Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker mit Christian Thielemann
Von Peter Hagmann
Die Aufregung hätte ruhig ein bisschen merklicher sein können. Was sich nämlich am vergangenen 1. Jänner 2019 punkt elf Uhr im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins ereignet hat, ist nichts anderes als eine Sensation. Nun gut, das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker war es – eine liebe Tradition, die der gewöhnlich Sterbliche am Fernseher verfolgt und die er jetzt, Sony sei Dank, auf CD (und demnächst auch auf DVD) nachvollziehen kann. Das ist unbedingt zu empfehlen, denn am Pult stand – Christian Thielemann. Ach der, na ja. Aber gemach. Das Vorurteil steht im Raum, keine Frage, es ist an diesem ersten Vormittag des neuen Jahres jedoch so etwas von gründlich ausgehebelt worden, dass man schnurstracks über die Bücher muss.
Die Wiener und Thielemann, das ist eine Verbindung in innigster Herzensliebe, und auf solcher Basis entsteht Musik. Nicht irgendeine Musik, Sphärenklang vielmehr. All die flauen Neujahrskonzerte der jüngeren Vergangenheit gehen sogleich vergessen, und ein ganz klein wenig, vielleicht etwas zögerlich, aber doch eindeutig mag man an die grossen Momente mit Carlos Kleiber oder Nikolaus Harnoncourt denken. Exzentrik, wie sie diese beiden Herren, jeder in seiner Weise, präsentiert haben, gab es nicht. Stürmte Thielemann ehedem aufs Podium, um sich dort nach zackigem, meist von einer Grimasse begleiteten Verbeugen wild dem Orchester zuzuwenden, erscheint er jetzt als ein aufgeräumter, ganz in sich ruhender Grandseigneur im perfekt sitzenden Cutaway vor dem Orchester und geht dort in aller denkbaren Gelassenheit zu Werk.
Viel tun muss er nicht. Die Wiener wissen, was am Neujahrskonzert Sache ist. Ausserdem hat die Arbeit in den Proben stattgefunden – und schliesslich vertrauen sie sich blind, die Demokratie der Könige und ihr Kaiser. Mit einem kleinen Zeichen gibt Thielemann den Auftakt, und dann hört er zu, wie das Orchester einsetzt: von selbst und in restloser Übereinstimmung. Der Dirigent fügt sich in die musikalische Bewegung ein und nimmt sie auf, weshalb es zu herrlich zurückgehaltenen Einschwingvorgängen, zu sehnsüchtigem Ziehen und spannungsgeladenen Finalwirkungen kommt. Auch eine Petitesse wie der «Schönfeld-Marsch» von Carl Michael Ziehrer, die Nummer eins des Programms, entfaltet da ihren Reiz. Erst recht tun es Raritäten wie die «Transactionen», der Walzer von Josef Strauss, der in seiner dunkel timbrierten Klanglichkeit die Temperatur vorgibt.
Ungewöhnlich der Ton dieses Neujahrskonzerts. Viel Leises gab es zu hören, sehr Leises, viel Melancholisches auch. Und mit mancher Überraschung wartete es auf, zum Beispiel mit dem «Egyptischen Marsch» von Johann Strauss (Sohn), bei dem sich die Herren und mittlerweile auch gar nicht mehr so vereinzelten Damen als ein philharmonisches Chörlein einmischen durften. Reizend der sommernachtsträumende «Elfenreigen» von Joseph Hellmesberger jun., prächtig und in aller Ruhe ausmusiziert die «Nordseebilder» wiederum von Johann Strauss dem Jüngeren oder sein «Lob der Frauen» in Form einer Polka Mazurka. Gab es Sextparallelen, blieben uns Thielemann und die Wiener nichts schuldig – oder fast nichts ausser dem Kitsch. Ja, an Gefühl hat es nicht gefehlt, für Sentimentalität war aber kein Platz. Das ist Kunst.
Kurz und bündig geriet der Neujahrsgruss. Und dann war er wieder einmal da, der heilige Moment der Wandlung – mit dem «Donauwalzer». Worauf der «Radetzkymarsch» von Johann Strauss dem Älteren zum Kehraus blies. Glücklich ist, wer nicht vergisst.