Magie versus Struktur

Das Sinfonieorchester Basel im Basler Münster

 

Von Peter Hagmann

 

Gewiss, das Basler Münster ist nicht der Musiksaal im Stadtcasino; der sakrale Raum bietet wenig Infrastruktur für ein Orchesterkonzert, dafür einen Nachhall, der gegen vier Mal so lang ist wie in einem Konzertsaal. An diesem frühsommerlichen Abend jedoch spielt das alles keine Rolle. Die letzten Schritte auf dem Münsterberg, der Blick zur Linken in das Geviert des altsprachlichen Gymnasiums auf Burg und dann auf die in rotem Sandstein gehaltene Fassade des Münsters, auf die über eintausendjährigen Steine in seinem ältesten Teil, auf den heiligen Georg mit dem Drachen und den heiligen Martin mit seinem gefältelten Mantel, dazwischen auf Kaiser Heinrich II. mit dem Modell der von ihm gestifteten Kirche in der Hand und seine Gattin Kunigunde – das hat schon sein Besonderes. Beim Eingang werden dem Konzertbesucher fürsorglich Sitzkissen in die Hand gedrückt, Bruckners Vierte dauert schliesslich mehr als eine Stunde, und dann fällt gleich die effektvolle Beleuchtung der Vierung und des Chors auf, blau vor der Pause, rot danach, fast ein Venusberg…. Man macht jedenfalls das Beste aus der Situation, die durch die umbaubedingte (und inzwischen um ein Jahr bis 2020 verlängerte) Schliessung des Musiksaals im Stadtcasino entstanden ist.

Auch in der Programmgestaltung. Im Musical-Theater bei der Mustermesse, wo es durch elektronisch erzeugten Raumhall unterstützt werden muss, tritt das im Exil befindliche Orchester mit Sternen und Sternchen auf; es tat das mit dem trendigen Organisten David Cameron oder tut es demnächst mit der Geigerin Midori, die nicht Tschaikowsky, sondern Eötvös spielt – am Pult sekundiert übrigens von dem unerhört vitalen Altmeister Hans Drewanz. Im Theater Basel dagegen, wo es gewöhnlich seinen Dienst im Graben tut, versammelt es sich auf der Bühne für extravertierte, grösser besetzte Werke; dieses Jahr widmete es sich dort etwa «Roméo et Juliette» von Berlioz, dies unter der Leitung seines (nicht sehr häufig anwesenden) Chefdirigenten Ivor Bolton, oder der Tondichtung «Scheherazade» von Rimsky-Korsakow. Die Abende im Münster schliesslich gelten einem Zyklus der Sinfonien Anton Bruckners, die gern mit einem Stück neuer Musik kombiniert werden. Vor der dritten Sinfonie dirigierte Mario Venzago «Tout un monde lointain», das 1970 entstandene Cellokonzert von Henri Dutilleux, für das mit Nicolas Altstaedt ein berufener Interpret gewonnen werden konnte. Und jetzt eben gab es mit Michał Nesterowicz, dem Ersten Gastdirigenten des Orchesters, ein neues Posaunenkonzert von Georg Friedrich Haas, eine vom Sinfonieorchester Basel mitbestellte Auftragskomposition, die 2016 bei den Donaueschinger Musiktagen ihre Uraufführung erlebt hat. Ganz selbstverständlich wird hier neue Musik in den Fluss des Hergebrachten eingebettet – so ist es in Basel, aber durchaus nicht überall.

Neue Musik? Das halbstündige Konzert von Haas hebt mit einer liegenden Moll-Terz an, das Soloinstrument fügt die fehlende Quint hinzu – und schon haben wir ihn, den in neuer Musik noch immer auffälligen Dreiklang. Er bläht sich etwas auf, nimmt unterschiedliche Farbtöne an, beginnt sich an den Rändern sozusagen zu verstimmen und kippt dann mit einem Mal nach Dur. Wo er sich allerdings nicht lange aufhält, denn auf eine Rückkehr nach Moll folgt eine Akkordstudie, die Züge des amerikanischen Minimalismus zeigt (Haas lebt seit 2013 tatsächlich in New York), die dann aber unvermittelt in Bewegung gerät. In eine Bewegung nach oben, Schritt für Schritt – das ist in der unsicheren Voraussehbarkeit ausserordentlich spannend. Nicht weniger unvermittelt kommt es zu Einwürfen der Perkussion, zu Clusterbildung und endlich einem Feld scharfer Dissonanzen, wozu Haas’ virtuoser Umgang mit der Mikrotonalität das Seine beiträgt. Raffiniert werden diese kleinsten Intervalle eingesetzt, sie führen zu schillernden Dialogen mit dem Orchester, das unter der ruhigen Leitung Nesterowicz’ mit aller Aufmerksamkeit bei der Sache war. Zentrum der Aufführung bildete indessen der längst zur Legende gewordene Posaunist Mike Svoboda, dem das Stück auf den Leib geschrieben ist. Es war zu hören und stiess im Publikum auf rege Anteilnahme.

Ganz ausgezeichnet passte Haas’ Posaunenkonzert in die Überakustik des Basler Münsters; die Schläge der Tam-Tams machten in diesem Raum besonderen Effekt. Ebenso trefflich war aber auch die Kombination des Stücks mit Bruckners Vierter, dominieren doch in beiden Werken, wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise, Verläufe in grossen Schritten. Die Aufführung von Bruckners «Romantischer», die vom hohen klanglichen Standard des Sinfonieorchesters Basel ebenso profitierte wie von der technischen Sicherheit des Dirigenten Michał Nesterowicz, liess allerdings auch problematische Seiten zutage treten. Schon das eröffnende Hornmotiv – eine Gratwanderung, die vorzüglich geriet – gab zu erkennen, worauf sich der Zuhörer einzulassen hatte. Manche Pause dehnte der Dirigent, um den Klang wirklich verschwinden zu lassen, dies sehr zu Recht. An andere Stellen hätte er aber doch noch deutlicher auf einem Staccatissimo beharren müssen – für den Organisten, der an Räume mit langer Nachhallzeit gewöhnt ist, gehört das zum Alltag. Sobald sich das Orchester nämlich zum Fortissimo erhob, war die Verständlichkeit doch merklich getrübt, und die Jagdszene des dritten Satzes geriet vollkommen zum Durcheinander – etwas anderes war unter den gegebenen Verhältnissen vielleicht auch nicht zu erwarten gewesen. Den zweiten Satz nahm Nesterowicz sehr gedehnt; bisweilen drohte er stehenzubleiben, dafür traten die vielen punktierten Gesten deutlich heraus. Besonders überzeugend geriet das ausserordentlich weit gespannte Finale; blieb das zentrale Quintenmotiv der Hörner im Tutti der Stimmen nicht immer ausreichend hörbar, so gelang es dem Dirigenten doch, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten. Das ist nicht wenig.

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