Kammermusik ist in

 

Peter Hagmann

Regel mit Ausnahme

Konzerte und mehr bei der Gesellschaft für Kammermusik Basel

 

Altehrwürdig ist sie, die Gesellschaft für Kammermusik Basel, bald neunzig Jahre alt. Der Altersdurchschnitt im Publikum ist es ebenfalls (und er wurde durch den Besuch aus Zürich nicht eben angehoben). Nun gilt Kammermusik, das Streichquartett zumal, als etwas für ältere Menschen. Ist das schlimm? Oder anders gefragt: Muss es so sein? Läuft da nicht vielleicht etwas ungut in der Veranstaltung und Promotion dieser doch so fabelhaften Konzerte?

Im Grunde genommen erleben wir nämlich eine hohe Zeit der Kammermusik. Wenn in der Tonhalle Zürich Julia Fischer und Igor Levit die Violinsonaten Beethovens an drei Abenden en suite vortragen, ist der Saal rappelvoll. Natürlich, Julia Fischer ist ein Jungstar unter den Geigerinnen unserer Tage, und Igor Levit wird zu Recht als äusserst vielversprechender Geheimtip gehandelt. Aber auch unterhalb der Stratosphäre sind Leben und Bewegung auszumachen. Nicht zu übersehen ist, dass es heute, da so viele hervorragende junge Musiker von den Ausbildungsstätten abgehen, da es auf dem Markt aber an Beschäftigungsmöglichkeiten fehlt, eine grosse Zahl junger kammermusikalischer Ensembles gibt, die zum Teil mit fabelhaften Darbietungen aufwarten. Eben erst hörte ich im LAC, dem neuen Kulturzentrum in Lugano, das Cuarteto Casals, das unter nicht eben einfachen Raumverhältnissen seinen einzigartigen Standard vorführte – übrigens vor einem ausgesprochen jungen Publikum. Und auf dem Tisch liegt eine neue CD des London Haydn Quartet, das die Musik seines Namenspatrons im Geist der historisch informierten Aufführungspraxis zum Klingen bringt, also zum Beispiel auf Instrumenten mit reinen Darmsaiten und mit den entsprechenden Bögen.

Nun muss derlei bei der Gesellschaft für Kammermusik Basel nicht vorgetragen werden. Mit dem Geiger und Musik-Manager Laurentius Bonitz ist dort ein Profi erster Güte am Werk. Seit er 2010 die künstlerische Leitung der beiden Kammermusikreihen mit insgesamt zwölf Konzerten im Hans-Huber-Saal des Basler Stadtcasinos übernommen hat, manifestieren sich Veränderungen – die im Kreis der potentiellen Interessenten jedoch noch nicht ausreichend bekannt scheinen. Die Grundprinzipien der Programmgestaltung sind dieselben geblieben; die Schwerpunkte liegen beim Streichquartett, beim Klaviertrio und beim Liederabend. Aber inzwischen werden deutliche inhaltliche Akzente gesetzt: Kontext heisst der Leitbegriff. Darum gibt es noch bis Ende dieser Saison ein hochinteressantes Projekt, in dessen Rahmen Kolja Blacher (Violine), Clemens Hagen (Violoncello) und Kirill Gerstein (Klavier) das kammermusikalische Schaffen Beethovens im Bereich von Duo und Trio in chronologischem Ablauf präsentieren und so stilistische Entwicklungszüge erkennen lassen.

Auch die neue Musik hat ihren Ort in diesen kammermusikalischen Veranstaltungen Basels. Vergangene Saison wurde mit dem achten Streichquartett von Georg Friedrich Haas ein ebenso vielschichtiges wie fassliches Werk aus unserer Zeit vorgestellt. Und dieser Saison erhielt der von Zürich aus wirkende Cellist und Komponist Alfred Zimmerlin das Wort. Er hat sein viertes Streichquartett im Auftrag der Gesellschaft für Kammermusik Basel komponiert; und zur Uraufführung gebracht wurde es im Rahmen einer Hommage für den seit langem in Basel lebenden Berner Jürg Wyttenbach vom Arditti Quartet – auch nicht übel. Ebenso wenig fehlt es an Auftritten jüngerer Ensembles. Zudem vergibt die Gesellschaft für Kammermusik in Zusammenarbeit mit der August Pickhardt-Stiftung einen Förderpreis für junge Ensembles, mit dem das Gagliano-Trio aus Zürich ausgezeichnet worden ist, weshalb es in dieser Spielzeit seinen Abend bekam. Eben erst ist dem Pacific Quartet Vienna ein weiteres junges Streichquartett ausgezeichnet worden; es wird sich in der kommenden Spielzeit in Basel vorstellen.

Sehr erweitert worden ist die multimediale Präsenz der Konzertreihe. Auf dem Netz verfügbar ist zum Beispiel eine handliche Datenbank, in der die Konzerte der Gesellschaft für Kammermusik Basel verzeichnet sind und in der sich nach Komponisten wie Interpreten recherchieren lässt. Da kommt denn auch die reiche Geschichte dieses Vereins ans Licht: die Präsenz des Busch-Quartetts mit dem Pianisten Rudolf Serkin vor dem Zweiten Weltkrieg, das Wirken des Végh-Quartetts ab 1950, die Debüts des LaSalle Quartet oder des Alban-Berg-Quartetts – bis hin zur Uraufführung des vierten Streichquartetts von Brian Ferneyhough durch das Arditti Quartet im Herbst 1990. Dazu kommt nun aber die CD-Reihe, die Laurentius Bonitz unter dem Kürzel «bnm medien» (Bonitz Music Network) führt. Sie enthält Mitschnitte der Konzerte im Basler Stadtcasino – aber nicht nur. So lässt sich nachhören, wie das sensationelle amerikanische Jack Quartet das neuen Streichquartett von Haas aus der Taufe gehoben hat, lässt sich der Auftritt des jungen Galathea-Quartetts mit Werken von Brahms und Rudolf Kelterborn nachvollziehen, gibt es aber auch Quartette der Zweiten Wiener Schule mit den Ardittis und, für das zweite Streichquartett Arnold Schönbergs, der Sopranistin Franziska Hirzel. Bei all diesen Produktionen besteht die Besonderheit darin, dass die Musik sowohl ab Compact Disc als auch, und dann in verbesserter Audio-Qualität, ab Blu Ray Disc zu hören ist. Da ist die altehrwürdige Gesellschaft für Kammermusik ganz auf der Höhe der Zeit.

Dann aber ein Abend wie der jüngste. Ein exquisites Programm mit lauter Raritäten: mit einem Doppelquartett von Louis Spohr – einem Stück, in dem sich zwei Streichquartette gegenübersitzen –, mit den «Metamorphosen» von Richard Strauss in einer frühen Fassung für sieben Streicher und dem Streichoktett von Max Bruch, dem letzten Werk dieses eigenartigen Spätlings. Das stellte einen anregenden Abend mit romantischen Köstlichkeiten in Aussicht. Genau das hätte es werden können, hätten sich die Herren des Berliner Athenäum-Quartetts (Laurentius Dinca, Stephan Schulze, Walter Küssner, Christoph Igelbrink) und des Beethoven-Quartetts Basel (Mátyás Bartha, Laurentius Bonitz, Vahagn Aristakesyan, Carlos Conrad) sowie der Kontrabassist Botond Kostyak eine Stunde privater Vorbereitung und eine Probe mehr geleistet. Dann wäre vielleicht das technische wie gestalterische Niveau erreicht worden, das in diesen Konzerten gewöhnlich herrscht. Ausnahmen kann es geben; sie bestätigen bekanntlich die Regel.

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