Im Tollhaus

Francesco Cavallis «Eliogabalo» in Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Das Traumpaar Nerbulone (Daniel Giulianini) und Lenia (Mark Milhofer), im Hintergrund Eliogabalo (Yuriy Mynenko) / Bild Monika Rittershaus, Opernhaus Zürich

Er will sie, er will ihn, er will alle, und er will alles: So ist Eliogabalo, der ohne Zweifel verrückteste Kaiser im alten Rom. Als Vierzehnjähriger kam Varius Avitus Bassianus 218 nach Christus auf den Thron, trieb als Elagabal sein Wesen und tat dies äusserst heftig, wenn auch nur kurz: Vier Jahre nach der Thronbesteigung hauchte er, von der Hand eines Mörders getroffen, sein Leben aus. Richtiger Stoff für eine Oper also, weshalb Francesco Cavalli, eine Generation jünger als Claudio Monteverdi, zur Feder griff. Zum Jahreswechsel 1667/68 sollte das Stück in Venedig aus der Taufe gehoben werden – was aber aus welchen Gründen auch immer nicht geschah. Die Partitur verschwand in der Schublade des Komponisten, gelangte von dort in den Besitz einer Adelsfamilie und schliesslich in eine Bibliothek in Venedig. 1999 wurde sie wiederentdeckt und in der lombardischen Kleinstadt Crema zu später Uraufführung gebracht.

Richtiger Stoff auch für Calixto Bieito. Willkürliche Machtausübung, Gewaltanwendung, triebhaftes Begehren, dazu ein Durcheinander der Geschlechter – das reizt den katalanischen Regisseur, der Cavallis «Eliogabalo» im Opernhaus Zürich auf die Bühne gebracht hat. Wie sich der Vorhang hebt, sitzt der Kaiser (Yuriy Mynenko, der aus Odessa stammende, dank Sondergenehmigung nach Zürich gekommene Countertenor mit weichem, geschmeidigem Ton) hingeflätzt in einem Sessel, die Smokinghose windet sich noch um die Fussgelenke, denn eben hat er Eritea vergewaltigt, die Verlobte seines Ersten Offiziers.

Die vom Opfer eingeforderte Ehe als Wiedergutmachung interessiert ihn trotz dem fulminanten Einsatz der Sopranistin Siobhan Stagg kein bisschen, er hat vielmehr seine langjährige Vertraute Lenia losgeschickt, ihm neue Körper zu besorgen – der Tenor Mark Milhofer versieht diese umgekehrte Hosenrolle mit sprühendem Witz. Zu einer wirklichen Hosenrolle wird die Partie des Giuliano, des besagten Offiziers an der Seite des Kaisers, wird sie in Zürich doch nicht von einem Countertenor, sondern von der blendenden Mezzosopranistin Beth Taylor verkörpert. Umgekehrt wird sich später Eliogabalo selbst ins Deux-Pièce werfen – dann nämlich, wenn er den eigens von ihm eingerichteten Frauensenat besucht, um die im Bikini angetretenen Parlamentarierinnen in näheren Augenschein zu nehmen. Mann oder Frau, hoch oder tief: nach kurzer Zeit ist die Verwirrung vollkommen.

Die vom grossen Ensemble auf durchwegs hohem Niveau herbeigeführte Konfusion mag hintersinnig an die derzeit aufschäumende Genderdiskussion verweisen – die in neutraler Modernität gehaltene, ausgesprochen bewegliche Bühne von Anna-Sofia Kirsch und die dazu passenden Kostüme von Ingo Krügler, vor allem jedoch die Hinweise aus der Dramaturgie suchen das nahezulegen. Die Assoziation wirkt freilich erzwungen, geht die Dominanz der hohen Stimmen und damit die Verwischung der Grenzen zwischen den Geschlechtern doch auf das zur Entstehungszeit der Oper in voller Blüte stehende Kastratenwesen zurück. Schlagend in unsere Tage führt dagegen die Bemerkung Eliogabalos, der Respekt vor den Gesetzen erfülle sich in deren Verletzung – da darf ruhig an den abgewählten Präsidenten einer gewissen Weltmacht gedacht werden.

Zuviel des Guten bieten auch die Dauererregung und die explizite Körperlichkeit im ersten Teil des Abends. Da wird, so ist es eben bei Bieito, szenisch so viel Energie freigesetzt, dass die feinsinnige Musik Cavallis unter die Räder kommt – und das trotz dem fulminanten Einsatz des dem Opernhaus Zürich angegliederten Barockorchesters La Scintilla. Erst im dritten Akt findet die musikalische Seite der Produktion ihren Raum. Wird deutlich, was Cavalli in den klar sprechenden Rezitativen und den vielen Passacaglien an Ausdruck hervorbringt. Und tritt zutage, wie subtil hier interpretatorisch gearbeitet wurde. Zu verdanken ist das dem russischen Dirigenten, Geiger und Countertenor Dmitry Sinkovsky, der das Particell Cavallis farbenprächtig instrumentiert hat. Die von ihm eingestreuten Improvisationen auf der Geige wirkten an der Premiere beiläufig. Die musikalisch grandios gemeisterte, szenisch effektvoll dargebotene Arie des Sängers am Pult sorgte dagegen für ein veritables Glanzlicht.