Trauer und Trost – und was für eine Stimme

Eine CD mit der Mezzosopranistin Lucile Richardot

 

Von Peter Hagmann

 

Vorn auf dem Podium herrschen die denkbar fröhlichsten Hochzeitsvorbereitungen. Der Bräutigam tummelt sich mit seinen Freunden, in Chören wird das glückliche junge Paar gefeiert – da dringen mit einem Mal von weit hinten Klagelaute durch Mark und Bein. Sie stammen von einer Botin, die langsam, langsam, nur von einem Lautenisten begleitet, der Parkettgalerie entlang nach vorn schreitet – hin zum Podium, wo ihr Erscheinen alsbald lähmendes Entsetzen verbreitet. Euridice sei tot, berichtet die Botin, von einer Schlange gebissen und auf der Stelle verschieden. Orfeo, der Bräutigam, bricht zusammen, die Freudengesänge wandeln sich in Trauerchöre.

Was für ein Moment. Und was für eine Stimme. Es war im Sommer 2017 im KKL Luzern, wo der Dirigent John Eliot Gardiner und sein Team im Rahmen eines auf drei Abende verteilten Projekts des Lucerne Festival «L’Orfeo», die Oper Claudio Monteverdis, zu halbszenischer Aufführung brachten. Und es war die Stimme von Lucile Richardot, einer Sängerin mit einem aufsehenerregenden Stimmumfang und einem unerhört wandelbaren Timbre, einer Darstellerin zudem von schwindelerregender Expressivität. Hatte sie im «Orfeo» diesen kurzen Auftritt zu einem Höhepunkt gemacht, so sang sie später im «Ritorno d’Ulisse in patria» bezwingend die im Warten auf ihren Odysseus erstarrte, am Ende wieder zur Frau werdende Penelope, während sie in der «Incoronazione di Poppea» als Amme der ehrgeizigen Thronanwärterin mit ihrem nicht weniger ausgeprägten komischen Talent erheiterte.

Nun ist eine CD mit Lucile Richardot erschienen – natürlich bei Harmonia mundi, dem französischen Label, das heute an der Spitze der angeblich darniederliegenden CD-Branche steht und genau mit solchen Produktionen das Feld beherrscht. Die CD ist ein Muss für alle jene, die alte Musik lieben und wissen wollen, wie sie auf neue Art gesungen werden kann. Das Programm enthält Stücke aus dem England des  17. Jahrhunderts – Werke von Komponisten, die abgesehen von Henry Purcell und John Blow hierzulande nicht einmal dem Namen nach bekannt sind. Sie stehen allesamt im Zeichen des Nächtlichen, des Melancholischen. Zugleich aber bringen sie enorme Vielfalt ein – Vielfalt im musikalischen Satz, in der Realisierung des Generalbasses, in den Besetzungen. Getragen wird die Abfolge der zumeist vokalen Stücke durch das von Sébastien Daucé geleitete Ensemble Correspondances, das im Instrumentalen keinen Wunsch offen lässt, in den mehrstimmigen vokalen Beiträgen jedoch etwas unausgeglichen klingt.

Im Zentrum aber: Lucile Richardot. Wenn sie in ihr Brustregister absteigt, glaubt man einen Countertenor zu hören, allerdings einen der aussergewöhnlichen Art. Die Stimme wird da ungeheuer kräftig und fest, sie entwickelt eine Wandelbarkeit in Formung und Farbe, dass es einem förmlich den Atem raubt. Dabei bleibt der feminine Grundzug unangetastet, denn ebenso souverän setzt Lucile Richardot ihr Kopfregister ein – steigt sie in die Höhe, wird dort locker und leicht. Auf dieser Basis wendet sie die Prinzipien der historisch informierten Aufführungspraxis an, wie sie heute angesagt sind. Grundlage des Singens bildet hier der reine, gerade Ton, wie ihn ein Instrument hervorbringt. Das erlaubt der Sängerin, die harmonischen Verläufe zu schärfen, Dissonanzen etwa dergestalt zuzuspitzen, dass die Auflösung in die Konsonanz zu einem Naturereignis wird. Überhaupt erhält das Harmonische dank der immer wieder grossartig getroffenen Intonation eine Würzung, die man so nicht für möglich gehalten hätte. Dazu kommt nun, als höchst effektvoll eingesetzte Verzierung, das Vibrato, das im Rahmen dieser vokalen Ästhetik zu seiner ursprünglichen Funktion zurückfindet – ungemein packend ist das.

So stellt sich in den ebenso vertraut wie fremd klingenden Stücken, die auf der CD versammelt sind, ein Panoptikum an Stimmungen zwischen Trauer und Trost ein. Doch genug der Worte, ich will die CD gleich noch einmal einlegen.

Perpetual Night. 17th Century Ayres and Songs. Lucile Richardot, Ensemble Correspondances, Sébastien Daucé (Leitung). Harmonia mundi 902269, 1 CD, Aufnahme 2017, Publikation 2018).

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