Macht in ihrer rohen Naturform

Salzburger Festspiele III – «Lady  Macbeth von Mzensk» von Dmitri Schostakowitsch

Von Peter Hagmann

 

Gefährliche Hochzeit: «Lady Macbeth von Mzensk» in Salzburg / Bild Thomas Aurin, Salzburger Festspiele

 

Macht, das ist das Thema, das die verschiedenen Programmschienen der Salzburger Festspiele 2017 umkreisen – ein Angebot, das von so feinsinniger Zusammenstellung und so vielfältiger Anregung lebt, wie es Markus Hinterhäuser, der neue Intendant der Festspiele, nun einmal liebt. Auffallend dabei ist, dass von den fünf neuen Opernproduktionen, mit denen Hinterhäuser seine Amtszeit eröffnet, drei ganz selbstverständlich Werke aus dem 20. Jahrhundert umfassen: Neben «La clemenza di Tito» von Mozart (1791) und Verdis «Aida» (1871) treten Alban Bergs «Wozzeck» von 1925 sowie «Lady Macbeth von Mzensk» von Dmitri Schostakowitsch aus dem Jahre 1932 und später im Kalender Aribert Reimanns «Lear» von 1978.

In Entsprechung dazu setzt das Konzertprogramm zwei Akzente – zusätzlich zu der aus der kurzen Ära Pereira übernommenen, leicht umgestalteten «Ouverture spirituelle». Unter dem Titel «Zeit mit Schostakowitsch» stellt der eine Schwerpunkt konzertante Werke des bis heute nicht wirklich ins Repertoire aufgenommenen Russen an die Seite seiner frühen Oper, zum Beispiel das verinnerlichte Streichquartett Nr. 8 mit dem Hagen-Quartett, das bruchlos aus Bachs «Kunst der Fuge» hervorwuchs, oder die Symphonien Nr. 1 und Nr. 15 mit den Berliner Philharmonikern und ihrem noch amtierenden Chefdirigenten Simon Rattle. Der andere Schwerpunkt, er nennt sich «Zeit mit Grisey», geht dem Schaffen des früh verstorbenen französischen Spektralisten Gérard Grisey nach. In einem raffiniert gebauten Programm stellte etwa das von Peter Rundel geleitete Klangforum Wien Musik Griseys Werken von Giacinto Scelsi und Tristan Murail gegenüber. Hinterhäusers Programme waren und sind immer Netzwerke.

Das gilt für das Festival insgesamt und somit auch für den Opernspielplan. Die Frage nach der Macht wird da von den verschiedensten Seiten her beleuchtet. Während Mozarts «Titus» dem Absolutismus die Prinzipien der Aufklärung gegenüberstellt und sich in Verdis «Aida» zwei im Krieg miteinander verstrickte Staaten gegen ein aus den verfeindeten Nationen stammendes Liebespaar durchsetzen, zeigt Schostakowitschs frühe Oper «Lady Macbeth von Mzensk» die Ausübung von Macht in ihrer rohen Naturform. Macht von Männern über Frauen, Macht von Reichen über Arme, Macht des Triebs über die Vernunft. Unterhaltsam oder gar lustig ist das nicht, vielmehr lässt die explizite Aufführung im Salzburger Grossen Festspielhaus handgreiflich nachvollziehen, wie die Mechanismen der Unterdrückung funktionieren. Anders als Andreas Homoki, der 2013 in Zürich die schreckliche Geschichte um Katerina Lwowna Ismailowa in die Groteske steigerte und Schostakowitschs Werk damit in ein expressionistisches Kabarett umkippen liess, bleibt Andreas Kriegenburg ganz und gar realistisch.

Einheitsspielort ist der düstere, von Treppen durchzogene Innenhof einer Mietskaserne, in die von links und rechts auf weit auskragenden Rampen Räumlichkeiten wie das Schlafzimmer Katerinas, das Büro ihres im Alkoholrausch verkommenen Gatten Sinowi Borissowitsch Ismailow oder die Polizeistation hineingefahren werden können – wie die Werkstätten den Entwurf von Harald B. Thor umgesetzt haben, stellt ein Gesellenstück eigener Art dar. An diesem Schreckensort wird auf Anhieb deutlich, wer oben steht und wer unten. Oben steht zum Beispiel Boris Timofejewitsch Ismailow, der Chef des Familienclans und Besitzer eines mysteriösen Unternehmens, der von Tanja Hofmann in bestes Tuch gehüllt ist und sich beständig mit Eau de cologne besprüht – Unterschied muss sein. Unten wiederum sind alle anderen, die in Lumpen gekleideten Arbeiter, aber auch die Anzugträger der mittleren Führungsschicht.

Unten ist auch Katerina. Sie ist eine Frau. Und sie hat noch keinen Erben geboren – wobei sie rechtzeitig, wenn auch nicht zu ihrem Vorteil darauf hinweist, dass es zum Kinderzeugen deren zwei braucht. Lüstern wird sie von ihrem Schwiegervater Boris (Dmitri Ulyanov) umkreist, und das um so aufdringlicher, nachdem sie ihm verraten hat, dass ihr Gatte Sinowi (Maxim Paster) ein Problem mit seiner Männlichkeit hat. So etwas kennt Sergej nicht; Draufgänger, der er ist, nimmt der soeben in den Betrieb eingetretene Arbeiter gleich, und zwar vor allen anderen, die Herrin in Besitz. Katerina lässt es geschehen – nicht ungern, so suggeriert es die Inszenierung, denn der Neue bietet, was dem Gatten versagt bleibt. Nina Stemme bewältigt das alles heldenhaft. Etwas Mühe hat sie mit der obersten Lage und dort dem Pianissimo, sonst ist sie aber phantastisch bei Stimme; sie verfügt über eine Kraft sondergleichen und bleibt darum noch gepflegt hörbar, wenn das Orchester seine Muskeln spielen lässt.

Das tun die Wiener Philharmoniker nach Massen – so wie die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor mit ihrer Strahlkraft zur Geltung bringt, dass «Lady Macbeth von Mzensk» auch eine Choroper ist. So laut wie bei der von Valery Gergiev geleiteten Salzburger Produktion von 2001 geht es allerdings nicht zu – vor allem nicht so durchgehend laut. Mariss Jansons, der 2006 in der Niederländischen Oper Amsterdam eine sensationelle Produktion von Schostakowitschs Oper dirigiert hat, leuchtet die Partitur bis in ihre hintersten Winkel aus, ohne dass der Abend an Schwung verlöre. Er weiss genau, wie weit er in der dynamischen Expansion gehen kann. Und er weiss auch, was dieses gefährlich freche Jugendwerk an stilleren Momenten und an Schönheiten der musikalischen Erfindung bereithält – zum Beispiel die Passacaglia am Schluss des zweiten Akts.

Kurz vor der Passacaglia: der erste Mord. Katerina verabreicht dem verhassten Schwiegervater ein Pilzgericht, das mit Rattengift angereichert ist. Boris hat Appetit, weil er zuvor Sergej, der sich bei Katerina eingeschlichen hatte, halbtot gepeitscht hat. In der Inszenierung von Andreas Kriegenburg bleibt der Mord selbst eigenartig harmlos, zumal der Auftritt des herbeigerufenen und natürlich betrunkenen Popen (Stanislav Trofimov) reichlich klischeehaft wirkt. Spannender gerät die Zeichnung der einzelnen Figuren und der Beziehungen zwischen ihnen. Sergej, der von Brandon Jovanovich mit kraftvollem Ton gegeben wird, ist zwar Macho durch und durch, spürt aber sogleich, wie er Katerina für seine Zwecke instrumentalisieren kann. Diese Art Macht – und das zu zeigen ist dem Regisseur ausgezeichnet gelungen – ist die schrecklichere als die Überwältigung und Erdrosselung des Wodka-getränkten Sinowi. Die Folgen dieser Tat sind allerdings erheblich: Katerina wie Sergej sehen sich bald unterwegs ins sibirische Arbeitslager. Dieses letzte Bild misslingt in der Inszenierung. In dem Moment, da Katerina sich in einem nahegelegenen See ertränkt und dabei ihre neue Nebenbuhlerin Sonetka (Ksenia Dudnikova) mit sich zieht, fallen zwei Puppen erhängter Frauen über ein Treppengeländer – szenisch eine Peinlichkeit. Es steht für eine Produktion, die insgesamt eher konventionellen Zuschnitts bleibt.