Der neue Beethoven – mit Kristian Bezuidenhout und Pablo Heras-Casado

Von Peter Hagmann

 

Wie modern Beethoven klingen kann, oder anders herum: Wie Beethoven klingen muss, um modern zu wirken – das lässt sich nicht bei Pultheroen wie Daniel Barenboim, Andris Nelsons oder Christian Thielemann und nicht bei Starorchestern wie den Wiener Philharmonikern erfahren. Da wendet man sich besser an die junge Szene der alten Musik, an das Freiburger Barockorchester zum Beispiel und den eng mit ihm verbundenen Dirigenten Pablo Heras-Casado. Zusammen mit dem aus Südafrika stammenden Pianisten Kristian Bezuidenhout haben Heras-Casado und die Freiburger an zehn Tagen im Dezember 2017 die fünf Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens aufgenommen. Nachdem die Nummern zwei und fünf vor einiger Zeit schon erschienen sind, ist jetzt bei Harmonia mundi, dem lebendigen Label aus Frankreich, das vierte Konzert, jenes in G-dur, herausgekommen. Auf CD oder im Streaming zu greifen ist eine aufsehenerregende Neubeleuchtung.

Bezuidenhout spielt ein Fortepiano von Conrad Graf aus dem Jahre 1824, allerdings nicht ein Original, sondern eine Kopie, die 1989 von dem Amerikaner Rodney Regier erbaut und von Edwin Beunk 2002 überholt worden ist. Ein herrliches Instrument, klangvoll, füllig ohne jede Härte; so fein es zeichnet, so opulent singt es. Und Bezuidenhout weiss das Potential zu nutzen. Brillantes Perlen in klar zeichnendem Non-Legato steht neben sinnlicher Kantabilität, und da die Töne bei Klavieren solcher Art nicht so lange klingen wie bei einem Steinway, können die Pedalanweisungen des Komponisten kompromisslos umgesetzt werden – mit entsprechendem Gewinn. Dazu kommt die ganz selbstverständliche Erfahrung des Solisten in den Spielweisen und der Interpretationskunst des frühen 19. Jahrhunderts. Steht in der Partitur ein Sforzato, führt das bei Bezuidenhout nicht unbedingt zu einem dynamischen Akzent, sondern ebenso oft zu einem Arpeggio oder zu einem Rubato. Überhaupt werden die Tempi vielfach nuanciert und damit in den Dienst des Ausdrucks gestellt. In seiner Vielschichtigkeit und zugleich seiner Schlichtheit verleiht das alles dem Solopart eine unerhörte, beglückende Vitalität.

Begleitet wird der Solist von einem Orchester, das agil und prononciert an der Ausgestaltung des musikalischen Geschehens teilhat. Mit Heras-Casado erzielt das Freiburger Barockorchester einen ganz eigenen, aufregenden Beethoven-Ton. Es fehlt ihm nicht an Wucht, aber es ist nicht der in Stein gehauene Heroismus früherer Zeiten, sondern eine elegante, federnde – eine musikalische Wucht. Viel wichtiger als Druck und Kraft sind hier die farblichen Abmischungen, die Akzentsetzungen in der klanglichen Balance, die Beweglichkeit in Phrasierung und Artikulation.  Das deutet sich schon in den beiden zum Klavierkonzert gestellten Ouvertüren an, in jener zu den «Geschöpfen des Prometheus», erst recht aber jener zu «Coriolan». Im Klavierkonzert dann glänzt das Orchester mit einer unerhört reichen Palette an Ausdrucksmöglichkeiten.

Sehr zart aus einem geschmeidigen Arpeggio des Klaviers heraus hebt der Kopfsatz an. Den ersten Phrasen des Soloinstruments antwortet das Orchester mit geschlossenem, geradezu kernigem Ton. Auch schlägt es ein etwas flüssigeres Tempo an, was nicht ein unkontrolliertes, vielleicht gar auf Rivalität basierendes Nebeneinander erzeugt, sondern vielmehr anzeigt, dass der Solist mit seiner Neigung zur Introspektion und das sozusagen als Öffentlichkeit agierende Orchester zwei Welten ausprägen, die später dann, im kurzen Mittelsatz, unverbunden nebeneinander stehen werden. Das Konzert erhält in dieser Anlage des Kopfsatzes nicht das liebliche Profil, mit dem es gerne versehen wird, es zeigt schon hier seine dramatischen Zähne. Vollends zutage treten sie im Andante con moto, das vom Orchester trocken und schroff angelegt, vom Solisten aber in berührende Sanglichkeit gekleidet wird – die alten Instrumente erlauben solch ausdrückliches Vorgehen fern jeden Kitschverdachts. Im abschliessenden Rondo finden die beiden Kontrahenten dann freilich zu fröhlicher Ausgelassenheit zusammen.

Sehr ausdrucksstark ist das, und anregend zudem – eine Interpretation in des Wortes bestem Sinn.

Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4, G-dur, op. 58; Coriolan, Ouvertüre; Die Geschöpfe des Prometheus, Ouvertüre. Kristian Bezuidenhout (Fortepiano, Kopie eines Instruments von Conrad Graf von 1824), Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado (Leitung). Harmonia mundi 902413 (CD, Aufnahme 2017, Publikation 2020).

Kristian Bezuidenhout tritt am Freitag, 18. September 2020, um 19.30 Uhr beim Festival Alte Musik Zürich auf. In der Kirche St. Peter spielt er auf einem Hammerflügel vier Klaviersonaten Beethovens.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.