mit aller Sensibilität den Bedürfnissen eines musikalischen Dramas angepasst – dass die Handlung als solche eher im Hintergrund bleibt, daran hat er nichts ändern können. Natürlich, es gibt die Konfrontation zwischen dem eingeborenen Eisejuaz und dem sich aufdrängenden Kolonisator Paqui, es gibt die am Ende fatalen Annäherungsversuche der Frauen, es gibt den Zeigefinger des Missionars (Hugo Paulsson Stove), all das ändert wenig an dem rituellen Zug, den «Das grosse Feuer» ausprägt. Umso eindrucksvoller, was Tatjana Gürbaca, als Folge einer Erkrankung nur bedingt einsatzfähig, und Vivien Hohnholz (Inszenierung), Henrik Ahr (Bühnenbild) und Silke Willrett (Kostüme) an theatralem Effekt aus der anspruchsvollen Vorlage herausgeholt haben.

Die Bühne ist von einer dicken Mauer umschlossen. Im Inneren ragen verkohlte Stangen in die Höhe, Symbole für den niedergebrannten Regenwald wie für die durch die brutale Kolonisierung versehrten Seelen. Dabei lässt das szenische Team sehen, was die Oper von Beat Furrer und Thomas Stangl hörbar macht: dass eine Vielzahl an Menschen in die schwierigsten Lagen kommt, dass es in ihnen glüht, ja brodelt. Eine enorme Zahl an Mitwirkenden sind auf der Bühne versammelt, jeder Darstellerin, jedem Darsteller ist eine spezifische Funktion zugewiesen, worauf die Kostüme sinnreich aufmerksam machen. Dabei manifestieren sich durchaus auch kontrastierende Kräfte. Die Hauptfigur Eisejuaz beklagt den Verlust seiner seelischen Heimat im zerstörten Wald, das autoritäre Christentum der Weissen lehnt er als Möglichkeit einer neuen Heimat jedoch scharf ab, gibt sich ihm aber gleichwohl hin, wie es «der Herr» aus dem Abfluss einer Küchenspüle beim Reinigen von Gläsern von ihm verlangt hat. Findet «Das grosse Feuer» sein Ende, brummt einem der Kopf. So soll es sein, die Oper ist ja von Beat Furrer.

Ein Wahnsinn, diese Arie

«Lucia di Lammermoor» im Opernhaus Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Brautbett als Grab: Piotr Beczała als Edgardo und Irina Lungu als Lucia / Bild Herwig Prammer, Opernhaus Zürich

Nichts gegen Tatjana Gürbaca, überhaupt nichts – aber wäre «Lucia di Lammermoor», eine Sängeroper par excellence, nicht genau das Richtige für eine konzertante oder bestenfalls eine halbszenische Aufführung? Die Bösen sind die Bösen, die Liebenden sind die Liebenden, das ist zu hören, da braucht es keinen Blumenkranz, weder Totschläger noch Morgenstern, nicht einmal Theaterblut wäre vonnöten. Indes, die Oper Gaetano Donizettis ist nun mal eine Oper, und zu der gehört bekanntlich eine Bühne, weshalb ein Team von Bühnenkünstlerinnen und Bühnenkünstlern verlangt ist. Am Opernhaus Zürich, das nach der fulminanten Eröffnung mit Mussorgskys «Boris Godunow» die durch das Virus gründlich durcheinandergebrachte, wenn auch bewundernswert bewältigte Spielzeit mit «Lucia di Lammermoor» beschliesst, waren drei Frauen am Werk, neben der Regisseurin noch die Kostümbildnerin Silke Willrett und die Dramaturgin Beate Breitenbach.

Stimmt nicht, es waren deren vier. Denn am Pult der Philharmonia Zürich stand Speranza Scappucci, die Dirigentin aus Rom, die über einen zu Recht ausgezeichneten Ruf verfügt. Schon in der Einleitungsszene fielen jene goldrichtig gezügelten Tempi auf, die so unerhört Spannung schaffen. Und gleich wurde auch deutlich, wie sehr und wie erfolgreich sie mit dem Orchester auf rhythmische Präzision hingearbeitet hat – denn genau diese Prägnanz ist es, die den vergleichsweise einfachen musikalischen Verläufen Donizettis Spannung und Profil verleihen. Grossartig zudem die subtile Abstufung der Klangfarben, die erkennen liess, dass auch in dieser Musik nicht die Melodielinie allein zählt, dass es vielmehr selbst hier auf das Miteinander der verschiedenen Parameter ankommt. Für all das ein Extra-Kompliment, bitte sehr.

Leider lässt die vom Opernhaus vollmundig angepriesene Tonanlage, so der Eindruck auf einem Sitzplatz im ersten Rang, sehr zu wünschen übrig. Das in seinem Probensaal wirkende Orchester (wie auch der an diesem Abend hervorragende, von Janko Kastelic vorbereitete Chor), das über eine Standleitung mit dem Zuschauerraum verbunden ist, klingt topfig und zudem unrealistisch, scheinen in der speziellen raumakustischen Einrichtung die Geigen doch aus dem Hintergrund des zweiten Rangs zu kommen, wo in der Oper der Orchesterklang doch ganz einfach aus dem Graben emporsteigt. Verdienstvoll der lange Zeit vernachlässigte Einsatz der Glasharmonika am Ende der Oper. Kundig wird sie von Thomas Bloch im Zuschauerraum bedient, nur ist sie leider zu selten in der wünschenswerten Klarheit zu hören – zu laut sind die Stimmen auf der Bühne, zu laut ist das Orchester aus dem Lautsprecher. Ein Schuss in den Ofen. Vielleicht wäre es angebracht, das zarte Instrument mit einem Mikrophon zu versehen.

Die Lautstärke auf der Bühne und die (meistens) darauf abgestimmte Klangkraft der orchestralen Lautsprecher – da liegen die zentralen Probleme der Produktion. Es wird wieder einmal gebrüllt, dass es eine Art hat. Dass Enrico Ashton in der angespannten politischen Lage unter Druck steht und sich über eine gesellschaftlich wie politisch opportune Verheiratung seiner Schwester in Sicherheit zu bringen sucht, ist verständlich, aber muss das zu fast durchgehendem Fortissimo führen? Sein strahlkräftiger Bariton lässt annehmen, dass Massimo Cavalletti mehr kann als Dröhnen. Einen grobschlächtigen Haudegen gibt Iain Milne als Normanno, der Anführer von Ashtons Privatarmee, das ist immerhin rollendeckend. Wenn in diesem lautstarken Umfeld der auf Ausgleich bedachte Geistliche Raimondo mit seiner Hornbrille und seiner samtenen, milden Stimme zum durchsetzungsschwachen Intellektuellen gemacht wird, bleibt das allerdings ein zu dick aufgetragenes Klischee.

Auch Piotr Beczała, für die männliche Hauptrolle des Edgardo gewonnen, spart nicht mit Kraftentfaltung, nur bleibt er dabei hochkultiviert. Anfangs tut er noch derart zu viel des Guten, dass die Liebeserklärungen und der Treueschwur zur Karikatur verkommen. Bei seinem überraschenden Auftritt auf der erzwungenen Hochzeit seiner Geliebten und vollends am Schluss, wo er als böswillig Getäuschter in tiefste Verzweiflung sinkt, zeigt er dann freilich sein ganzes stimmliches Format. Irina Lungu dagegen, die Lucia des Abends, stellt zahlreiche Fragezeichen in den Raum. Auch sie gibt immer wieder viel zu viel Ton, das entspricht der stimmlichen Anlage ihres kompakten Soprans. Für die berühmte Wahnsinnsarie ist das freilich nicht die beste Voraussetzung. Weder in technischer noch in stilistischer Hinsicht vermag sie dieses überaus heikle Stück zu meistern. Die raschen Tonbewegungen geraten ihr nicht mit der nötigen Trennschärfe, die raffinierten Ausdrucksmittel des Belcanto scheinen ihr weitgehend terra incognita zu sein, das Wechselspiel mit der Glasharmonika kann, wenn sich die Stimme derart massiv über das Instrument legt, in keiner Weise wahrgenommen werden. Das alles ist betrüblich, zumal am Opernhaus Zürich, wo in den letzten Jahrzehnten ganz andere, unglaublich spannende Verwirklichungen dieser Arie zu hören waren.

So konnte man doch dankbar sein für die Präsenz des Szenischen, zumal Tatjana Gürbaca den beträchtlichen Anforderungen ihrer Aufgabe mit Geschick begegnet ist. Die Drehbühne ihres Bühnenbildners Klaus Grünberg, sie mag die unendliche Spirale der Gewalt versinnbildlichen, die zwischen den verfeindeten Familien Ashton und Ravenswood herrscht, und wenn anfangs die Vorgeschichte durch die Hauptpersonen im Kindesalter und am Ende Enrico Ashton als Erhängter sichtbar werden, sorgt das für klärende Einbettung. Scharf sind die Figuren gezeichnet, auch in den Nebenrollen. Sie hat zwar kaum zu singen, aber als Alisa, Lucias Kammerdame, setzt sich Roswitha Christina Müller erfolgreich ins Bild. Erst recht gilt das für Arturo, den von Enrico für seine Schwester ausgewählten Bräutigam, der sein Interesse an dieser Braut mit dem Leben bezahlt: Mit seinem hellen Tenor, seinem gedrungenen Körper und dem weissen Anzug erscheint Andrew Owens als ein richtiggehender Fremdkörper. Zu schauen, auch nachzudenken gibt es reichlich. Dennoch bleibt unter dem Strich mehr Bemühen als Gelingen in Erinnerung. Mag sein, dass die konzertante oder halbszenische Wiedergabe doch den besseren Weg zum Werk öffnet.

Der Weltuntergang – umständehalber verschoben

«Le Grand Macabre» von György Ligeti im Opernhaus Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Jens Larsen (Astradamors), Alexander Kaimbacher (Piet vom Fass), Leigh Melrose (Nekrotzar) und der Zeppelino im neuen Zürcher «Macabre» / Bild Herwig Prammer, Opernhaus Zürich

Wenn die Lichter im Saal erloschen sind, platzen sie aus dem Nichts in die Ohren: die Autohupen, die krass klingen, aber in Rede und Gegenrede ein artiges Ensemble bilden. Der fulminante Einstieg mitsamt seiner Fortsetzung, mit dem Röhren der tiefen Blechbläser und des Kontrafagotts, mit dem knarzenden Brummen der Kontrabässe, schliesslich mit dem Auftritt des dauerbesoffenen Piet vom Fass (Alexander Kaimbacher) und mit der vor nichts zurückschreckenden Fäkalsprache – es ist immer wieder eine Gaudi. Seinen Pfeffer hat das Ding allerdings verloren. Die zwei amüsante Stunden lang ausgelebte Unanständigkeit von György Ligetis Oper «Le Grand Macabre» aus den Jahren 1974 bis 1977 hat längst Züge hoher Kunst angenommen – und wenn das Stück an einem respektablen Ort wie dem Opernhaus Zürich zur Aufführung kommt, wird die Domestizierung erst recht spürbar. «Le Grand Macabre» scheint da ganz in der Oper angekommen.

Das muss nicht unbedingt so sein. Vor knapp zwei Jahren wurde «Le Grand Macabre» vom Luzerner Theater in einer Weise realisiert, die durchaus etwas von der ursprünglichen Sprengkraft des Werks lebendig werden liess. Ligetis Oper ist damals über alles hinausgeschwappt: aus dem Orchestergraben in die Proszeniumslogen und auf die Bühne, von der Bühne in den Zuschauerraum. Der engen Verhältnisse im Stadttheater Luzern wegen bildete das enorme Arsenal an Schlaginstrumenten, unter ihnen die vier Autohupen, den einheitlichen Spielort. Und als sein eigener Ausstatter hatte der Regisseur Herbert Fritsch so grelle Farben (der Kostüme) und so wirbelnde Aktion (der Darsteller) entworfen, dass die Frechheiten, die sich Ligeti in ungebremster Lust ausgedacht hat, in aller Schärfe wirksam wurden. Übrigens auch musikalisch, was nicht zuletzt auf den Dirigenten Clemens Heil zurückging.

Im Vergleich dazu ist in Zürich alles eine Spur grösser, alles ein Grad distanzierter. Die Philharmonia, das Orchester der Oper Zürich, sitzt tief unten im Graben und bringt dort eine weit grössere Streicherbesetzung ins Spiel, als es in Luzern möglich ist. Das bindet den Klang und mildert ihn – auch wenn sich hie und da Instrumentalisten aus den Logen heraus vernehmen lassen. Dazu kommen die vergleichsweise langsamen Tempi, die der fabelhafte, an die Stelle des ursprünglich angekündigten Generalmusikdirektors Fabio Luisi getretene Dirigent Tito Ceccherini wählt. Sie fördern die Textverständlichkeit, die bei diesem Werk von besonderer Bedeutung ist. Und mehr noch: Die ruhigen Zeitmasse schaffen den Raum für das genaue Zuhören und für das Entdecken der hochgetriebenen Kunstfertigkeit, die Ligetis scheinbar so vordergründigen Klamauk trägt. Es ist schon so: Jedes Mal, wenn man dem «Grand Macabre» begegnet, glaubt man sich in nur zu vertrauten Gefilden – und kann man dennoch immer wieder Neues entdecken. Jedenfalls macht die Zürcher Produktion nachhaltig bewusst, dass «Le Grand Macabre» nicht nur scharfsinniger Grand Guignol ist, sondern vor allem als ein Meisterwerk erster Kategorie gelten darf.

Auch die Regisseurin Tatjana Gürbaca scheint es so zu sehen. Gewiss sorgt sie dafür, dass sich die Figuren einen Abend lang voll ausleben können. Zugleich versucht sie aber, sie ernst zu nehmen und hinter ihre Fassaden zu blicken. Mescalina zum Beispiel ist hier nicht die keifende Domina, die den hilflosen Hofastrologen Astradamors (Jens Larsen) nach Massen drangsaliert; sie wird vielmehr als eine zutiefst liebende Frau gezeigt, die mit gewiss etwas eigenwilligen Mitteln ihrem ermatteten Gatten auf neue Sprünge zu helfen sucht. Die Spinne beispielsweise, vor der es Astradamors so offenkundig graust, ist nicht Mescalinas Haustier, sondern ihr Schamhaar, zu dem sie die Hand des schaudernden Gatten führt. Am Premierenabend erhielt das seine besonders pikante Note, weil Judith Schmid, die diese Partie einstudiert hatte, mit einer Grippe ins Bett gesunken war und Tatjana Gürbaca höchstselbst an ihre Stelle trat. Blendend, wie das die Regisseurin mit ihren tänzerischen Fähigkeiten tat. Das Singen allerdings, das überliess sie Sarah Alexandra Hudarew, die als Mescalina schon in der Luzerner Produktion mitgewirkt hatte; äusserst kurzfristig aus der Karibik nach Zürich gekommen, bewährte sie sich dort ohne Fehl und Tadel.

Dennoch fehlt es auch in dieser Produktion nicht am prallen Effekt. Wenn der bedrohliche, sich jedoch im Alkohol vergessende Nekrotzar auf der Erde erscheint, entsteigt er einem niedlichen, von zwei Propellern gesteuerten Zeppelin, wie ihn der Bühnenbildner Henrik Ahr ersonnen hat. Der Boden der Zürcher Bühne gerät bei seinem Auftritt zwar heftig ins Schwanken, doch Leigh Melrose hält sich tapfer und schleudert die Frohbotschaft vom unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang klangvoll in den Raum. Als Fürst Gogo ist der famose Countertenor David Hansen der Nachbar von nebenan (die Kostüme stammen von Barbara Drosihn); in seiner kindischen Veranlagung hätte er auch der Präsident einer Grossmacht sein können, doch genau das hat sich Tatjana Gürbaca dankenswerterweise versagt. Seine beiden Minister (Oliver Widmer und Martin Zysset) indessen wirken trotz ihrem Alphabet der Schimpfwörter etwas brav. Phantastisch dafür die Norwegerin Eir Inderhaug, welche die halsbrecherische Partie des Gepopo virtuos bewältigt. Wenn sich mitten in den herausgeschleuderten Warnrufen des Geheimdienstchefs das Volk zu Wort meldet, erheben sich adrett gekleidete Damen und Herren im Parkett und auf den Rängen. Es ist der von Ernst Raffelsberger vorbereitete Chor, der hier für den vielleicht überraschendsten Einfall des Abends sorgt.