Die Berliner Philharmoniker und Seiji Ozawa
Von Peter Hagmann
Es war im Herbst 2007. Unvergessen der Abend in der Wiener Staatsoper mit Tschaikowskys «Pique Dame» – und mit Seiji Ozawa am Pult des Staatsopernorchesters. Eine ganz und gar eigenartige Musikalität durchzog die Aufführung, eine stark spürbare Empathie, ja eine unerklärliche Art Vibrieren. Obwohl er ab 1973 fast dreissig Jahre lang mit grossem Erfolg an der Spitze des Boston Symphony Orchestra gestanden hatte, war er besonders stolz darauf, 2002 das Amt des Musikdirektors an der Wiener Staatsoper anzutreten. Er erfüllte es bis 2010, bis ihm ein Speiseröhrenkrebs seinen Beruf verunmöglichte. Mit den Wiener Philharmonikern, die sich bekanntlich aus dem Wiener Staatsopernorchester rekrutieren, scheint er sich jedenfalls bestens verstanden zu haben.
Seine eigentliche Heimat waren jedoch die Berliner Philharmoniker. Kein Wunder angesichts der Tatsache, dass Ozawa ein Schüler, ja vielleicht sogar der Lieblingsschüler Herbert von Karajans war. Zu seinem Lehrer blickte er in tiefer Ehrfurcht auf. Weitherum bekannt geworden ist eine Photographie, die ihn zu Füssen Karajans am Boden sitzend zeigt. Karajan sprach er immer als «Meister» und per Sie an, auch wenn ihn Karajan dann jeweils mit dem fast flehenden Ausruf «Herbert» korrigierte; das Du-Wort, so Ozawa, habe er beim besten Willen nicht über die Lippen gebracht.
Nette Kleinigkeiten solcher Art (und natürlich noch manches mehr) erfährt man in dem luxuriösen Buch aus dem orchestereigenen Label, mit dem die Berliner Philharmoniker im Zeichen der Freundschaft an Seiji Ozawa erinnern. Das Buch enthält sechs Compact Discs mit Konzertaufnahmen, die in den Jahren 1979 bis 2016 in der Berliner Philharmonie entstanden sind. Dazu eine Reihe zum Teil sehr berührender Photographien, weiter ein Grusswort von Seira Ozawa, der Tochter des Dirigenten, eine ausgesprochen schöne, persönliche Erinnerung des Schriftstellers Haruki Murakami an seinen Freund Ozawa und ein Porträt von Frederik Hansen. Das alles ist nicht ganz gratis, aber die Aufnahmen sind zum allerdings kleineren Teil auch über die entsprechenden Internet-Portale greifbar.
Und die Aufnahmen, die lassen nachvollziehen, was Seiji Ozawa auf dem Konzertpodium zu erzeugen vermochte. Gut, die C-dur-Symphonie Joseph Haydns, die Nummer 60 mit der Bezeichnung «Il distratto», 1987 aufgenommen, ist serös gemacht, ästhetisch aber von gestern. Kein einziges Staubkorn findet sich dagegen auf der 1988 entstandenen Auslegung der Symphonie Nr. 7, E-dur, von Anton Bruckner. Feurig durchpulst geht es hier zu, wovon auch das Mitkrähen des Dirigenten zeugt. Zugleich aber kann festgehalten werden, dass zu Beginn des Kopfsatzes der Anschluss der Hörner an den Aufstieg der Streicher so perfekt gelungen ist, wie es selten zu hören ist – und das im Rahmen eines Konzerts. Wunderbar gelassen «Eine Alpensinfonie» von Richard Strauss, aufgezeichnet 1996, herrlich ausgesungen auch Vorspiel und Liebestod aus Richard Wagners «Tristan und Isolde» von 1979. Er müsse nicht viel erklären, sagte Ozawa, das Orchester reagiere spontan auf seine Körpersprache. So wird es gewesen sein. So ist es zu hören.
Die Berliner Philharmoniker und Seiji Ozawa – eine Hommage. Aufnahmen aus den Jahren 1979 bis 2016. BPHR 240431 (6 CD, 1 Blu-ray Disc)