Was Interpretation vermag

Aufnahmen mit der Pianistin Olga Pashchenko

 

Von Peter Hagmann

 

So und nicht anders muss Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert in Es-dur, KV 271, klingen. Die Aussage ist natürlich unsinnig, weil es die einzig richtige Interpretation eines musikalischen Kunstwerks seiner Offenheit wegen nicht geben kann. Wer der Aufnahme des früher «Jeunehomme», heute «Jenamy» genannten Konzerts mit Olga Pashchenko begegnet, dürfte sich der 35-jährigen Russin jedoch sogleich und vorbehaltslos anschliessen. Vom ersten Ton an packend, entfaltet sich hier ein Mozart-Bild von unerhörtem Reichtum: hell und klar im Ton, vielgestaltig in der Attacke, verspielt und überraschungsreich in der Ausgestaltung des Einzelnen.

Olga Pashchenko verwendet hier, beim Es-dur-Konzert von 1777, einen von Paul McNulty hergestellten Hammerflügel nach einem Instrument von Johann Andreas Stein aus dem Jahre 1784, eine Kopie zwar, aber eine in hohem Masse gelungene. Grossartig die Bässe, die nicht donnern, die ihre Tiefe vielmehr durch Farbe spürbar machen. Wunderbar der Obertonreichtum im Diskant – es sind Obertöne ganz anderer Art, nicht auf Brillanz getrimmte, sondern auf inneren Glanz hin ausgerichtete. Etwas anders, sinnvoll anders, der ebenfalls von McNultry gebaute Hammerflügel nach einer Vorlage Anton Walters von 1792, den Pashchenko im zweiten Stück auf der CD aus dem Hause Alpha spielt. Das G-dur-Konzert KV 453 von 1784 rechnet mit einer grösseren Öffentlichkeit als das «Jenamy», stammt es doch aus der Wiener Zeit, in der sich der Komponist als freier Künstler zu etablieren suchte. Im etwas kernigeren, extravertierten Klang des Hammerflügels nach Walter mag sich das spiegeln.

Begleitet wird Olga Pashchenko vom belgischen Ensemble Il Gardellino, und das ist fürwahr der Rede wert. Dirigenten braucht es keinen, denn zum einen umfasst die Formation lauter stilistisch sattelfeste Spezialisten aus dem Bereich der historisch informierten Aufführungspraxis. Zum anderen genügt neben dem Hammerflügel eine kleine Besetzung mit solistischen Bläsern sowie fünf Ersten und vier Zweiten Geigen, drei Bratschen, zwei Celli und einem Bass. Das stilistische Bewusstsein und die kammermusikalische Anlage ergeben einen ganz anderen Ton als gewohnt. Wenn die Hörner eintreten, können sie das schmetternd tun, ohne dass sich ein Zug ins Bombastische einstellte. Die Streicher setzen das Vibrato sensibel ein, was den liegenden Tönen besonderen Reiz verschafft und den Satz in aller Transparenz leuchten lässt. Und sagenhaft, was der eine Bass an Tiefenwirkung erzielt.

Das alles in engster Übereinstimmung mit der Solistin. Hebt das Es-dur-Konzert an, wird der Bass durch die linke Hand des Soloklaviers  nicht wirklich verstärkt, aber doch bekräftigt. Überhaupt sieht sich Olga Pashchenko als Mitglied des Ensembles; jedenfalls ist sie auch in den Tutti-Passagen lustvoll mit von der Partie und trägt dort, gerade bei wiederholten Passagen, Auszierungen mancher Art bei. In jedem Moment zeigen sich dabei die Vorteile ihres Spiels: ihr genaues, lebendiges Artikulieren jenseits der üblichen Fokussierung auf das gewiss schöne, aber stilistisch inadäquate Legato, ihre spritzigen Akzentsetzungen, ihr Arbeiten mit Tempoveränderungen und ungleichzeitigem Einsatz gleichzeitig gedachter Töne – alles Spielmanieren aus dem 18. Jahrhundert, die im philharmonischen Saal ausser Gebrauch gekommen sind, und alles, nicht zuletzt, auf der Basis einer superben Technik. Übrigens bleibt der Hammerflügel klanglich jederzeit in seinem Rahmen; nirgends wird er gezwungen, auch im Forte nicht, und was das Instrument, etwa in den langsamen Sätzen der beiden Konzerte, an Kantabilität ermöglicht, ist absolut erstaunlich.

Ganz selbstverständlich bewegt sich Olga Pashchenko, wenn sie die Klavierkonzerte Mozarts, die sie in ihrer Gesamtheit einzuspielen gedenkt, angeht, in den Gefilden der alten Musik. Das macht es eben aus, auch bei den drei Klaviersonaten Ludwig van Beethovens, die sie auf einem Hammerflügel von Conrad Graf aus dem Jahre 1824 im Beethoven-Haus Bonn aufgenommen hat. In was für Klangwelten die Pianistin dank subtilem Umgang mit den spezifischen Möglichkeiten des Instruments vorstösst, besonders in der Sonate «Les Adieux», ist geradezu atemberaubend. Ähnliches gilt dann, wenn sie Georg Nigl in Liedern von Franz Schubert begleitet. Der nachgebaute Hammerflügel von Conrad Graf (1819) ermöglicht ihr, auf die delikaten seelischen Regungen, die der tenoral timbrierte, fein zeichnende Bariton zum Beispiel in der «Taubenpost» hören lässt, sehr genau zu reagieren, ja sie feinsinnig mitzugestalten. Und kommt es in dem sinnreich zusammengestellten Programm zu den Gryphius-Liedern «Vermischter Traum», die Wolfgang Rihm 2017 nach schwerer Krankheit niedergeschrieben hat, wechselt Olga Pashchenko zum Steinway und trägt dort pointiert dazu bei, dass einem diese äusserst persönliche Musik schmerzhaft unter die Haut fährt. Übrigens spielt die russische Musikerin, die in Moskau ausgebildet wurde, ihren Feinschliff aber von Alexei Lubimov und Richard Egarr erhielt und in ihrem Werdegang durchaus an die Geigerin Alina Ibragimova denken lässt, auch Orgel, auch Cembalo.

Olga Pashchenko, den Namen darf, nein: muss man sich merken.

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzerte in Es-dur, KV 271, und in G-dur, KV 453. Olga Pashchenko, Il Gardellino. Alpha 726 (CD, Aufnahme 2020, Publikation 2021).
Ludwig van Beethoven: Klaviersonaten in C-dur, op. 53 («Waldstein»), in f-moll, op. 57 («Appassionata»), in Es-dur, op. 81a («Les Adieux»). Olga Pashchenko. Alpha 365 (CD, Aufnahme 2016, Publikation 2016).
Vanitas. Lieder von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Wolfgang Rihm. Georg Nigl (Bariton), Olga Pashchenko (Klavier). Alpha 646 (CD, Aufnahme 2020, Publikation 2020).

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