«Ein Heldenleben» – mehr Sinfonie als Dichtung

Eine anregende Neuaufnahme mit dem Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia und seinem Chefdirigenten Antonio Pappano

 

Von Peter Hagmann

 

Über dem «Heldenleben» hängt ein Verdikt. Die Orchester, die Dirigenten, die Zuhörer (vielleicht sogar einige Zuhörerinnen), sie alle lieben das Stück. Lange Zeit – und diese Zeit wirkte lange nach – war es politisch inkorrekt, «Ein Heldenleben» zu schätzen. Ein Komponist, der hemmungslos Geld gescheffelt, der die Moderne verraten, der ohne Bedenken mit den Nationalsozialisten paktiert, der sich im «Heldenleben» als Macho inszeniert und dabei ein Übermass an orchestralen Mitteln eingesetzt hat – für all das und noch manches mehr sollte Richard Strauss geächtet werden und geächtet bleiben. Mit solcher Gemengelage muss sich ein Dirigent auseinandersetzen, wenn er sich «Ein Heldenleben» vornimmt. Antonio Pappano hat es getan. Mit dem seit langer Zeit von ihm geleiteten Orchester der Römer Accademia Nazionale di Santa Cecilia hat er einen anregenden interpretatorischen Ansatz entwickelt.

Er zeigt, einfach gesagt, «Ein Heldenleben» nicht als ein Stück Programmmusik, sondern als absolute Musik, nicht als eine Sinfonische Dichtung, sondern als Sinfonie. Der Held, dessen Lebensweg der Titel des Stücks zu verhandeln vorgibt, protzt weder mit Selbstgewissheit noch mit Muskelkraft, er macht ganz einfach Musik. Des Helden Gefährtin spielt zwar auf den verschiedensten Saiten der Einflussnahme auf ihren Gespielen, aber auch sie macht ganz einfach Musik – der grossartige Geiger Roberto González-Monjas, demnächst Chefdirigent des Musikkollegiums Winterthur, zur Zeit der Aufnahme anfangs 2018 noch Konzertmeister des römischen Orchesters, lässt daran keinen Zweifel. Und die Widersacher des Helden mögen sich ihm als solche zeternd gegenüberstellen – am Ende machen auch sie nichts als Musik.

Nichts wird hier vorgeführt, nichts wird unterstrichen, nichts zugespitzt. Das Santa-Cecilia-Orchester singt herrlich, in den hohen und mittleren Streichern bisweilen mit etwas viel Vibrato, und dieses Singen gelingt, weil es atmet. Grosse, ruhige Bögen dominieren den Verlauf, dafür sorgt Antonio Pappano, der ein stimmiges, weil sorgsam ineinander vernetztes Tempokonzept verfolgt. Das Orchester spart nicht mit schönem Klang, badet aber nicht darin, setzt ihn vielmehr als selbstverständliches Darstellungsmittel ein. Die Schärfe der Zeichnung, die Kontur des musikalischen Sprechens, die im Untergrund waltende Ironie –Elemente dieser Art mögen dabei unterbelichtet bleiben. Pappano nimmt es in Kauf, weil ihm Strauss’ kreativer Umgang mit der Sonatensatzform, die dem «Heldenleben» zugrunde liegt, wichtiger ist.

Wichtiger war ihm auch der Schwung des Moments, darum liess er in diesem Konzertmitschnitt aus dem Auditorium des von Renzo Piano konzipierten Parco della Musica jene minimalen Ungenauigkeiten, ohne die es live nicht geht, stehen und hören. Und was die Ironie im «Heldenleben» betrifft, spricht der Dirigent ein sinniges Nachwort. Denn auf die Sinfonie, die als Sinfonische Dichtung verkleidet ist, folgt mit der frühen Burleske ein einsätziges Klavierkonzert, das mit der Gattung, der es anzugehören scheint, erfrischend frech umgeht – der Klaviervirtuose und Dirigent Hans von Bülow, dem das Stück zugedacht war, reagierte denn auch heftig empört. Schräg beginnt das Werk, mit einem Paukensolo nämlich. Und in der Folge konfrontiert es den armen Solisten mit einem Part, der mit Vertracktheiten sonder Zahl aufwartet. Bei dem fabelhaften Franzosen Bertrand Chamayou ist davon allerdings nichts zu bemerken. Lästig ist nur, dass beim Anhören im Netz auch hier die Tracks kleine Luftlöcher schaffen, die nahtlosen Verbindungen also gestört werden. Umso lieber greift man zur CD.

Richard Strauss: Ein Heldenleben, Burleske für Klavier und Orchester. Bertrand Chamayou (Klavier), Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Roberto González-Monjas (Violine), Antonio Pappano (Leitung). Warner 0190295028459 (CD, Aufnahme 2018 und 2020, Publikation 2021).