Musiktheater im Berner Kubus

 

Foto: © Philipp ZInniker
Yun-Leong Lee (Hanako) und Claude Eichenberger (Jitsuko) im Berner Kubus / Bild Philipp Zinniker, Konzert Theater Bern

 

Peter Hagmann

Sinn und Vergeblichkeit des Wartens

Das Stadttheater Bern zeigt «Hanjo» von Toshio Hosokawa

 

In Bern wird gewartet. Das Stadttheater zum Beispiel wartet auf den Abschluss der Instandstellung seines Stammsitzes am Kornhausplatz – und es wartet durchaus aktiv. Für die Zeit, da das Haus der Bauarbeiten wegen nicht benutzbar ist, also noch bis Anfang der kommenden Spielzeit, hat Konzert Theater Bern den Kubus errichtet, eine provisorische Spielstätte auf dem Waisenhausplatz, sozusagen gegenüber dem Bundeshaus. Verhüllt mit einer Plane, die einem raffiniert die Fassade der Stadttheaters vorspiegelt, bietet der Kubus einen überraschenden Blickfang. Im Inneren herrschen etwas Enge und eine wenig ausgeklügelte Akustik, zugleich aber eine einladende Geste und sympathische Funktionalität. Ausserdem wurde für die Zeit im Kubus ein spezielles Programm entwickelt, das die Chance der Ausquartierung nutzt und eine subtile Öffnung erzeugt. Geschickt nimmt das von Stephan Märki geleitete Berner Ensemble die Herausforderung der speziellen räumlichen Situation an und bietet Momente quirliger Lebendigkeit. Auch und gerade bei «Hanjo», der zweiten Oper des 1955 geborenen Japaners Toshio Hosokawa.

Allerdings, auch in «Hanjo» wird gewartet; bei dem 2004 in Aix-en-Provence uraufgeführten Einakter vergeht die Zeit in ritueller Langsamkeit. Für das von ihm selbst auf Englisch eingerichtete Libretto griff Hosokawa auf ein Stück des modernen Nō-Theaters von Yukio Mishima zurück. Der Text spricht vom Warten und seiner Vergeblichkeit wie vom Schauen und dem Nicht-Sehen-Können. Die Geisha Hanako wartet auf ihren Kunden Yoshio, und wie der nach langer Zeit endlich erscheint, schaut sie ihn zwar an, vermag ihn aber nicht als den zu sehen, den sie ersehnt. Das lange Warten hat ihren Bezug zur Realität zerstört. So weist sie ihn zurück, um weiterhin zum Bahnhof gehen, auf ihrer Holzbank Platz nehmen und die Gesichter der Ankommenden studieren zu können. Und die Künstlerin Jitsuko, welche die Geisha in ihre Obhut nahm, wird sie dabei weiterhin beobachten. Aus der sicheren Distanz der Nicht-Beziehung.

Hosokawas Partitur fasst das eindringlich in einen Klang, der sich nicht fernöstlichen Idiomen anbiedert, der vielmehr mit den Mitteln des herkömmlich besetzten, durch Schlagwerk ergänzten europäischen Orchesters arbeitet. Zugleich aber liegt Hosokawas Musik eine ganz eigenartige Langsamkeit zugrunde, eine Art bewegten Stillstands. Der Dirigent Kevin John Edusei, dem das Berner Symphonieorchester sensibel folgt, setzt es mit allem Sinn für Ruhe, weiten Atem und das Vibrieren langgezogener Lineaturen um. Wenn es hier brodelt, dann unter der Oberfläche – das lassen auch die beiden Sängerinnen des Abends hören. Mit ihrem obertonreichen, körperhaften Sopran zeichnet Yun-Leong Lee die Geisha als ebenso willensstarke wie unterwürfige Frau, während Claude Eichenberger mit ihrem ausschwingenden Mezzosopran die Künstlerin zu einer geheimnisvoll rätselhaften Figur macht. Konkreter und dramatischer wird Robin Adams als der erst fordernde und dann gebrochene Mann Yoshio.

Dem spiegelnd Flächigen der musikalischen Seite begegnet die junge Regisseurin Florentine Klepper mit einem energiegeladenen szenischen Setting – was zu Spannungen eigener Art führt. Weil hier nicht nur gewartet, sondern auch fast voyeuristisch beobachtet wird, macht sie aus der Künstlerin Jitsuko eine Performerin, die mit ihren Videokameras jederzeit zur Stelle ist. Die Bühne von Martina Segna weist darum ein Studio mit einer Leinwand und eine weitere Projektionsfläche auf, die das Geschehen, vor allem die Gesichter, nah heranzoomt und vergrössert sichtbar macht – die Videokunst von Heta Multanen sorgt da für einigen Effekt. Als Ansatz hat das seinen Reiz, in der Durchführung verselbständigt sich die Videokunst aber so weit, dass sie die Wahrnehmung zu dominieren und das Musikalische zu beeinträchtigen droht. Was das Theater zum Theater macht, der einzelne Akteur nämlich, bleibt dagegen seltsam unterbelichtet. Weder erhalten die drei Figuren von «Hanjo» Fleisch und Blut, noch sind sie, was die Verbindung zum Nō-Theater vielleicht nahelegte, stilisiert ausgearbeitet, sie verbleiben bühnensprachlich vielmehr im Ungefähren. Womit wir unter dem Strich wieder beim guten alten Ausstattungstheater wären.

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