Verfeinerung im Einfachen

Verdis «Rigoletto» in Basel

 

Von Peter Hagmann

 

Bild Matthias Baus, Theater Basel

Man mag ihn mögen oder nicht – für die neue Produktion von Giuseppe Verdis «Rigoletto» im Theater Basel ist kein Lob hoch genug. Intelligentes, sinnlich erfülltes Musiktheater gibt es da. Die guten Nachrichten kommen zunächst aus dem Graben, wo das Sinfonieorchester Basel auf der vollen Höhe seines Vermögens musiziert: zupackend, aber nirgends grob, klangschön, präzis im Rhythmischen und mit allem Sinn für federnde Eleganz. Dazu angeleitet werden die Musikerinnen und Musiker durch Michele Spotti, einen jungen Dirigenten aus Mailand, dem das Orchester am Ende der Premiere sichtbaren Beifall zollte. Sehr zu Recht, erweist sich Spotti doch als ein sattelfester, ebenso effizienter wie diskreter «maestro concertatore»; er lässt den Sängerinnen und Sängern den nötigen Raum und bleibt ihnen sorgsam zur Seite, behält den Fortgang des Dramas aber jederzeit entschieden in der Hand und sorgt so für durchgehende Spannung. Als besonders wirksam erweist sich dabei des Dirigenten Gefühl für die Tempi und die Beziehungen unter ihnen – da ist ein Raffinement gefordert, ohne das ein Werk wie «Rigoletto» platt bleibt. In der Oper gilt die Aufmerksamkeit des Publikums zuallererst der vokalen Kunst, der Ärger sodann dem Regisseur, während die Formung der musikalischen Seite eher beiläufig mitgenommen wird. Hier ist diese Gewohnheit in jeder Beziehung ausser Kraft gesetzt.

Im Vokalen und in der Ausgestaltung des dramatischen Geschehens herrscht nämlich das reine Glück. Die Besetzung ist erstklassig, sie braucht sich vor keinem anderen Haus zu verstecken. An Überraschungen fehlt es nicht. Als Rigoletto bringt Nikoloz Lagvilava eine ungeheure Bärenstimme ins Spiel, eher einen Bass als einen Bariton, jedenfalls eine abgrundtiefe Schwärze und eine Kraft, die den Narren auch vom Vokalen her zum Aussenseiter macht, das brutal Instinktive in seinem Handeln betont und den Zusammenbruch umso schärfer herausstellen. Einen Buckel braucht es nicht, die Kapuze zu dem dunkelbraunen Ledermantel, den ihm die Kostümbildnerin Clémence Pernoud entworfen hat, sagt alles. Pavel Valuzhin als Herzog bietet mit seinem hellen, obertonreichen Tenor und seiner darstellerischen Agilität das scharfe Gegenbild; schade nur, dass der Sänger gerne zu hoch intoniert (und damit eine Gepflogenheit italienischer Provenienz strapaziert). Speziell dann wieder der Mörder Sparafucile, für den mit David Shipley ein eher hoch liegender, feinzeichnender Bass verpflichtet ist – weshalb denn auch besonders auffällt, dass er, wie er sich Rigoletto mit seinem schönen Namen vorstellt, das in hoher Lage tut. Sein edles weinrotes Gewand mit dem Kummerbund deutet ja auch, dass er seine Dienstleistungen als echter Gentleman anbietet und, so ist anzunehmen, in derselben Weise ausführt. Mit einer echten Donnerstimme wartet Artyom Wasnetsov als Monterone auf – ein später Verwandter des Komturs aus «Don Giovanni». Und dann: Regula Mühlemann, die in Basel ihre erste Gilda singt und das ganz ausgezeichnet macht. Jungmädchenhaft hängt sie an ihrem Vater, doch wie Rigoletto ihr den Hausarrest auferlegt, wird sie rasch störrisch, um dann dem Herzog förmlich zuzufliegen – alles grossartig, alles bewegend dargestellt. Und stimmlich grandios gemeistert dank einem Timbre, das auf einer samtenen Grundlage ein weitgefächertes Farbspektrum ausbreitet. Im Übrigen: Ohne Fehl das Ensemble, ohne Tadel der von Michael Clark vorbereitete Chor.

Zusammen mit dem Orchester sind es die Menschen auf der Bühne, die den Basler «Rigoletto» prägen. Der Regisseur Vincent Huguet dagegen hält sich vorteilhaft zurück; er nennt Verdis Oper sogar «abstrakt» – mit gutem Grund, bilden die beiden Szenen in den Salons des Herzogs doch eher Beiwerk, während das Stück seinen Kern in der direkten Interaktion zwischen den Figuren findet. Das nimmt der Regisseur sehr genau in den Blick, das hat er mit aller Sorgfalt ausgeführt. Der französische Designer Pierre Yovanovitch, hat ihm eine dementsprechend neutrale Bühne eingerichtet. Eine mächtige Rundtreppe, elegant geformt, führt aus luftiger Höhe herunter auf die Spielfläche, wo sich im Verlauf der drei Akte drei halbrunde Wände um die Akteure positionieren: eine immer stärkere Einengung, in der sich die Zuspitzung des Dramas spiegelt. Zugleich aber auch eine Assonanz an die vor einem Vierteljahrhundert aufgestellte, anhaltend umstrittene und bekanntlich nicht nur betrachtete Eisenskulptur «Intersection» des Amerikaners Richard Serra auf dem Platz vor dem Theater. Wenn sich Rigoletto am Ende seiner Möglichkeiten sieht, senkt sich zudem ein zarter, luftiger, aber doch eindeutiger Käfig auf den vom Täter zum Opfer gewordenen Menschen. Alles bloss andeutet, zudem in erlesenen Farben – Design vom Besten, aber sehr wohl mit Aussage. Und in jedem Fall besser als Buckel und Samt. Im Februar folgt an dem sehr lebendigen Basler Haus eine Übernahme von Luigi Nonos «Intolleranza 1960» mit dem Hausherrn Benedikt von Peter am Regiepult. Da wird zweifellos ein ganz anderer Wind wehen.

Von Luzern nach Luzern

Regula Mühlemann in «Roméo et Juliette» von Gounod

 

Von Peter Hagmann

 

Bild Ingo Hoehn, Luzerner Theater

 

Vorab dies: Das Stadttheater Luzern ist zu klein für «Roméo et Juliette». Charles Gounod hat für seine Oper von 1867 eine opulente Orchesterbesetzung vorgesehen, die nicht nur Platz im Graben verlangt, sondern auch Volumen im Zuschauerraum. Vier Hörner, drei Posaunen, Schlagzeug, dazu Streicher, die ein Gegengewicht zu den Bläsern bilden – die Partitur braucht Luft, um in ihrer ganzen Wärme zum Klingen zu kommen, und sie benötigt eine gewisse Pedalwirkung, welche die Farben des Orchesters mischt und sie in sinnvollen Bezug zum vokalen Geschehen auf der Bühne bringt. In Luzern ist das nur partiell möglich. Von da her gesehen ist es ein Wunder, was der Luzerner Musikdirektor Clemens Heil und das hellwache Luzerner Sinfonieorchester in der neuen Produktion von «Roméo et Juliette» zustande bringen.

Regula Mühlemann jedenfalls konnte sich im Orchesterklang aufgehoben fühlen. An der Premiere von «Roméo et Juliette» kam die junge Sopranistin zu einem grossartigen Erfolg – nicht nur, weil sie als Luzernerin nach Luzern zurückgekehrt ist, sondern auch und vor allem, weil sie künstlerisch gewaltig vorwärts gemacht hat. Seit ihrem Debüt bei den Salzburger Festspielen 2012, dort allerdings in einer Freilicht-Aufführung im Residenzhof, und ihrem Rezital im Rahmen der Debüt-Reihe des Lucerne Festival 2013 hat ihre Stimme merklich an Kontur gewonnen. In ihrem glockigen Ansatz erinnert sie noch immer an jene von Edith Mathis, einer anderen Luzernerin, das besorgt ihr einen ganz eigenen Reiz. Inzwischen jedoch hat sich das Farbenspektrum erweitert und hat sich auch das Volumen vergrössert – ohne dass die Eigenheiten des Timbres verlorengegangen wären. Nach wie vor bringt Regula Mühlemann neben der ganz selbstverständlichen Beweglichkeit einen ungewöhnlichen Reichtum an Obertönen ein und kennt sie eine Kultur des Leisen, wie sie gerade in der Oper nicht eben häufig anzutreffen ist. Der Vergleich ist zu hoch gegriffen, das versteht sich, aber man darf ihn wagen – und ihren vokalen Charakter in jenem Bereich ansiedeln, der von Alfredo Kraus so eindrucksvoll repräsentiert wurde.

Der Luzerner Produktion von Gounods «Roméo et Juliette» bringt das manchen Vorteil. Natürlich ist der Enthusiasmus der ersten Liebe spürbar, gewiss geht die Verzweiflung über den unglücklichen Ausgang des glücklichen Aufbruchs direkt unter die Haut – aber ihren besonderen Zug erhält die Luzerner Juliette durch das Zarte, das Scheue, die Innigkeit, die Regula Mühlemann der Partie entlockt. Sie bildet damit den perfekten Gegensatz zu dem in italienischer Manier stemmenden Tenor von Diego Silva, der seinem Roméo etwas unerhört Drängendes verleiht. Das szenische Potential, das sich aus dem vokalen Kontrast ergibt, hat der junge Regisseur Vincent Huguet geschickt zu nutzen gewusst. Er nimmt ihn insofern auf, als er der Liebe über die Grenzen eine Familienfehde hinaus die in ihren Normen und ihren Ansprüchen erstarrte Gesellschaft der Capulets und der Montaigus gegenüberstellt. Zeugnis davon bieten die allgegenwärtigen Gipsstatuen, mit denen die Bühnenbildnerin Aurélie Maestre die Szenen strukturiert, vor allem aber die körperlichen Konfrontationen; die Kampfszene zwischen Mercutio (Bernt Ola Volungholen) und Tybalt (Robert Maszl) wie jene zwischen Tybalt und Roméo entwickeln jedenfalls gewaltige Sprengkraft.

Ihre Energie gewinnt die Produktion nicht zuletzt durch die sorgfältig ausgestalteten Figuren, die das Ensemble rund um die beiden Protagonisten bilden. Jason Cox versieht den Chef des Hauses Capulet mit herrischen Zügen, als Frère Laurent zeigt Vuyani Mlinde einen Geistlichen, der das Lavieren beherrscht, aber doch eindeutig handelt, während Flurin Caduff der undankbaren Rolle des Grafen Pâris mit allem Sinn für Komik begegnet und Abigail Levis aus dem jungen Stéphano einen tollen Feuerkopf macht. Bisweilen schiesst der Regisseur übers Ziel hinaus, etwa in der eröffnenden Ballszene, die mit ihrer zu vollen Bühne und den zu überdrehten Bewegungsmustern provinziell wirkt, oder im Finale, wo des Ringens und Stöhnens zu viel ist. Das ist Oper von gestern; in ihrem Grundzug bleibt die Deutung aber absolut heutig.