Beethoven und seine Verschworenen

Das Tripelkonzert in einer beispielhaften Aufnahme

 

Von Peter Hagmann

 

Um das Image des Tripelkonzerts Ludwig van Beethovens steht es nicht zum Besten. C-Dur, ach ja – aber das heisst noch gar nichts. Für einen Pianisten aus dem habsburgischen Hochadel geschrieben und dementsprechend leicht gehalten – das wird oft behauptet, gehört jedoch wohl eher ins Reich der Legenden, jedenfalls findet es im Notentext keinerlei Niederschlag. Nein, wenn das Tripelkonzert als ein Nebenschauplatz erscheint, dann ist das nicht die Schuld des Komponisten, sondern jene der Interpreten. So macht es jedenfalls den Anschein, wenn man das Stück in der Aufnahme mit der Geigerin Isabelle Faust, dem Cellisten Jean-Guihen Queyras, dem Pianisten Alexander Melnikov sowie dem Freiburger Barockorchester und dem Dirigenten Pablo Heras-Casado hört. Denn da gibt es manch Überraschendes zu entdecken und viel Ungewohntes zu erleben.

Die Namen lassen auf Anhieb erkennen, woher der Wind weht. Die Musikerinnen und Musiker, die diese Einspielung tragen, bilden eine ästhetische Familie. Sie stehen, alle in je eigener Weise der historisch informierten Aufführungspraxis zugetan, im Begriff, das klingende Beethoven-Bild unserer Tage gründlich auszulüften. In zahlreichen Wiedergaben des Tripelkonzerts dominiert der leichte, schlanke Ton – so zum Beispiel bei der als legendär geltenden Aufnahme des Werks mit Wolfgang Schneiderhan, Pierre Fournier und Géza Anda sowie dem Radio-Symphonieorchester Berlin unter der Leitung von Ferenc Fricsay aus den frühen 1960er Jahren. So herausragend in mancherlei Hinsicht die Einspielung wirkt, so sehr lässt sie doch hören, wie rasch der leichte, schlanke Ton zu Verflachung und Beliebigkeit führen kann.

Davon ist die neue Aufnahme aus dem Hause Harmonia mundi denkbar entfernt. Statt auf durchgehendes Legato, auf klangliche Homogenität und zurückhaltende Artikulation zu setzen, wird hier ohne Scheu aufs Ganze gegangen. Werden die Phrasen voll ausgespielt, werden die in ihnen angelegten Energien gezeigt und genutzt. Die verwendeten Instrumente bieten das Potential dafür: Der von Alexander Melnikov gespielte Wiener Hammerflügel aus dem frühen 19. Jahrhundert offenbart, so differenziert und mutig gespielt, den ganzen Reiz seiner in den einzelnen Registern sehr unterschiedlich wirkenden Farben, das ein Jahrhundert ältere Cappa-Cello von Jean-Guihen Queyras verbindet einen kernigen Bass mit obertonreicher Kantabilität in den hohen Lagen, während die «Sleeping Beauty», die 1704 erbaute Stradivari von Isabelle Faust, Lineaturen von leuchtender Klarheit besteuert.

Was auf dieser instrumentalen Basis und im Verein mit selbstverständlicher stilistischer Sicherheit möglich ist, tritt gleich in den ersten Takten zutage. Sehr leise und sehr tief klingt das Pianissimo, mit dem die Celli und die Bässe in den Kopfsatz einleiten. Und wenn dann die übrigen Streicher mit ihren Harmonien dazu treten und das Geschehen auf die Dominante hinführen, erfolgt das nicht nur mit einem auffallend expliziten, aber sogleich wieder zurückgenommenen Crescendo, sondern auch mit einem von oben her, von der dissonanten Nebennote her kommenden Triller – mit Pablo Heras-Casado am Pult gibt das Freiburger Barockorchester hier zu erkennen, mit welcher Vitalität es den oft etwas in den Hintergrund gerückten Orchesterpart wahrzunehmen gewillt ist. Das Beispiel dafür folgt gleich darauf, nämlich beim Einsatz des Hauptthemas, wo die repetierten Achtel in den Bässen federnde Energie versprühen.

In strahlender Festlichkeit wird die ausführliche Einleitung abgeschlossen, und dann hebt das Cello in singendem Dolce mit dem Spiel der musikalischen Wechselrede an, welches das Tripelkonzert ausmacht. Pointiert das Rhythmische, profiliert das Klangliche – in der Antwort der Geige setzt sich das fort. Wie schliesslich das Klavier die Szene betritt, greifen Sechzehntelketten Raum, deren Brillanz auf dem Hammerflügel ungeschmälert zur Geltung gebracht werden kann. Immer wieder wird deutlich, wie viel Gewürz das ausdrückliche Spiel in die Verläufe einbringt – sei es durch das bewusste Herzeigen von Dissonanzen, sei es durch Tempobewegungen wie jene, mit welcher der Cellist in die Durchführung überleitet. Und mit einem Mal nimmt man wahr, wie viel Enthusiasmus im Seitenthema steckt.

Genauigkeit im Detail verbindet sich da mit Phantasie und reiner Spiellust. Weil die sordinierten Streicher des Orchesters den kurzen Mittelsatz klanglich so charakteristisch eröffnen, tritt die Besonderheit seiner Tonart As-Dur deutlich heraus. Berührende Schlichtheit herrscht in den weiten Bögen dieses Satzes. Und kaum hat man sich eingelebt, kommt es schon zum Rondo alla Polacca des Finales, dessen Tempo grossartig getroffen ist. Auch hier herrschen rhythmische Griffigkeit, verspieltes Rubato und bewusste Arbeit mit Schwerpunkten. Herrlich ist das alles, das Tripelkonzert Beethovens erscheint in bisher unbekanntem Glanz. Unbekannt, da kaum je vorgetragen, ist auch das beigegebene Klaviertrio, ein wohl von Ferdinand Ries stammendes Arrangement von Beethovens zweiter Symphonie in D-Dur, in dem sich Isabelle Faust, Jean-Guihem Queyras und Alexander Melnikov vom Klaviertrio zum kleinen Orchester verwandeln.

Ludwig van Beethoven: Konzert für Violine, Violoncello, Klavier und Orchester in C-Dur, op. 56; Klaviertrio in D-Dur nach der Symphonie Nr. 2, op. 36. Isabelle Faust (Violine), Jean-Guihen Queyras (Violoncello), Alexander Melnikov (Klavier), Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado (Leitung). Harmonia mundi  902419 (CD, Aufnahme 2020, Produktion 2021).

Der neue Beethoven – mit Kristian Bezuidenhout und Pablo Heras-Casado

Von Peter Hagmann

 

Wie modern Beethoven klingen kann, oder anders herum: Wie Beethoven klingen muss, um modern zu wirken – das lässt sich nicht bei Pultheroen wie Daniel Barenboim, Andris Nelsons oder Christian Thielemann und nicht bei Starorchestern wie den Wiener Philharmonikern erfahren. Da wendet man sich besser an die junge Szene der alten Musik, an das Freiburger Barockorchester zum Beispiel und den eng mit ihm verbundenen Dirigenten Pablo Heras-Casado. Zusammen mit dem aus Südafrika stammenden Pianisten Kristian Bezuidenhout haben Heras-Casado und die Freiburger an zehn Tagen im Dezember 2017 die fünf Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens aufgenommen. Nachdem die Nummern zwei und fünf vor einiger Zeit schon erschienen sind, ist jetzt bei Harmonia mundi, dem lebendigen Label aus Frankreich, das vierte Konzert, jenes in G-dur, herausgekommen. Auf CD oder im Streaming zu greifen ist eine aufsehenerregende Neubeleuchtung.

Bezuidenhout spielt ein Fortepiano von Conrad Graf aus dem Jahre 1824, allerdings nicht ein Original, sondern eine Kopie, die 1989 von dem Amerikaner Rodney Regier erbaut und von Edwin Beunk 2002 überholt worden ist. Ein herrliches Instrument, klangvoll, füllig ohne jede Härte; so fein es zeichnet, so opulent singt es. Und Bezuidenhout weiss das Potential zu nutzen. Brillantes Perlen in klar zeichnendem Non-Legato steht neben sinnlicher Kantabilität, und da die Töne bei Klavieren solcher Art nicht so lange klingen wie bei einem Steinway, können die Pedalanweisungen des Komponisten kompromisslos umgesetzt werden – mit entsprechendem Gewinn. Dazu kommt die ganz selbstverständliche Erfahrung des Solisten in den Spielweisen und der Interpretationskunst des frühen 19. Jahrhunderts. Steht in der Partitur ein Sforzato, führt das bei Bezuidenhout nicht unbedingt zu einem dynamischen Akzent, sondern ebenso oft zu einem Arpeggio oder zu einem Rubato. Überhaupt werden die Tempi vielfach nuanciert und damit in den Dienst des Ausdrucks gestellt. In seiner Vielschichtigkeit und zugleich seiner Schlichtheit verleiht das alles dem Solopart eine unerhörte, beglückende Vitalität.

Begleitet wird der Solist von einem Orchester, das agil und prononciert an der Ausgestaltung des musikalischen Geschehens teilhat. Mit Heras-Casado erzielt das Freiburger Barockorchester einen ganz eigenen, aufregenden Beethoven-Ton. Es fehlt ihm nicht an Wucht, aber es ist nicht der in Stein gehauene Heroismus früherer Zeiten, sondern eine elegante, federnde – eine musikalische Wucht. Viel wichtiger als Druck und Kraft sind hier die farblichen Abmischungen, die Akzentsetzungen in der klanglichen Balance, die Beweglichkeit in Phrasierung und Artikulation.  Das deutet sich schon in den beiden zum Klavierkonzert gestellten Ouvertüren an, in jener zu den «Geschöpfen des Prometheus», erst recht aber jener zu «Coriolan». Im Klavierkonzert dann glänzt das Orchester mit einer unerhört reichen Palette an Ausdrucksmöglichkeiten.

Sehr zart aus einem geschmeidigen Arpeggio des Klaviers heraus hebt der Kopfsatz an. Den ersten Phrasen des Soloinstruments antwortet das Orchester mit geschlossenem, geradezu kernigem Ton. Auch schlägt es ein etwas flüssigeres Tempo an, was nicht ein unkontrolliertes, vielleicht gar auf Rivalität basierendes Nebeneinander erzeugt, sondern vielmehr anzeigt, dass der Solist mit seiner Neigung zur Introspektion und das sozusagen als Öffentlichkeit agierende Orchester zwei Welten ausprägen, die später dann, im kurzen Mittelsatz, unverbunden nebeneinander stehen werden. Das Konzert erhält in dieser Anlage des Kopfsatzes nicht das liebliche Profil, mit dem es gerne versehen wird, es zeigt schon hier seine dramatischen Zähne. Vollends zutage treten sie im Andante con moto, das vom Orchester trocken und schroff angelegt, vom Solisten aber in berührende Sanglichkeit gekleidet wird – die alten Instrumente erlauben solch ausdrückliches Vorgehen fern jeden Kitschverdachts. Im abschliessenden Rondo finden die beiden Kontrahenten dann freilich zu fröhlicher Ausgelassenheit zusammen.

Sehr ausdrucksstark ist das, und anregend zudem – eine Interpretation in des Wortes bestem Sinn.

Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4, G-dur, op. 58; Coriolan, Ouvertüre; Die Geschöpfe des Prometheus, Ouvertüre. Kristian Bezuidenhout (Fortepiano, Kopie eines Instruments von Conrad Graf von 1824), Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado (Leitung). Harmonia mundi 902413 (CD, Aufnahme 2017, Publikation 2020).

Kristian Bezuidenhout tritt am Freitag, 18. September 2020, um 19.30 Uhr beim Festival Alte Musik Zürich auf. In der Kirche St. Peter spielt er auf einem Hammerflügel vier Klaviersonaten Beethovens.