Peter Hagmann
Auch du, Freund?
Verdis «Ballo in maschera» in Bern
Vielversprechend die ersten Klänge aus dem Orchestergraben. Leicht und transparent, zugleich zupackend und scharfkantig hebt das kurze Vorspiel an – sollte Kevin John Edusei, seit dieser Spielzeit Chefdirigent in der Opernabteilung von Konzert-Theater Bern, mit dem Berner Symphonieorchester tatsächlich einen neuen Verdi-Ton gefunden haben? Was sich zu Beginn von «Un ballo in maschera» andeutet, gibt im Publikum Anlass zu halblauten Gesprächen und auf der Bühne wieder einmal zu einer Misstrauenserklärung an die Adresse der Musik – nämlich zu einem stummen Vorspiel, in dem drei scheue, ungelenke Kinder die Story des Abends vorausnehmen. Schon ist es aus mit dem Zuhören, denn wie üblich drängt sich die optische Wahrnehmung in den Vordergrund.
Ist es schlimm? Vielleicht nicht wirklich, denn was sich unter der Leitung Eduseis in den folgenden gut zwei Stunden entfaltet, ist leider doch ein sehr gewöhnlicher Verdi. Markig, feste druff. Über weite Strecken also zu laut und zu grob. Jedenfalls nicht ausreichend differenziert in der klanglichen Abmischung, bisweilen gar jenseits sinnvoller Balance – etwa dort, wo begleitende Akkorde der Harfe grell in den Vordergrund geraten, wo ein Paukenwirbel im falschen Moment zu kräftig klingt, später im nochmals falschen Augenblick dann aber zu leise. Italienische Dirigenten neigen bei Verdi gern zu Humtata. Deutsche Musiker – das mag eine Vereinfachung sein, bestätigt sich hier aber einmal mehr – betonen in der Musik dieses Komponisten neben der vokalen Linie vorab das Rhythmische, was eine unangenheme Nähe zum Martialischen erzeugt. Ein anderes Verdi-Bild, ein in Farbe und Artikulation vielfältigeres, ist noch zu entdecken. Wie es klänge, hat Nikolaus Harnoncourt in seiner als unidiomatisch gescholtenen Zürcher «Aida» von 1997 vorgeführt.
Vokal durchzogen
Allein, an diesem Abend im Berner Stadttheater hätte ein Dirigent mit solchen Absichten auf verlorenem Posten gestanden. Nicht weil das Orchester nicht mitgehalten hätte, die Berner Musiker können viel mehr, als sie bei diesem «Maskenball» hören lassen. Das Problem liegt vielmehr darin, dass auf der Bühne wieder fast ausnahmslos die italienische Technik des nach Kräften gestützten Starkgesangs herrscht. So mag man es eben, so erwartet man es auch – ob es immer so sein muss, bleibe dahingestellt. Die grandiose Ausnahme bietet Yun-Jeong Lee in der Partie des Pagen Oscar, einer eigentlich nebensächlichen, weil eher dekorativen Hosenrolle, der Verdi aber nicht nur auffallend viel, sondern auch bemerkenswert schöne Musik geschenkt hat. Die junge koreanische Sopranistin lässt sie blendend klingen: mit einem hellen, obertonreichen Timbre, mit untadeliger Linienführung und schlanker Tongebung.
Im übrigen herrschen die Probleme, die sich bei der italienischen Gesangstechnik rasch einstellen. In der Titelpartie des Grafen von Warwick zeigt Alessandro Liberatore gewiss einige Strahlkraft, er stemmt die Töne aber gern zu sehr in die Höhe – und am Ende der Premiere war er von der orchestralen Dominanz so erschöpft, dass er stimmlich zusammenbrach. Juan Orozco als sein Sekretär Renato gibt den polternden Macho, was sich in einem röhrenden, in der Intonation auch recht approximativen Bariton niederschlägt. Kontrollierter und dezidierter in der Gestaltung, dementsprechend markanter in der Ausstrahlung die Amelia von Miriam Clarke, während Sanja Anastasia mit ihrem heftigen Bruch zwischen einer mageren Kopf- und gellenden Bruststimme geradezu ein Zerrbild der Wahrsagerin Ulrica abgibt.
Szenisch hausbacken
Und das alles in einer Inszenierung, die über weite Strecken hausbacken wirkt – worin sie so gar nicht zur Aufbruchsstimmung des mitten in einer Umbauphase befindlichen Berner Hauses passt. Auf der Bühne des Berner Stadttheaters tritt, wenn sie nur eine Spur zu sehr gefüllt ist, sogleich Enge ein, der Besuch des Grafen und seiner Entourage bei der Wahrsagerin Ulrica führt es an diesem Abend wieder vor Augen – da wollte der Bühnenbildner Christoph Schubiger zu viel. In seiner Weite überraschend dagegen das Schlussbild mit jenem Maskenball, in dem Riccardo, der Graf, Opfer Renatos, des Freundes, wird. Da liess die Kostümbildnerin Nina Lepilina ihrer Phantasie und ihrer kompetenten Assoziationskraft freien Lauf. Ein wenig erinnert dieses Bild an «Fledermaus»-Inszenierungen – was vielleicht sogar gewollt ist.
Denn Adriana Altaras baute manchen Fallstrick in ihre Inszenierung ein. Dass Ulrica eine verrufene Frau ist und darum raucht, verortet das Stück in einem Gestern; zugleich aber zücken die Untertanen, wenn sie ihren Herrscher erblicken, sogleich ihre Handys. Immer wieder ist die Rede von dem einen Sohn, der zur Familie von Renato und Amelia gehört; wenn die Mutter von ihm Abschied nehmen soll, tritt allerdings munter Geschwister nach Geschwister dazu. Und wenn sich Amelia und der Graf auf dem Galgenhügel ehebrecherisch treffen, geht es handgreiflich ans Fleisch, obwohl Riccardo, vom Messer seines Freundes getroffen, beteuern wird, dass die Reinheit Amelias nicht tangiert sei. Lauter Brüche, an denen man sich amüsieren könnte, wäre sonst noch ein bisschen Substanz in der Inszenierung. Sie bleibt aber restlos konventionell in der Auslegung der emotionalen Verhältnisse wie im szenischen Ausdruck. Traurig. Fast vergässe man ob diesem Abend, was für ein herrliches Stück Verdis «Ballo in maschera» doch ist.