Ungleiche Paare

«Ariadne auf Naxos» im Opernhaus Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Der Komponist (Lauren Fagan), hingerissen und mitgerissen von Zerbinetta (Ziyi Dai) / Bild Monika Rittershaus, Opernhaus Zürich

Viel ist es nicht, was aus den langen Jahren der Intendanz Alexander Pereiras am Opernhaus Zürich in Erinnerung geblieben ist. Sicher gehört dazu «Ariadne auf Naxos» von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, eine Produktion aus dem Jahre 2006. Erinnern Sie sich? In dem der Seria-Oper vorgelagerten Buffa-Vorspiel trat der Intendant höchstselbst als jener überhebliche Haushofmeister, der namens seines gnädigen Herrn das Sagen zu haben glaubt, in Erscheinung; etwas laienhaft geriet der Auftritt, aber er hat Spass gemacht. Noch mehr Spass machte das Hauptstück der Seria-Oper, für das der Regisseur Claus Guth seinen Bühnenbildner Christian Schmidt dazu gebracht hat, den zentralen Raum der «Kronenhalle» am Zürcher Bellevue eins zu eins nachzubilden; die wüste Insel, die sich Hofmannsthal gedacht hatte, wurde hier zu einem äusserst gehobenen Ort, an dem sich Zürcher Prominenz, darunter wiederum der Intendant in Person, zum Soupieren versammelte, dabei aber einige Zwischenfälle hinzunehmen hatte und schliesslich das Feld räumte. «Keine Sorge», sagte Andreas Homoki, der zur Eröffnung seiner letzten Spielzeit als Intendant des Opernhauses Zürich «Ariadne auf Naxos» inszeniert hat – «keine Sorge» sprach er ins Mikrophon, als er nach der Pause vor den Vorhang trat: «ich spiele nicht mit». Es gebe nur eine Indisposition anzukündigen. Die Pointe sass.

Sie war nicht die einzige an diesem ebenso erheiternden wie berührenden Abend. Mit einem mitten in den noch erleuchteten Zuschauerraum einfahrenden Schlag des Orchesters hebt das Vorspiel an. Es bietet einen Blick in das turbulente Theater-Leben hinter dem Vorhang – dem wunderschönen, tiefroten, mit goldenen Bordüren versehenen Hauptvorhang, der kräftig am Spiel mitwirkt. Temporeich und in expliziter Körpersprache, allerdings ohne Grenzüberschreitung zur Charge, entwickeln sich die Vorbereitungen für die Soirée im Palais des reichsten Mannes von Wien. Spielleiter, von Hannah Clark in das theatergemässe Schwarz gekleidet und mit Funkgerät versehen, ist der Haushofmeister, der jeden in den Senkel stellt – der grosse Kurt Rydl, der das Singen aufgegeben, sich von der Bühne jedoch nicht verabschiedet hat, macht das herrlich. Zu seinen Opfern zählt der Komponist, der «Ariadne auf Naxos» geschaffen hat und jetzt gespannt der Aufführung entgegensieht, vom Haushofmeister aber ultraschlechte Nachrichten entgegenzunehmen hat – was Lauren Fagan in dieser Hosenrolle an vokalem Ausdruck wie an Körpersprache bietet, setzt hohe Massstäbe. Den Ärger des Künstlers vermag auch sein Lehrer nicht abzumildern, doch immerhin erreicht Martin Gantner mit seiner souveränen Präsenz, dass die Sache nicht implodiert. Keine einfache Aufgabe angesichts der Forderung des Mäzens, dass «Ariadne auf Naxos» nicht nur eine Ergänzung durch eine Opera buffa erhalten soll, sondern dass beide Stücke zur gleichen Zeit gespielt werden sollen.

Ein Riesen-Tohuwabohu ergibt sich da über die anfangs leere, sich aber zusehends füllende Bühne von Michael Levine. Techniker, auch sie alle in Schwarz, arrangieren raumhohe Wände, rollen einen Teppich aus, fahren Wagen mit Möbeln und Kleiderständer heran. Dazu gibt es Eifersüchteleien, Zusammenstösse, Überraschungen aus dem Bühnenhimmel, dass es eine Art hat. Im Zentrum die grosse, von Homoki sorgsam als eine Versammlung von Individuen ausgestaltete Truppe rund um die kecke Zerbinetta; was hier an wohlorganisiertem Durcheinander zu sehen ist, entspricht durchaus dem Gewusel der Instrumentalstimmen in der Musik von Richard Strauss. Zusammengehalten wird das alles durch Markus Poschner am Pult der klein, aber speziell besetzten Philharmonia Zürich. Poschners Strauss-Ton neigt klar zum Muskulösen, bisweilen gar Handfesten, was die kammermusikalische Anlage der Partitur unterspielt. Zugleich ist aber doch sehr viel zu hören – von den speziellen Farbeffekten bis hin zu den witzigen Anspielungen und Zitaten. Hinreissend ist aber vor allem das Temperament, mit dem Poschner das Vorspiel durchzieht und es in seiner ganzen Verrücktheit zeigt. Er tut es so eindringlich, wie Homoki in seiner szenischen Zubereitung eine grosse Liebeserklärung an das Theater abgibt. Ausgesprochen gut gelaunt begibt man sich in die Pause – sehr wohl in der Annahme, dass man mit dem Vorspiel die heimliche Hauptsache kennengelernt hat.

Dabei: Hauptsache ist der Operneinakter «Ariadne auf Naxos», ist die von Hofmannsthal etwas breit ausgelegte Reflexion über Verlust, Verwandlung und Neubeginn. Die wüste Insel ist hier ein in der schwarzen Leere stehendes Ehebett, auf dem die trauernde Ariadne liegt, wenn sie nicht zu ihren Medikamenten greift. Doch zuerst dringt noch die Zerbinetta-Truppe ins Geschehen – mit ihrem Versuch, die Trauernde über den Verlust des geliebten Theseus hinwegzutrösten (und die Verbindung zum Vorspiel herzustellen). Da schlägt denn die Stunde der Chinesin Ziyi Dai, die nicht nur die halsbrecherischen Koloraturen der Zerbinetta fabulös meistert, sondern dazu noch akrobatisches Geschick zeigt. Dann aber der Auftritt von Daniela Köhler als Ariadne, eine junge Sängerin mit grosser, allerdings auch zu berückendem Piano fähiger Stimme, mit hervorragender Diktion und bestechender szenischer Präsenz. Ihr begegnet in John Matthew Myers als der erlösende Halbgott Bacchus ein Tenor mit Kraft und Glanz. Klar, der Hauptteil wirkt weniger sexy als das Vorspiel, darin liegt ein Problem des Stücks, das auch die virtuose Zürcher Produktion nicht zu lösen vermag, zumal sich der orchestrale Ton von jenem des Vorspiels kaum abhebt. Und das Thema der Verwandlung, es bleibt abstrakt. Dass sich zwei Menschen begegnen und durch die Begegnung mit dem Gegenüber bei gewahrter Individualität zu etwas anderem werden, das ereignet sich jeden Tag. Was die Verwandlung jedoch genau bedeutet, wie sie zu schaffen wäre, das lässt Hofmannsthal nicht nur Ariadne fragen, sondern auch sein Publikum bedenken. Vielleicht sogar über den pathetischen Schluss und jenen Moment hinaus, da der Haushofmeister/Spielleiter in einer letzten Erinnerung ans Vorspiel nochmals auf der Bühne erscheint und mit einem Fingerschnippen den Blackout auslöst.

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