Lugano Musica im LAC – ein Besuch
Von Peter Hagmann
Der Ort hat etwas Magisches. Rechteckig ist der Platz, er öffnet sich auf den See hin und gibt den Blick frei auf ruhigen Wellenschlag und hohe Berge, auf Tiere am Wasser und blühende Magnolienbäume (leider auch auf tosenden Autoverkehr, das lässt sich nicht ändern). Die eine Seite Platzes, grün schimmernd, gehört dem Kunstmuseum; es zeigt temporäre Ausstellungen wie auch seine Sammlung, die aus der Zusammenführung kantonaler wie städtischer Bestände gebildet ist. Im rechten Winkel dazu als der rückseitige Abschluss des Platzes eine hohe, vielfach unterteilte Glaswand, die ein geräumiges Foyer mit einem ansprechenden Restaurant, mit Kassen und einer gut sortierten Buchhandlung sehen lässt. Von dort aus führen Treppen in die Sala Teatro, den zentralen Aufführungsraum mit seinen rund 1000 Plätzen.
Bald wird in diesem ganz in Holz gehaltenen, akustisch ausgezeichneten Saal etwas los sein, denn im LAC, so nennt sich das Zentrum «Lugano Arte e Cultura», gibt es ein grosses Angebot an Veranstaltungen aus den Bereichen von Schauspiel und Tanz, bisweilen sogar eine Oper, vor allem aber eine reiche Auswahl an Konzerten. Akteure auf diesem Feld sind das von Markus Poschner geleitete Orchestra della Svizzera italiana, die Studierenden der Tessiner Hochschule für Musik, die hier noch nach romanischem Sprachgebrauch «Conservatorio» heisst, ist in erster Linie jedoch die Reihe «Lugano Musica», die inzwischen zum achten Mal die Welt der klassischen Musik in ihrer ganzen Vielfalt nach Lugano bringt.
Einfach sei die Lage nicht, bemerkt Etienne Reymond, der Direktor von Lugano Musica. Die Leichtigkeit des Seins, die sich in den Jahren des Aufbaus eingestellt hat, ist verschwunden, die Pandemie hat Sicherheiten wie Gewohnheiten in Frage gestellt. Heute muss sich eine Einrichtung wie Lugano Musica wieder mehr um das Publikum kümmern – es suchen, einladen, motivieren. Getan wird das etwa mit Hilfe grossformatiger Plakate, deren man in der Stadt allenthalben ansichtig wird, aber auch im direkten Gespräch mit Besucherinnen und Besuchern. Nicht nur das Wegbrechen sei zu beobachten, sagt Etienne Reymond, es gebe auch Zugewandtheit, Treue und neuen Optimismus. In den schwierigen Phasen, in denen nur Kammermusik möglich gewesen sei, in denen Konzerte, wenn überhaupt, nur im Foyer des LAC vor sehr aufgelichteten Stuhlreihen hätten durchgeführt werden können, hätten die Künstler Solidarität gezeigt und seien die Zuhörer dabei geblieben.
Jetzt geht es wieder aufwärts, von der andernorts geraunten Weltuntergangsstimmung ist bei Lugano Musica nichts zu spüren. Es gibt wieder Gastspiele grosser Orchester; sie stehen diese Saison im Zeichen jüngerer Dirigenten, unter ihnen etwa der äusserst vielversprechende Finne Santtu-Matias Rouvali, der an der Spitze des Philharmonia Orchestra London nach Lugano kommt. Auch das Streichquartett-Wochenende fand wieder statt, etwa mit dem Diotima-Quartett, das zum 100. Geburtstag des Komponisten die beiden Streichquartette von György Ligeti vortrug – und nebenbei betont Etienne Reymond wieder einmal, für wie sinnvoll er die Ergänzung des LAC durch einen kleineren Saal mit maximal 300 Sitzplätzen hielte. Es ist der kreative Mix zwischen den grossen Namen und der «nuova generazione», zwischen dem repräsentativen Sinfoniekonzert und dem elektronischen Experiment, zwischen alter und neuer Musik, der dem Programm von Lugano Musica sein Profil verleiht.
Die Lebendigkeit ist jedenfalls ungebrochen. Zu spüren war sie auch beim Gastspiel des Budapest Festival Orchestra mit seinem Gründer und Leiter Iván Fischer. Ins Leben gerufen 1983, in der Spätzeit der ungarischen Volksrepublik, und gross geworden nach der Wende 1989, gehört die Formation heute zu den ersten Orchestern der Welt, daran liess der Auftritt im LAC keinen Zweifel. Gewiss, die «Symphonic Minutes» von Ernő Dohnányi wirkten nett, während beim G-dur-Klavierkonzert Ludwig van Beethovens Uneinigkeiten zwischen dem Solisten Rudolf Buchbinder und dem Dirigenten in Fragen der Tempi zutage traten. Danach aber drei Mal Richard Strauss – und drei Mal vom Feinsten.
«Don Juan» unerhört aufbrausend, klanglich vielleicht etwas grobkörnig, aber doch konsequent als virtuoses Muskelspiel eines selbstbewussten jungen Komponisten dargeboten. Und wie musikalisch durchdrungen der Beitrag des Solo-Oboisten gelang, liess erkennen, welche Qualität in diesem Orchester Standard ist. Meisterhaft gesteigert, jedenfalls spürbar von dramatischem Atem durchzogen dann der Schleiertanz aus «Salome», in dem sich die Soloflöte und das Englischhorn besonders vorteilhaft einbrachten. Zum Ereignis des Abends wurde aber «Till Eulenspiegel» als eine musikalische Erzählung von besonderer Fasslichkeit. Die deutsche Aufstellung des Orchesters mit den beiden Geigengruppen links und rechts vom Dirigenten wurde dahingehend modifiziert, dass die vier Hornisten als Vertreter der Philister rund ums Dirigentenpult platziert waren und die Klarinette als Verkörperung der Titelfigur gleich dahinter sass. In lichtem, farbenreichem Klang und hörbarer Empathie war dieses musikalische Porträt eines Unbotmässigen gezeichnet: ein Vergnügen der ersten Art. Enorm der Beifall. Und zum Schluss gab es, wie oft bei Iván Fischer, eine Überraschung.