Mozarts «Gran Partita» – prachtvoll philharmonisch

 

Von Peter Hagmann

 

Bisweilen, gerade in diesen nicht eben einfachen Zeiten, stellt sich das Bedürfnis nach Seelenbalsam ein. Da ist die neue Aufnahme der «Gran Partita» Wolfgang Amadeus Mozarts genau das Richtige. Zumal sich die zwölf Bläser des Amsterdamer Concertgebouw Orchestra rund um den Solo-Oboisten Alexei Ogrintchouk zusammen mit dem Kontrabassisten Olivier Thiery ihren Aufgaben mit einer Lust sondergleichen hingeben. Sie pflegen den philharmonischen Ton in voller Pracht (und nehmen die Tempi dementsprechend gemessen), lassen zugleich aber jede Faser in der subtilen Faktur dieser Musik aufleuchten. Das einleitende Allegro zeigt es in exemplarischer Weise; auf Anhieb zieht es einen in das musikalische Geschehen hinein, und es tut das so sehr, dass man die gut fünfzig Minuten währende Serenade nicht mehr verlässt. Weich und füllig, mit einem kleinen Bauch in der Mitte, betritt der eröffnende B-Dur-Akkord die Bühne. Er bildet den Einstieg in eine harmonische Folge, die einem Signal gleich die Aufmerksamkeit des Publikums bündelt – drei Mal, wie bei den «trois coups» im alten französischen Theater. Auf das Signal folgt jeweils ein kleines Klarinettensolo, das von Olivier Patey mit ausgeprägtem musikalischem Gespür ausgestaltet wird – und dann beginnen sich die Stimmen, angeführt von der ersten Oboe, vielfach zu verschlingen. Doch das ist nur der Anfang, denn auf die Einleitung folgt der eigentliche Kopfsatz – ein Molto allegro, das vom Ensemble frisch und knackig genommen wird. Wie sich Sorgfalt und Spontaneität in dieser Darbietung der «Gran Partita» verbinden, erweist das Menuett des zweiten Satzes, dessen Dreiertakt mitreissend geformt wird. Dann aber ist es soweit, dann erklingt das berührende Adagio, das durch «Amadeus», den Mozart-Film von Miloš Forman aus dem Jahre 1984, zu Weltruhm gekommen ist. Hier darf ruhig auf die Wiederholungstaste gedrückt werden, den Satz kann man gut und gerne mehrere Male hintereinander anhören. Der gerundete, herrlich ausbalancierte Ton, das ruhige, auf den Atem der Ensemblemitglieder abgestimmte Ausschwingen, die belebte Ausbildung der Phrasen, all das macht dieses Adagio zum frühen Höhepunkt des Werks. Nicht zu vergessen ist freilich das Thema mit seinen sechs Variationen, in denen die gestalterische Phantasie keine Grenzen zu kennen scheint. Das Ensemble um Alexei Ogrintchouk führt vor, dass das Concertgebouw-Orchester absolut am Leben ist, obwohl es seit der unglücklichen, durch einen abrupten Bruch beendeten Zeit mit Daniele Gatti, nämlich seit Mitte 2018, auf einen Chefdirigenten wartet.

Wolfgang Amadeus Mozart: Serenade Nr. 10 in B-Dur KV 361 («Gran Partita»). Mitglieder des Royal Concertgebouw Orchestra, Alexei Ogrintchouk (Oboe, Leitung). BIS 2463 (CD, Aufnahme 2019, Publikation 2020).

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