Roland Hermann – eine Erinnerung

Bei ihm kam vor dem Singen stets das Denken. Damit hat der Bariton Roland Hermann gut Karriere gemacht. Ein Blick auf einige Aufnahmen mag das veranschaulichen.

 

Von Peter Hagmann

 

Er gehörte ganz einfach dazu. In manchem Konzert tauchte er als Zuhörer lauf – trotz dem sogenannten Ruhestand hatte er das Interesse nicht verloren. Und er war unübersehbar. Wenn er einen Raum betrat, gehörte er ihm – dem hochgewachsenen Bariton mit seiner auch im Sprechen unverkennbaren Stimme und einer Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen konnte. Im Gespräch blieb er aber vollkommen unprätentiös: freundlich, kollegial, kommunikativ, nicht selten auch ironisch. Jetzt hat uns Roland Hermann verlassen. Am 17. November ist er, 84 Jahre alt, unerwartet in Zürich gestorben. Es ist echt traurig.

Ein typischer Sänger war Roland Hermann nicht, er gehörte zu den Ausnahmeerscheinungen der Branche. Vor dem Singen kam bei ihm das Denken – wie bei Dietrich Fischer-Dieskau oder Christian Gerhaher. Zu hören war das etwa in der ausgesprochen fasslichen Deklamation; sie liess spüren, dass bei ihm der vokale Ton nicht als ein Ton an sich, sondern vielmehr als Bedeutungsträger erscheinen sollte – Singen, um es wieder einmal zu sagen, als eine höhere Form des Sprechens. Die geistige Agilität, die Neugier auch, sie führten bei Roland Hermann zu einem ausgesprochen weit gespannten Repertoire. Bei Haydns «Schöpfung» mitzuwirken oder bei einer Aufführung der Neunten Beethovens war ihm so selbstverständlich wie das Engagement für das Unbekannte, für das Randständige, für das Neue.

Kein Wunder. Vor der Gesangsausbildung hat Roland Hermann Anglistik studiert, das Singen trat vergleichsweise spät in sein Leben. Früh kam er dagegen nach Zürich: 1968, ein Jahr nach seine Debüt in Trier, trat er auf Einladung des damaligen Chefdirigenten Ferdinand Leitner hin ins Ensemble des Opernhauses Zürich ein. Er blieb ihm treu, bis weit in die neunziger Jahre hinein – als er längst vom Bühnenkünstler zum Pädagogen geworden war und eine Professur an der Musikhochschule Karlsruhe übernommen hatte. In Zürich und darüber hinaus machte er sich einen Namen als Spezialist der zu grösstenteils vergessenen deutschen Romantik. Werktitel wie «Der Vampyr» oder «Hans Heiling» (von Heinrich Marschner), wie «Genoveva» (von Robert Schumann) oder «Der Evangelimann» (von Wilhelm Kienzl) tauchen in diesem Zusammenhang auf. Vor den Grosswerken des Repertoires machte er deswegen keineswegs Halt. 1976 beteiligte er sich etwa an einer in der Deutschen Oper Berlin für die Deutsche Grammophon erstellten Produktion von Wagners «Meistersingern» – dies unter der Leitung von Eugen Jochum und an der Seite von Grössen wie Plácido Domingo (Stolzing) oder Dietrich Fischer-Dieskau (Sachs). Roland Hermann, damals vierzig, gab einen feurig und selbstbewusst argumentierenden Beckmesser, wobei er sich stimmlich unerhört ins Zeug legte, ohne dass darunter die Verständlichkeit zu leiden hatte.

Roland Hermann war auch dabei, als im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts die von den Nationalsozialisten verdrängten Komponisten ans Licht geholt wurden. Besonders eng war damals die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Gerd Albrecht, unter dessen Leitung er sich um den «Wozzeck» von Manfred Gurlitt oder den «Zerbrochenen Krug» von Victor Ullmann verdient gemacht hat. Eindrucksvoll hier sein Auftritt im «Kreidekreis» (Capriccio), der letzten Oper Alexander Zemlinskys, die 1933 am damaligen Stadttheater Zürich aus der Taufe gehoben wurde. Roland Hermann ist hier der reiche Herr Ma. «Mein Name ist Ma. Ganz einfach: Ma» – das muss man gehört haben. Es ist nämlich nicht gesungen, bloss gesprochen – und welche Intensität Roland Hermann, ohne dass er die Stimme erhöbe, in diese Passage einfliessen lässt, wie er zum Beispiel bei der Verauktionierung der Jungfrau Haitang so beiläufig wie bedrohlich den höchsten Preis bietet, ist unüberbietbar. Geradezu unmerklich verwandelt sich dann der Sprecher in den Sänger – einen Sänger, der mit seinem samten gerundeten Timbre den transparenten, zerbrechlichen Ton Zemlinskys trefflich meistert.

Weniger bekannt ist die Rolle Roland Hermanns als Protagonist der Moderne. «Doktor Faust» von Ferruccio Busoni, «Karl V.» von Ernst Krenek, Hans Werner Henzes «Prinz von Homburg», «Ein Engel kommt nach Babylon» und «Der Kirschgarten» von Rudolf Kelterborn, «Der Meister und Margarita» von York Höller – solche Partituren gehörten für ihn zum Kern seiner Tätigkeit. Aufsehen erregt hat er zum Beispiel bei der Uraufführung von «…den 24.xii.1931», den «Verstümmelten Nachrichten», die sich Mauricio Kagel zu seinem sechzigsten Geburtstag 1991 geschenkt hat. Das war eine Gaudi damals an den Donaueschinger Musiktagen. Der Komponist selbst leitete das Ensemble Modern, Roland Hermann lief zu grosser Form auf – dokumentiert worden ist es vom Label Montaigne.

Grundlage des Stücks bilden Annoncen und Nachrichten aus Tageszeitungen vom 24. Dezember 1931, die Vertonungen geben sich teils zugespitzt ironisch, teils grotesk in ihrem übersteigerten Pathos. Den Höhepunkt markiert gewiss das Inserat aus dem «Völkischen Beobachter», das die Zigarettenmarke für den tüchtigen Parteisoldaten empfiehlt: «Der Nationalsozialist raucht “Parole”», lautet der lapidare Satz, der hier zu einer fünf Minuten langen Szene wird. Von weitem hört man sie herantorkeln, die johlende Horde der Sturzbetrunkenen, die den Nationalsozialisten immer und immer wieder anrufen, um ihm am Schluss in einem knallhart hingelegten Satz die Zigarettenmarke aufzutischen. Mauricio Kagel steckte damals seine beiden Hände in Stiefel, die er nach der Art eines schrägen Marsches über einen kleinen Kiesplatz auf dem Tischchen neben dem Dirigentenpult schlurfen liess. Und Roland Hermann liess die Episode mit seiner unnachahmlichen Stimmkunst in einer Art zur Szene werden, dass einem das Lachen im Halse stecken blieb. Singen war bei ihm eine ganz und gar existentielle Angelegenheit.

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