Ein neues Bratschenkonzert
von Dieter Ammann – Uraufführung in Basel
Von Peter Hagmann
Ist es verfehlt, das Stück biographisch zu hören? Für mich klingt das neue Bratschenkonzert von Dieter Ammann, es wurde vom Sinfonieorchester Basel in Kooperation mit zahlreichen anderen Institutionen bestellt und jetzt im Musiksaal des Basler Stadtcasinos aus der Taufe gehoben – für mich klingt das gut halbstündige Werk für Viola und mittelgross besetztes Orchester wie eine ganz aus dem Inneren kommende, intensiv durchpulste, zutiefst berührende Trauermusik. Sie entspringt vielleicht dem Gedanken an die Endlichkeit des Menschen ganz allgemein, sie scheint mir aber vor allem einer Person zu gelten: dem Komponisten Wolfgang Rihm, dem Dieter Ammann durch langjährige gemeinsame Arbeit im Rahmen der Lucerne Festival Academy verbunden war und der am 27. Juli letzten Jahres nach langer, mit bewundernswerter Würde ertragener Krebserkrankung gestorben ist. In Angriff genommen hat Dieter Ammann das Stück schon 2020, das Leiden und das Ende Wolfgang Rihms haben jedoch unüberhörbare Spuren hinterlassen. Was für traurige Musik klingt hier. Und was für unerhört schöne.
Es rührt daher, dass die musikalische Sprache dieses Konzerts offen zur Tonalität neigt. Nicht in jener schwierigen Weise, in der es bei Krzysztof Penderecki geschah oder bei vielen amerikanischen Komponisten beliebt ist, sondern von einem strukturellen Gedanken her. Dieter Ammann nimmt auf, was die französischen Spektralisten als Reaktion auf die Serialität entwickelt haben: die Arbeit mit der Obertonreihe, also mit jenen vom temperierten System aus gehört, «falschen» Tönen, die sich aus dem Grundton ableiten. Immer wieder tauchen Dur und, vor allem, Moll auf, und immer wieder kommt es zu Störungen dessen, was allgemeiner Übereinkunft gemäss als schön gilt – durch naturgegebene oder willentlich herbeigeführte Verschiebungen im Tongefüge wie durch verfremdende instrumentale Zwischenrufe aus dem Orchester. All das darf man, kann man, muss man aber nicht gezwungenermassen biographisch hören. Man konnte man sich bei der mit Jubel aufgenommenen Uraufführung auch einfach an einer blendenden interpretatorischen Umsetzung durch den vielfach erprobten Bratscher Nils Mönkemeyer, das hochmotivierte Sinfonieorchester Basel und den aufsteigenden Pariser Dirigenten Fabien Gabel erfreuen. Mit im Saal sass übrigens Reinhold Friedrich, des Dirigenten Trompetenlehrer an der Musikhochschule Karlsruhe und somit Kollege von Wolfgang Rihm.
Ganz leis hebt das einsätzige Konzert an: mit einem einzigen Pizzicato, das sich dann auf zwei und immer mehr Töne erweitert. Das Orchester antwortet einem Echo gleich, und daraus entsteht ein fröhlicher Tanz, der sich dann, von Röhrenglocken untermalt, in Glissando-Passagen auflöst. Gut erfunden ist das, attraktiv klingt es. Wenn es etwas zu mäkeln gäbe, dann dies, dass die Bratsche, die sich über weite Strecken in ihrem ureigenen, tiefen Register bewegt, durch das Gewusel und Getümmel im Orchester derart verdeckt wird, dass man den Bratscher, der harte Arbeit leistet, spielen sieht, ihn aber kaum zu hören bekommt. Und dann, mitten in den Verlauf hinein: ein Schlag. Lassen sich die liegenden Klänge, die hierauf folgen, und das glissierende Absinken anders wahrnehmen denn als Trauergesang? Indes findet die Bratsche zu neuer Kraft. Aus einer Folge tief gelegener, nach oben drängender Doppelgriffe gelangt sie zu einer nun fürwahr weitgespannten Kadenz, in der sich der Solist als Virtuose moderner Art bewährt. Und mit einem Mal sind sie wieder da, die Pizzicati des Anfangs. Aus ihnen entwickelt sich eine Art Durchführung, die von ferne an die Geschäftigkeit von Dieter Ammanns Klavierkonzert erinnert. Nach und nach beruhigt sich das Geschehen, das Orchester bildet Flächen, an denen sich die Bratsche reibt, und dann: düsteres Moll. Wenn das keine Botschaft ist.
Eingerahmt war das Werk Dieter Ammanns durch zwei Stücke aus dem französischen Repertoire. Sinnreich wie sinnlich war das, zumal das Sinfonieorchester Basel hören lassen konnte, auf welch hohem Niveau es zu musizieren weiss. Das «Prélude à l’après-midi d’un faune» des Impressionisten Claude Debussy nahm der Dirigent Fabien Gabel ganz auf französische Art: hell im Ton, leicht in der Artikulation, mit einer herrlich vibrierenden Soloflöte und diskreten Bässen. Zur Sache ging es dann in der Sinfonie Nr. 3, Es-Dur, der «Orgelsinfonie», des Klassizisten Camille Saint-Saëns. Hier herrschten klangliche Macht im Orchester und farbliche Pracht bei der Orgel. Etwas deutsch wirkte die Aufführung, was nicht zuletzt auf die Registrierungen des Organisten Christian Schmitt zurückging; das neue Instrument von Metzler Orgelbau legt das nahe, es muss aber nicht sein – bei der Einweihung der Orgel im Herbst 2020 hatte Olivier Latry, der Hauptorganist an der Pariser Notre-Dame, vorgeführt, dass sich auch diesem Instrument französische Farben entlocken lassen. Dessen ungeachtet ging die Orgelsinfonie durch Mark und Bein – wie es sich eben nur live im Konzertsaal erleben lässt.
Der Mitschnitt des Konzerts ist am 6. Februar 2025 um 20 Uhr auf Radio SRF2 Kultur zu hören.