Zwei Mal Bruckners Achte

Aufnahmen mit Andris Nelsons und dem Gewandhausorchester sowie mit Christian Thielemann und den Wiener Philharmonikern lassen hören, was Differenzen im Detail bewirken.

 

Von Peter Hagmann

 

Die Zeit der Pultstars ist vorbei, Figuren am Dirigentenpult wie Herbert von Karajan, Leonard Bernstein oder Lorin Maazel sind weit und breit keine mehr zu erkennen. Interpreten jedoch, sie treten nach wie vor ans Licht; sie tragen ihre naturgemäss ganz persönlichen Ansichten mit Entschiedenheit vor. Besonders gut zu beobachten ist das dieser Tage, da auf dem Marktplatz der aufgezeichneten Musik, im CD-Katalog und in den Streaming-Diensten, kurz hintereinander zwei Konzertmitschnitte von Anton Bruckners Symphonie Nr. 8 in c-Moll erschienen sind – zwei Deutungen, die in mancher Hinsicht miteinander verwandt sind, die dem monumentalen Werk aber doch ganz unterschiedliche Konturen verleihen.

Sowohl Andris Nelsons am Pult des Leipziger Gewandhausorchesters – er verfolgt mit dem von ihm geleiteten Orchester für die Deutsche Grammophon eine Gesamtaufnahme der Symphonien Bruckners und ist in diesem Projekt schon weit vorangeschritten – als auch Christian Thielemann, den sich die Wiener Philharmoniker für einen gleichartiges Vorhaben bei Sony Classical ausgewählt haben, erweisen sich als Dirigenten der Jetztzeit. Der kantige, ja steinerne, an die Wiener Ringstrassenarchitektur gemahnende Bruckner-Ton früherer Zeiten – als Beispiel dafür kann der Name Eugen Jochums genannt werden – hat in den Vorstellungen der beiden Dirigenten keinen Platz; in je eigener Weise bringen sie die weit ausschwingenden Spannungsbögen, von denen Bruckners Achte lebt, in weich gezeichnete, flexibel atmende Verläufe. Auch in den Tempi stehen sie einander nah; 82 Minuten benötigen Nelsons wie Thielemann – der eine in diesem Satz, der andere in jenem eine Spur länger.

Dennoch stehen sich da zwei absolut unterschiedliche Erscheinungen von Bruckners Achter gegenüber. Schon allein vom Klangbild her – soweit sich das bei Aufnahmen beurteilen lässt. Das Leipziger Orchester geht in seiner Sonorität von einem soliden, ausgeprägten Bassfundament aus; sein Ton lebt von Wärme, Rundung und optimaler Vermischung der Farben – und wie Andris Nelsons, inzwischen in seiner vierten Saison als Gewandhauskapellmeister, das Potential zu nutzen versteht, spricht von einer grossartig gewachsenen, ja symbiotisch erscheinenden Verbindung zwischen dem Orchester und seinem inzwischen 42 Jahre alten Chefdirigenten.

Anders die Wiener Philharmoniker, der private Verein, der sich aus dem Orchester der Wiener Staatsoper rekrutiert und der keinen Chefdirigenten, nur Lieblingsdirigenten kennt. Zu ihnen gehört Christian Thielemann. In den Wienern findet er den belebenden Kontrast zur Staatskapelle Dresden, der «Wunderharfe» Richard Wagners, der Thielemann, heute 61 Jahre alt, seit neun Jahren vorsteht. Liess er in seinen jungen Jahren die Energien gerne entfesselt aufrauschen, darf er mittlerweile als ein Meister der Feinzeichnung gelten, auch und gerade an Stellen der Kraftentfaltung. Mit ihrem hellen Grundton, ihren leichten Bässen, dem Silberglanz ihrer Streicher und ihren charakteristischen Bläsern bieten ihm die Wiener die optimalen Voraussetzungen.

Das kennzeichnet denn auch die Einspielung von Bruckners Achter. Licht und geschmeidig ist der Klang, schlank kommen die Lineaturen daher, zumal jene der Wiener Oboe. Auffällig erscheint aber auch das bisweilen penetrante Vibrato der hohen Streicher. Es kann zu befremdlicher Larmoyanz führen, etwa im Adagio des dritten Satzes, wo sich nach einer ersten Gruppe von vier Takten das Geschehen von Dur nach Moll wendet und sich der leise wiegende, der Begleitung dienende Grundakkord für einen Augenblick schluchzend in den Vordergrund drängt. Mag sein, dass das einer Unaufmerksamkeit geschuldet ist – denn an solchen Versehen fehlt es nicht. Noch und noch kommt es zu mehr oder weniger verwackelten Einsätzen, was auch auf die erklärte Abneigung der Wiener gegen den präzisen Schlag zurückgehen kann. Besonders eigenartig wirkt, dass im Adagio nach dem zweiten Beckenschlag, der in einen abrupten, von einer einsamen Oktave der Violinen beleuchteten Einbruch der Stille führt, das dort von Bruckner notierte Ausklingen der Harfen fehlt.

Auf die Partitur, die der Aufführung zugrunde lag, geht das nicht zurück, anderes aber sehr wohl. Denn für seine Interpretation von Bruckners Achter hat Christian Thielemann doch tatsächlich die Edition von Robert Haas verwendet – ein Ausfluss schlechter Wiener Tradition, der auch Pierre Boulez bei seiner Einspielung des Werks mit den Wiener Philharmonikern 1996 zum Opfer gefallen ist. Die Ausgabe, die der langjährige Leiter der Musiksammlung in der Österreichischen Nationalbibliothek erstellt hat, läuft zwar unter dem Titel «Originalfassung», bietet die Symphonie jedoch in einer von Bruckner weder intendierten noch autorisierten Version. Sie reichert vielmehr die zweite Fassung der Partitur, die der Komponist 1890 erstellt hat, mit einzelnen, vom Herausgeber als notwendig, besonders sinnfällig oder schön erachteten Stellen aus der ersten Fassung von 1887 an; sie enthält ausserdem willkürlich gesetzte Aufführungsvorschriften, die vom Komponisten sorgfältig gebaute Spannungsverläufe stören. Mit ihren ungerechtfertigten Eingriffen in die Struktur der nun einmal in zwei Versionen bestehenden Symphonie setzt Haas’ Edition den bedenklichen Umgang früherer Zeiten mit den Werken Bruckners fort; im Konzertsaal von heute hat sie nichts mehr verloren.

So versteht sich, dass Andris Nelsons für seine Aufführung der Achten Bruckners in der Fassung von 1890 die neue, quellenkritische Edition von Leopold Nowak zur Hand genommen hat. Damit entfallen die strukturellen Ungereimtheiten, die sich in der Einspielung der Wiener Philharmoniker finden. Dazu kommt die technische Zuverlässigkeit, die möglicherweise mit Hilfe von Korrektursitzungen hergestellt ist, die aber gerade so gut auf das gemeinsame Atmen von Orchester und Dirigent zurückgehen kann. Prägend tritt aber vor allem die Empathie heraus, mit der Nelsons den Gesten begegnet, die Bruckners Kosmos bilden. Ganz am Anfang der Sinfonie werden die absteigenden Halbtonschritte, treten sie in Oboe und Klarinette auf, dergestalt unterstrichen, dass sie als Klage, als Erinnerung an den barocken Passus duriusculus fühlbar werden. In der Folge gelingt das zweite Thema sehr warm und kantabel, auch wieder sehr von anteilnehmendem Gefühl durchdrungen; und wenn dann die Flöten so wunderbar dazu treten, wie es hier geschieht, stellt sich erfülltes Glück ein.

Das alles geschieht auf der Basis genauer Partiturlektüre – so hat es Nelsons von seinem Mentor Mariss Jansons gelernt. Und es gehorcht spürbar einer immanenten Logik, wo bei Thielemann eher die Subjektivität des Moments überwiegt. Die Generalpausen und die langen Liegetöne im ersten Satz, die gerne verkürzt werden, sie sind in der Leipziger Aufzeichnung sauber ausgeführt und belassen die Musik für den Hörer in ihrem Schlag; Thielemann dagegen nimmt diese Stelle agogisch bewegt, was auch seinen Reiz hat, aber den Rezipienten taumeln lässt. Ob einfach punktiert oder doppelt, wie es zu Beginn des dritten Satzes notiert ist, bei Nelsons macht es einen klaren Unterschied, selbst in dem opulenten, dunkel verschleierten Piano, den das Gewandhausorchester hier einbringt. Und die berühmten Beckenschläge? Bei Thielemann treten sie nach einer kleinen Kunstpause ein, die ihren Effekt vergrössert, während sie Nelsons in strenger Logik direkt anschliesst und sie damit als Vollendung des Vorangegangenen erscheinen lässt.

Beide Dirigenten gehören zu den bedeutenden Vertretern ihres Fachs. Beide Orchester gehören zur Weltklasse. Dennoch ziehe ich die Aufnahme mit dem Gewandhausorchester und Andris Nelsons vor. Sie klingt spätromantisch, ist in ihrem interpretatorischen Habitus aber ganz der Gegenwart verpflichtet. Bei den Wiener Philharmonikern und Christian Thielemann ist es gerade umgekehrt.

 

Anton Bruckner: Symphonie Nr. 8 (zweite Fassung von 1890). Anton Bruckner: Symphonie Nr. 2 (zweite Fassung von 1877). Richard Wagner: «Die Meistersinger von Nürnberg», Vorspiel zum I. Aufzug. Gewandhausorchester Leipzig, Andris Nelsons (Leitung). Deutsche Grammophon 4839834 (2 CD, Aufnahme 2019, Produktion 2020).

Anton Bruckner: Symphonie Nr. 8 (Mischfassung von Robert Haas). Wiener Philharmoniker, Christian Thielemann (Leitung). Sony Classical 786582 (CD, Aufnahme 2019, Produktion 2020).

 

Lucerne Festival (5) – Orchester und Dirigenten

 

Peter Hagmann

Was zählt, ist noch immer die Qualität

Erkundungen in Sachen Orchesterkultur

 

Ist das nun der befürchtete Scherbenhaufen? Nach der Abstimmung im Luzerner Kantonsparlament, das am 12. September, am Montag nach Abschluss der erfolgreichen Sommerausgabe des Lucerne Festival, den von der Kantonsregierung begehrten Projektierungskredit für die Salle Modulable in der Höhe von 7 Millionen Franken mit 62 gegen 51 Stimmen (bei 2 Enthaltungen und 5 Abwesenden) verworfen hat, steht diese Frage absolut im Raum. Wie wird sich die Stadt, deren Parlament sich demnächst ebenfalls zu dem Projekt äussern soll, jetzt verhalten? Was werden die Initianten dem fatalen Votum entgegensetzen? Ist das Projekt, das für die Entwicklung der darstellenden Kunst und die Ausstrahlung der Kulturstadt Luzern so einzigartige Perspektiven böte, definitiv beerdigt? Noch ist nicht aller Tage Abend, in der Politik gilt das ganz besonders. Aber der Rückschlag ist bitter.

Zumal die diesjährige Sommerausgabe des Lucerne Festival über ein ganz besonderes Profil verfügte. «PrimaDonna», das Thema dieses Jahres, das die Rolle der Frau in der klassischen Musik, insbesondere in der führenden Position am Dirigentenpult in den Blick nahm, hat Fragen aufgeworfen, die nah an den gesellschaftlichen Verhältnissen unserer Zeit stehen. Gleichzeitig, und Besseres hätte wohl nicht geschehen können, hat sich das Thema selber ausser Kraft gesetzt. Durch den bewussten Einbezug von Frauen ins sommerliche Geschehen – ein thematisch zentrierter «Erlebnistag» öffnete Dirigentinnen den Weg ans Pult, Olga Neuwirth trat als «composer in residence» in Erscheinung – wurde offenkundig, dass die klassische Musik weiter ist, als es den Anschein hat; jedenfalls betreten Frauen heute die Bühnen ohne lauten Ton, aber unmissverständlich. Bei einem ausserordentlichen Talent wie Mirga Gražinytė-Tyla, der 30jährigen Dirigentin aus Litauen, die soeben die Leitung des City of Birmingham Symphony Orchestra übernommen hat, wurde deutlich, dass es in der Tonkunst zuallererst noch immer um die Qualität, keineswegs aber um das Geschlecht geht. Die Frau, die etwas bietet, setzt sich nicht weniger durch als der entsprechende Mann.

Der Blick zurück

Dass sich die Qualität keineswegs von selbst versteht, das war bei den 28 Orchesterkonzerten, die nach wie vor das Rückgrat des Lucerne Festival bilden, mit Händen zu greifen. Als vielversprechend darf der Einstand von Riccardo Chailly an der Spitze des Lucerne Festival Orchestra gelten. Die achte Sinfonie von Gustav Mahler wurde – mit allen Einschränkungen, die das Ende des ersten Teils betreffen – zu einem Ereignis der besonderen ersten Art. Genauso die Sinfonie Nr. 8 von Anton Bruckner, die der 87jährige Bernard Haitink im zweiten Auftritt des Festivalorchesters magistral auslegte. Es geht doch nichts über alte Meister – das bestätigte Herbert Blomstedt am Pult des Leipziger Gewandhausorchesters. Knapp zwei Jahre älter als Haitink, eilte er behende zum Podium; dort stand er seine neunzig Minuten aufrecht durch – denn Blomstedt dirigierte, auswendig notabene, Bruckners Fünfte. Dabei schöpfte er aus der Fülle seiner Erfahrung, was ihm erlaubte, die Energien effizient zu bündeln und die klanglichen Gewichte optimal in Balance zu halten. Zugleich zeigte er sich ganz auf der Höhe der Zeit: stand er für eine aktuelle Sicht auf Bruckner ein – logischerweise, hat er sie doch selbst mitgestaltet hat. Schlank und durchhörbar blieb darum der Klang, zügig waren die Tempi angelegt, für Pathos blieb keine Zeit. Umzog mehr Aufmerksamkeit galt den Strukturen; trennscharf und bis weit ins Innere des Geschehens hinein erkennbar erklang etwa das Finale mit seinen ausgedehnten fugierten Teilen.

Bei Daniele Gatti, den sich das Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam als Chefdirigenten ans Pult geholt hat, war es gerade umgekehrt. Fast 35 Jahre jünger als Blomstedt, wirkte er als Interpret um Jahrzehnte älter als sein Kollege. Er hatte sich Bruckners Vierte vorgenommen, die lyrisch singende «Romantische», die bei ihm dick und fett, klanglich massiv und mit schwerer Emotion beladen daherkam. Unglaublich gedrosselt die Tempi. Gewiss, das Orchester wusste diese Verläufe zu tragen, da Mariss Jansons seinem Nachfolger einen Klangkörper in ausgezeichneter Verfassung hinterlassen hat, und der Dirigent verstand sie mit Spannung zu erfüllen. Dennoch wirkte Gattis Ansatz im Ganzen unangenehm mystifizierend, bisweilen führte er gar zu Anflügen von Kitsch. Dass Bruckners Musik nicht reines Gefühl verströmt, vielmehr hochgradig strukturiert ist und lebendig atmet, das haben in der jüngeren Vergangenheit Dirigenten wie Günter Wand oder Nikolaus Harnoncourt vorgeführt; Daniele Gatti scheint davon nichts zu Kenntnis nehmen zu wollen. So war nicht weiter verwunderlich, dass auch die Ouvertüre zu Carl Maria von Webers leichtfüssiger Zauberoper «Oberon» ausgesprochen zähflüssig geriet. Dem wunderbaren Concertgebouworkest könnten schwierige Jahre bevorstehen.

Das dürfte auch für die Münchner Philharmoniker gelten, die sich für Valery Gergiev als neuen Chefdirigenten entschieden und sich damit im Vorfeld des Amtsantritts erhebliche Turbulenzen eingehandelt haben. Sie sind – das ist nun mal so Sitte und macht eine der Besonderheiten des Luzerner Festivals aus – in dieser neuen Konstellation gleich ins KKL gekommen und haben dort denkbar unglückliche Figur gemacht. Das Orchester erschien als mau und klang unidentifiziert, ohne Persönlichkeit und Ausstrahlung – in der Luzerner Konkurrenzsituation nicht gerade von Vorteil. Allerdings war das auch kein Wunder angesichts eines Programms, das mit Auszügen aus «Romeo und Julia» von Sergej Prokofjew, mit der Fantasie über «Die Frau ohne Schatten» und der Tondichtung «Don Juan» von Richard Strauss sowie dem «Poème de l’extase» von Alexander Skrjabin lauter Reisser enthielt. Valery Gergiev, der wieder mit seinem Zahnstocher in der Hand agierte und genialisch in die Musik hineinbrüllte, gelang es nicht, den vier Werken je eigenes interpretatorisches Profil zu schaffen, es klang alles ähnlich laut und schwarzweiss. Wenn im «Poème de l’extase» die Wellenbewegungen den Zuhörer nicht mitreissen, wenn im «Don Juan» kein jugendfrischer Enthusiasmus aufschiesst, dann stimmt etwas nicht. Auffallend mässiger Beifall und betretene Gesichter.

Auch nicht gerade prickelnd geriet der Auftritt des Cleveland Orchestra, mit dem es in den nächsten vielleicht einmal eine Pause geben könnte. Seinem langjährigen Chefdirigenten Franz Welser-Möst ist es gelungen, die «Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta» trotz korrekter Aufstellung des Orchesters mit dem Klavier in der Mitte (und einer fulminanten Pianistin) so spannungsarm und farblos erscheinen zu lassen, dass die Köpfe bald nach vorne fielen. Beethovens «Eroica» lud er dafür derart auf, dass die Wände wackelten, denn das Orchester war stark besetzt und klanglich auf  mächtige Kompaktheit getrimmt. Das erlaubte dem Dirigenten, in der Wahl der Tempi den Wünschen des Komponisten zu folgen, was neueren Erkenntnissen entspricht; die Wiederholung der Exposition liess er nach alter Väter Sitte dann aber wieder aus. Laut, aber unerhört klangschön fuhren auch die Berliner Philharmoniker ein; fast hatte es den Anschein, als habe sich Simon Rattle mehr von der Pracht des Orchesters verführen zu lassen, als dass er sie gestaltet hätte. Bei den acht Slawischen Tänzen von Antonín Dvořák wurde das zum Problem. So verdienstvoll die Idee war, sie einmal nicht als Zugaben zu verwenden, sondern sie als Sammlung in ihrer Gesamtheit erklingen zu lassen, so rasch verflog der Reiz, weil sich die einzelnen Stücke – auch und gerade in der orchestralen Ausführung – zu ähnlich waren. Und die Sinfonie Nr. 2 von Johannes Brahms, das lichte, sommerliche Werk in D-dur, fand an diesem Abend der Berliner einen Ton, dessen unerhörte Kompaktheit der Partitur doch merklich widersprach.

Ein Debüt

Unter dem Strich sorgten diesen Sommer die etablierten Grössen weder für An- noch für Aufregung. Besorgniserregend ist das noch nicht, es bildet eher den courant normal ab, der beim Lucerne Festival (und nur dort in dieser Breite wie dieser Dichte) sehr genau beobachtet und bemessen werden kann. Für Aufsehen ausserhalb des Gewohnten sorgte ein Newcomer. Es war der Russe Kirill Petrenko, der in absehbarer Zukunft als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker nach Luzern kommen wird. Sein Luzerner Debüt absolvierte er aber noch mit dem Bayerischen Staatsorchester München, dem Orchester der Bayerischen Staatsoper, bei der er als Generalmusikdirektor zum Rechten schaut – und er schuf eine Sensation, wie sie vor zwei Jahren dem Schweizer Philippe Jordan und dem von ihm geleiteten Orchester der Oper Paris gelungen ist. Welch glühende Verbindung zwischen Orchester und Dirigent, welch feuriges Musizieren auf der Stuhlkante – und was für ein Effekt beim jubelnden Publikum. Das Vorspiel zum ersten Aufzug von Wagners «Meistersingern» feingliedrig und äusserst ziseliert, die Vier letzten Lieder von Richard Strauss mit Diana Damrau in einer Innigkeit sondergleichen – und zum Abschluss doch tatsächlich dessen «Sinfonia domestica», das nicht gerade von ironischer Distanz lebende Selbstporträt des jungen Komponisten als Hausvater mit zickiger Gattin und süssem Kleinkind. Nur wer diese überladene Partitur bis ins Innerste zu zügeln vermag und sie dennoch wie ein Feuerwerk explodieren lassen kann, darf es wagen, sie aufs Programm zu setzen. Kirill Petrenko ist es gelungen – ein Sieg der Qualität.