Opera seria als Chance und Gefahr

Mozarts «Idomeneo» im Opernhaus Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Vor dem Opfer: Idomeneo (Joseph Kaiser) und sein Sohn Idamante (Anna Stéphany) / Bild Monika Rittershaus, Opernhaus Zürich

Das Beste am jüngsten Premierenabend im Zürcher Opernhaus geschah gleich zu Beginn. Es war die Ouvertüre. Da befanden sich Wolfgang Amadeus Mozart und sein «Idomeneo», das Orchester «La Scintilla» und der Dirigent Giovanni Antonini in Übereinstimmung: in einem sehr persönlichen und hochanregenden Einklang. In markigem Ton nahm Antonini den Eintritt in die tragische Verstrickung, denen die fünf Figuren des Geschehens ausgesetzt sind. Die Bässe, nur zwei an der Zahl, aber ausserordentlich präsent, liessen drohendes Unheil anklingen, die liegenden Töne erhielten durch den Verzicht auf das Vibrato klar umrissene Konturen. Und dann die Holzbläser, insbesondere die von Mozart hier erstmals eingesetzten Klarinetten, sie traten deutlich heraus und schufen farbliche Vielfalt. Über allem herrschte der spezifische Geist, für den Antonini steht: ein Klima des pointierten Kontrasts, der deutlichen, aber stets elegant federnden Formulierung.

In der Folge freilich ging der vielversprechende Ansatz nach und nach verloren. Was spannend begann, wurde behäbig, ja verströmte bisweilen jenen Anflug an gepflegter Langeweile, der so rasch mit der Opera seria verbunden wird – selbst das grosse, eindrucksvolle Quartett im dritten Akt entbehrte der Ausstrahlung. Ursache für den Spannungsverlust waren die spürbar langsamen Tempi, die der Dirigent anschlug. Mag sein, dass sie Antoninis Vorstellungen entsprachen; vielleicht suchte der Dirigent dem genialen Jugendwerk Mozarts – der Komponist war bei der Münchner Uraufführung 25 Jahre alt – in der klanglichen Verwirklichung Tiefe und Würde zu verschaffen. Indes widerspricht das doch merklich dem Temperament Antoninis, wie es aus seinem Umgang mit Haydn und Beethoven bekannt ist. Plausibler erscheint darum die Vermutung, dass die Gründe weder beim Dirigenten noch bei dem hellwach mitwirkenden Orchester zu suchen sind, dass sie vielmehr bei der Besetzung liegen, die hier im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen des Opernhauses Zürich suboptimal geraten ist.

Fast alle Sängerinnen und Sänger des Abends hatten ihre liebe Mühe mit der stilgerechten Ausführung ihrer Partien; sie kämpften mit technischen Problemen, vor allem mit der Beweglichkeit der Stimme – was den Dirigenten dazu bewogen haben mag, die Tempi zu senken. Trotz dieser Massnahme blieb eine eigenartige Differenz zwischen der rhythmischen Präzision, die aus dem Orchestergraben kam, und dem Genuschel auf der Bühne. Die Ausnahme bildete Hanna-Elisabeth Müller (Ilia), die, wiewohl eher im romantischen Repertoire beheimatet, ihre Stimme so schlank zu führen wusste, dass die Perlenketten in ihrer Partie als solche wahrzunehmen waren und die Triller tatsächlich Triller wurden. Auf der anderen Seite der Skala steht Joseph Kaiser als Idomeneo. Die Majestät des Helden und die Winzigkeit des verzweifelten Menschen verkörperte er eindrucksvoll, aber im stimmlichen Vermögen, zumal in der Zeichnung der Lineaturen, blieb er weit hinter der szenischen Darbietung zurück – was mutatis mutandis auch für Anna Stéphany (Idamante) gilt. Deutlich unter der Schwelle Airam Hernandez (Arbace), der Mühe mit der Intonation hatte und zudem nicht über ausreichend Tiefe für diese Partie verfügt, weshalb Antonini das Orchester an den entsprechenden Stellen überraschend drosseln musste. Wenig befriedigend auch Guanqun Yu (Elettra), deren starkes, schnelles Vibrato die Klarheit der Tonhöhen beeinträchtigte.

Gleichwohl wurde gerade an der Figur der Elettra deutlich, in welcher Weise sich die Regisseurin Jetske Mijnssen diesem schwierigen Stück näherte. In der sehr zurückhaltenden, gerade darum attraktiven Inszenierung ist Elettra nicht die manische Furie, als die sie oft genug erscheint, sondern eine heftig verliebte Frau, die nach ihrer Niederlage von dem ebenfalls relegierten Idomeneo getröstet wird. Und sie ist eine Frau von heute, wie der glänzende Hosenanzug erweist, den ihr Dieuweke van Reij hat schneidern lassen. Nichts lässt in dieser Inszenierung von «Idomeneo» auf den Schauplatz in der Antike schliessen, die Figuren lieben und leiden in der Gegenwart: in Anzug und Krawatte. Und sie tun dies in einer Weise, welche die tiefe Empathie der Regisseurin erkennen lässt und von berührender Wirkung ist. An die klassische Tragödie erinnert vielleicht der Einsatz des Chors – der freilich ebenfalls nicht als das kommentierende Volk, sondern in echt Felsensteinscher Manier als eine Gemeinschaft mitleidender Individuen erscheint. In der Ausgestaltung des Einzelnen liegt der Lebenskern der Inszenierung – die im übrigen (und abgesehen von einigen szenischen Assoziationen) auf jeden Ausstattungsprunkt verzichtet. Die von Gideon Davey gestaltete Bühne bleibt leer, begrenzt durch die in den Farben des Meeres gehaltenen Wände, die sich dann heben, wenn der Moment besonders wird. Würde etwas angemessener gesungen, es hätte durchaus etwas werden können aus dem neuen Zürcher «Idomeneo».