Keine Vertragsverlängerung mit Lionel Bringuier in Zürich

 

Peter Hagmann

Die richtige Entscheidung

Lionel Bringuier bleibt nur bis 2018 in Zürich

 

Der auf vier Jahre ausgelegte Vertrag zwischen dem Tonhalle-Orchester Zürich und seinem Chefdirigenten Lionel Bringuier wird nicht über sein Ende im Sommer 2018 hinaus verlängert. Das liess die Tonhalle-Gesellschaft Zürich am heutigen 17. August 2016 bekannt werden. Die Entscheidung erfolge in gegenseitige Einvernehmen. Seine Verpflichtungen bis zum Ende der Saison 2017/18, der ersten im Provisorium der Maag-Halle, werde Lionel Bringuier voll und ganz wahrnehmen.

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Ein junger Mann von gewinnender Erscheinung, französischer Sprache, mit einem schon ansehnlichen Leistungsausweis – so trat Lionel Bringuier im Herbst 2014 sein neues Amt als Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich an. Die Begeisterung im Orchester war gross, die Musikerinnen und Musiker hatten ihn als Nachfolger David Zinmans ausdrücklich gewünscht. Tatsächlich kam musikalisch frischer Wind auf; das Orchester legte sich wie losgelassen ins Zeug, und es klang mit einem Mal ausnehmend kräftig. Jung und frei, erfrischend laut, jedenfalls in dem erwünschten neuen Geist – so wurde der Einstieg auf vielen Seiten wahrgenommen.

Wer wirklich zuhörte, konnte jedoch auf Anhieb zweierlei beobachten. Zum einen war die unbestrittenermassen vorhandene Lautstärke nicht wirklich gestaltet; sie ging nicht selten über die Kapazität des Saals hinaus, und sie liess gern jenes Mass an Differenzierung vermissen, das auch in den oberen Graden der Dynamik herrschen muss. Zum anderen wurde auch nach der Zeit der gegenseitigen Angewöhnung kein klarer interpretatorischer Ansatz fassbar. Waren bei David Zinman, meistens zum Vorteil der Kompositionen, Leichtigkeit des Tons, strukturelle Klarheit und emotionale Zurückhaltung bestimmend, schien das Orchester mit Lionel Bringuier draufloszuspielen: fröhlich, aber ohne erkennbaren Sinn. Das galt sogar bei einem Kern von Lionel Bringuiers Repertoire, bei der Musik Maurice Ravels, der die erste (und wohl auch letzte) CD-Einspielung galt.

Eine Beliebigkeit machte sich breit, die wenig zu tun hatte mit dem scharf konturierten, auch erfolgreich zu Markt getragenen Profil, welches das Tonhalle-Orchester in den zwei Jahrzehnten mit David Zinman erreicht hatte. Aufgewogen wurde das durch das vitale, engagierte Auftreten des neuen Präsidenten Martin Vollenwyder und das umsichtige, kenntnisreiche Vorgehen der neuen Intendantin Ilona Schmiel. Den beiden Stützen im Leitungsteam ist der glanzvolle Zürcher Abstimmungserfolg im Zusammenhang mit der Instandsetzung von Kongresshaus und Tonhalle zu verdanken – Lionel Bringuier hielt sich da vornehm zurück. Das kann man als Akt der Konzentration aufs rein Künstlerische vertreten. Ob es richtig ist, bleibt jedoch die Frage. Wenn man sieht, wie umfassend sich Iván Fischer in rauhem Klima um seine Orchester in Budapest und Berlin kümmert, liegt die Antwort auf der Hand.

Bewegung hat sich also eher ausserhalb des musikalischen Kerngeschäfts ergeben. Wo es um die Sache geht, begann sich Stillstand einzunisten, war ein ernsthaftes Einlassen auf die Partituren und die Entwicklung eigener Aussagen als Interpret bei Lionel Bringuier nicht zu erkennen – dazu ist der junge Dirigent viel zu beschäftigt. So ist die auf 2018 festgelegte Trennung in Ehren der richtige Schritt zur richtigen Zeit – trotz dem bevorstehenden Exil in Zürich-West. Jetzt kann die Lage überdacht und kann eine künstlerische Vision entworfen werden. Denn wenn es eines zu vermeiden gilt, so sind es die kurzzeitigen, erst euphorischen, dann aber rasch erlahmenden Engagements von Chefdirigenten, wie sie vor der Ära Zinman üblich waren. Das Tonhalle-Orchester Zürich, inzwischen durchaus mitverantwortlich, hat Besseres verdient.