Wenn der Boden zu wanken beginnt

Ein Abend mit Musik von Edu Haubensak in Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Schweres Gestänge hängt an den Wänden, im Raum stehen ausladende Werkbänke und massive Schraubstöcke – und mittendrin: ein Flügel. Wir nehmen Platz in der Schlosserei Nenninger, wo tagsüber Eisen geformt wird und abends Musik erklingt. Kunstmusik, neue Musik. Heute Abend etwa kommt es zu einer Begegnung mit Edu Haubensak, dem 1954 geborenen Zürcher Komponisten, der mit Mikrotönen arbeitet und für seine schwebenden Klänge bekannt ist. Drei Stücke aus unterschiedlichen Schaffensperioden sind angesagt, das letzte Werk erklingt als Uraufführung. In die Folge eingelassen sind Kompositionen des Baslers Mathias Steinauer und des viel zu früh verstorbenen Zürchers Hans-Jürg Meier. Eines ist fast allen Stücken des Abends gemeinsam. Es ist der Stein.

Der klingende Stein. Tatsächlich stehen neben dem Flügel und den Notenpulten für ein Trio eigenartige Dinger im Raum. Da ist etwa das Instrument, das einem Vibraphon gleicht, aber kein Vibraphon sein kann. Die Platten, welche die Töne erzeugen, sind merklich breiter und massiver – kein Wunder: Beim Lithophon sind sie aus Stein. Gegenüber eine Konfiguration fast senkrecht stehender, nur leicht in die Schräge gebrachter Steinplatten, die am oberen Ende eigenartig gerundet erscheinen – das Orgalitho, das wie die Glasharfe gespielt wird, das ins Klingen kommt, wenn die gläserne Hauben über den Steinplatten von angefeuchteten Handflächen gerieben werden. Schliesslich hängt da noch ein kleines Tamtam, das allerdings grosse Töne von sich zu geben vermag – Töne, die sich förmlich ins Ohr schrauben und angenehme Schwindelgefühle erzeugen.

Das passt. Die Musik von Edu Haubensak kann einem durchaus den Teppich unter den Füssen wegziehen. Schon im Streichtrio von 1994, mit dem das Mondrian-Ensemble seinen Abend chez Nenninger eröffnete, war das so. Anfangs klang es, als hätten Ivana Pristašová (Violine), Petra Ackermann (Viola) und Karolina Öhman (Violoncello) ihre Instrumente eigenartig gestimmt. Das ist tatsächlich der Fall, wenn auch in voller Absicht geschehen. Die Mondrians spielen nur auf den leeren Saiten und verändern die Tonhöhen, indem sie die Wirbel und die Schrauben, die zum Stimmen verwendet werden, bei laufender Musik in erstaunlicher Virtuosität betätigen. Bald hat man sich eingehört, und schon beginnt man sich den ungewohnten klanglichen Reizen hinzugeben.

In «Octaves for Four» (2013) kommt das Klavier dazu. Auch in dieser Komposition geht Haubensak mit leicht ausserhalb der Norm stehenden Stimmungen zu Werk. Das einzige sozusagen normale Intervall ist die Oktave, die vom Klavier gleichsam als Rückgrat ins Spiel gebracht wird, mehr und mehr aber erschreckend unrein zu wirken beginnt. Das liegt nicht am Instrument und schon gar nicht an der fabelhaften Pianistin Tamriko Kordzaia, sondern an den drei Streichinstrumenten, die mit ihren minimalen, aber folgenreichen Skordaturen das vermeintlich Richtige in falsches Licht setzen. Ein erheiterndes Vergnügen, vom Mondrian-Ensemble mit leichter Hand aufgetischt.

Womit der Moment gekommen wäre für die Schlagzeugerin Erika Öhman, die Schwester der Cellistin im Mondrian-Ensemble. Zum Beispiel in «Fossils and Shadows» von Mathias Steinauer, hier in einer Version für Lithophon und Klavierquartett dargeboten. Da fallen Kiesel auf Metallplatten, mischt sich ein grosser Regenstab ein, wird geflüstert und gleich wieder gerufen – und wie Erika Öhman die Vielfalt der unterschiedlichen Schlägel zu nutzen weiss, schafft Überraschung auf Überraschung. Nochmals von Steinauer folgt «Schlussstein» für Streichtrio und Schwebeklang, wo die klingenden Steinplatten eine ganz eigene Aura erzeugen. Schliesslich «Tre», das Solo für grosses Lithophon von Hans-Jürg Meier, das phantasievoll das Potential des als dreimanualig bezeichneten Instruments erkundet. An einem gewissen Moment glaubt man Kuhglocken zu vernehmen…

Schluss- und Höhepunkt des Abends bildet «No Reality» von Edu Haubensak für Klavierquartett, Orgalitho in Skordatur und Tamtam, vom Mondrian-Ensemble in Auftrag gegeben und nun aus der Taufe gehoben. Ein echter USP – falls Sie wissen, was das ist: ein Unique Selling Point. Der temperierten Skala begegnet hier die Naturtonreihe, schon das führt zu angenehm kitzelnden Friktionen. Dazu kommt der meditative Grundzug, der das Geschehen bestimmt, wozu das unerhört lange klingende Tamtam das Seine beiträgt. Edu Haubensak hängt sein originelles Schaffen nicht an die grosse Glocke, er wirkt in einer Nische und aus ihr heraus, tut das aber, wie dieser Abend erwies, in aller Nachhaltigkeit.