Liszts h-Moll-Sonate, erzählt und gesungen

Eine Aufnahme mit dem jungen Pianisten Titien Collard

 

Von Peter Hagmann

 

Das sei keine Musik mehr, das sei nur Lärm. So rief Clara Schumann aus, als sie zum ersten Mal der Klaviersonate in h-Moll von Franz Liszt begegnete. Der Postbote hatte ein Paket für Robert Schumann gebracht. Zuoberst lag, tintenfrisch, die h-Moll-Sonate, die Liszt seinem Freunde gewidmet hatte, doch der dämmerte bereits in der Psychiatrischen Klinik in Bonn-Endenich vor sich hin. Clara Schumann warf einen raschen Blick auf die handschriftliche Partitur und bat dann den zufällig anwesenden Hausfreund Johannes Brahms, ihr das Stück vorzuspielen. Dass Brahms das gelang, zeugt von seiner Kunst als Pianist. Wie es ihm gelang, das mag angesichts der Schwierigkeit des Notentextes auf einem anderen Blatt stehen.

Hätte sie die einsätzige, sich aber über mehr als eine halbe Stunde erstreckende Sonate mit Titien Collard und dem von ihm gespielten Konzertflügel von Stephen Paulello kennengelernt, wäre ihr Eindruck zweifellos ein anderer gewesen. Tatsächlich wartet die neue Aufnahme der h-Moll-Sonate, die jetzt beim Label Indesens Calliope erschienen ist, mit einigen Besonderheiten auf. Zur Verwendung kommt nicht einer der hergebrachten Konzertflügel, sondern ein Instrument mit der Bezeichnung Opus 102 aus der Werkstatt von Stephen Paulello im burgundischen Villethierry. Das Instrument ist ein Unikat, das eine ganze Reihe von Innovationen der Bauweise aufweist – nicht zuletzt einen Tonumfang von 102 anstelle der üblichen 88 Tasten; sie können Typen ganz speziell hergestellter Saiten anspielen. Da für Paulello der Raum und Instrument genau zueinander passen sollen, fand die Aufnahme denn auch in seinem eigenen Studio statt.

Dass sich da klanglich ganz Aussergewöhnliches ereignet, ist auf Anhieb zu hören – zumal der junge Pianist Titien Collard, der zuletzt an der Musikhochschule Genf bei Cédric Pescia studierte und heute eine Klasse in Fribourg führt, das Potential des Instruments voll zu nutzen versteht. Dies im Dienst einer glasklaren, sorgfältig gebauten interpretatorischen Konzeption. Während eine Vielzahl von Pianisten Liszts h-Moll-Sonate zum Anlass zu Tastengedonner und virtuoser Exaltation nutzen, bringt Titien Collard das Stück zum Erzählen, ja zum Singen. Die Tempi sind plausibel aufeinander abgestimmt und stehen in engem Bezug zu den dynamischen Verhältnissen. Das im Fortissimo gehaltene Grandioso kurz nach Beginn des Stücks klingt voll und majestätisch, aber nicht brutal; ähnlich das dreifache Forte im Rahmen des später folgenden Rezitativs, das seine Kraft durch Lautstärke, das gewiss, aber auch durch die pointierte Artikulation erhält – und was der Flügel von Stephen Paulello hier an klanglicher Schönheit bietet, sucht seinesgleichen. Die Fuge steigert Collard bis in Momente des Wahnsinns, doch immer wieder hält er in den Verläufen inne, lässt er das Geschehen einlaufen und sorgt so für Atem und Raum. Besonders dienlich ist ihm dabei die reiche Palette an Klangfarben seines Instruments, die ihm erlaubt, den langen Schluss der Sonate kompromisslos auszukosten.

Kontrolle ist hier alles, Inspiration sorgt für Glanzlichter. Was Liszt in seiner Sonate von 1853 intendierte, nämlich eine Musik, die nicht als klingende Form für sich selber steht, sondern aussermusikalische Ideen in Töne fasst – die packende Auslegung durch Titien Collard lässt es in denkbar packender Weise erfahren.

Franz Liszt: Klaviersonate in h-Moll, Bénédicition de Dieu dans la Solitude (aus den Harmonies poétiques et religieuses), Consolations. Titien Collard (Konzertflügel Opus 102 von Stephen Paulello). Indesens Calliope Records IC 057 (CD).

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