Wenn weniger mehr wird

«Herzog Blaubarts Burg» von Bartók in Biel

 

Von Peter Hagmann

 

Die Burg als Gefängnis: Katerina Hebelkova (Judith) und Mischa Schelomianski (Blaubart) in Biel / Bild Konstantin Nazlamov, Theater-Orchester Biel-Solothurn

Das Stadttheater Biel ist ein Ort des Besonderen. Nicht nur, weil es sich bei der Institution im Verbund von Theater-Orchester Biel-Solothurn um das zweifellos kleinste Mehrspartenhaus mit voller Ausrüstung handelt, sondern auch, und vor allem, des künstlerischen Profils wegen. Der Intendant des Hauses, der Opernregisseur Dieter Kaegi, ist immer wieder für eine Überraschung gut. Neben einer «Cenerentola» und einer «Fille du régiment» als Stützen der Buchhaltung wartet er mit Randerscheinungen wie etwa «Radames» von Peter Eötvös, «Lohengrin» von Salvatore Sciarrino oder, besonders erheiternd, «La notte di un nevrastenico» von Nino Rota auf. Jetzt folgt – ganz allein, ohne die sonst übliche Ergänzung durch ein zweites Werk – der Einakter «Herzog Blaubarts Burg» von Béla Bartók. Wie das, ausgerechnet dieses Stück mit seiner doch recht üppigen Orchesterbesetzung?

In der Tat. Kaegi, ein unermüdlicher Schatzgräber, ist auf den deutschen Dirigenten und Komponisten Eberhard Kloke gestossen, der eine ganze Reihe Opern mit grosser Orchesterbesetzung für kleinere Häuser eingerichtet hat. Eben erst ist in Wien, im Theater an der Wien, «Salome» von Richard Strauss in dieser Weise herausgekommen, seit 2019 läuft im Mainfranken Theater Würzburg das Projekt einer Aufführung von Richard Wagners «Ring des Nibelungen». Ihren Anfang nahm diese Tätigkeit vor zehn Jahren mit «Herzog Blaubarts Burg». Inzwischen kamen grosse Opern wie «Wozzeck» von Alban Berg, «Pique Dame» von Peter Tschaikowsky oder «Boris Godunow» von Modest Mussorgsky dazu. Daneben gibt es in dem gegen einhundert Nummern umfassenden Werkverzeichnis Klokes auch das Gegenteil der Reduktion, nämlich die Erweiterung, zum Beispiel jene eines Klavierwerks wie der «Mondschein-Sonate» Ludwig van Beethovens zur «Mondschein-Sinfonie» für Orchester.

Das alles nährt sich natürlich aus dem Handwerk des Dirigenten, der in seiner Arbeit jeweils tief in die musikalischen Strukturen einzudringen gewohnt ist. Zugleich wird hier die spätromantische Tradition der Bearbeitung aufgenommen, wie sie Franz Liszt und Ferruccio Busoni, später auch Luciano Berio gepflegt haben. Und nicht zuletzt scheint hier die Idee von der «komponierten Interpretation» auf, die der Dirigent und Komponist Hans Zender mit seinem 1993 uraufgeführten Werk «Schuberts Winterreise» vorangetrieben hat. Tatsächlich betont Eberhard Kloke, dass es bei einer Einrichtung wie jener von «Herzog Blaubarts Burg» nicht nur darum gehe, die Anzahl der von der Partitur geforderten Orchestermusiker von ursprünglich 107 auf 25 Mitglieder zu reduzieren und somit die Aufführung des Werks in kleineren Häusern zu ermöglichen. Vielmehr stelle seine Bearbeitung eine an der Substanz des Notentextes durchgeführte Interpretation dar, indem im aufgelichteten Klangbild durch bestimmte Beleuchtungen neue Hörperspektiven geschaffen werden sollen.

Das war bei der Bieler Premiere, einer Uraufführung, ganz klar wahrzunehmen. Die Orchesterbesetzung umfasst bei Kloke neun Holzbläser, vier Blechbläser, Harfe, zwei Tasteninstrumente und Schlagzeug sowie ein doppelt besetztes Streichquintett mit allerdings nur einem einzigen Kontrabass. In solcher instrumentaler Gewandung erhält Bartóks Musik eine ganz eigene Schärfe. «Herzog Blaubarts Burg», so der Eindruck, wird mit einem Mal zu jenem moderne Stück, als das der Einakter 1911 komponiert worden ist. Was nämlich durch die Einbettung in den philharmonischen Sound – Bartók verlangt in den Streichern eine Sechzehner-Besetzung – gemildert wird, tritt in der Fassung Klokes ungeschönt heraus. Selbst die mächtige Akkordfolge, die Judiths Blick in das weite Land aus dem Besitz Blaubarts begleitet, liess in Biel fatale Risse hören, denn der Klang der elektronischen Orgel, die (übrigens schon bei Bartók) der Füllung dient, trug durchaus gebrochene Züge. Was auf der anderen Seite ein einzelner Kontrabass oder eine Kontrabassklarinette an fundamentaler Wirkung zu erzeugen vermag, auch das war eindrucksvoll zu erleben. Dies übrigens nicht zuletzt dank dem Engagement des Sinfonieorchesters Biel-Solothurn und seines Chefdirigenten Kaspar Zehnder.

Was man zu hören bekam, das spiegelte sich in mannigfacher Weise auf der Bühne. Dorthin hat der Ausstatter Francis O’Connor einen heruntergekommenen Riesenwürfel gestellt, der sich um die eigene Achse dreht und hier sein rostiges Aussenleben, dort eine schäbige Kammer sehen lässt. Dieter Kaegi, der Regisseur des Abends, bringt «Herzog Blaubarts Burg» nicht als ein Spiel voller erotischer Spannung zwischen einem vom Leben gezeichneten Adligen und einer jungen Frau auf die Bühne, sondern in jener schockierenden Grausamkeit, die der Geschichte zugrunde liegt. Natürlich bittet Blaubart immer wieder um Liebe, um Küsse, aber viel deutlicher zeigt der mit seiner Vergangenheit im Unreinen befindliche Mann, dass er Oberwasser zu bewahren sucht – mit seinem sonoren, bisweilen kantig aufbrausenden Ton lässt Mischa Schelomianski keinen Zweifel daran. Judith, die phänomenale Katerina Hebelkova, wird von ihm Isolierhaft gehalten. Sie vermag zwar ihrem Peiniger die Schlüssel abzuringen und blickt endlich in die letzte Kammer mit den verblichenen Frauen Blaubarts, aber gut bekommt ihr das nicht. Die Kammern übrigens, sie sind keine Kammern, sondern szenische Metaphern: Tonbandgeräte mit Erinnerungen, eine verschimmelte Dusche als Tränenmeer – eine ebenso sinnvolle wie wirksame Lösung angesichts der Platzverhältnisse auf der Bieler Bühne. Gelungen auch der Einfall, den Sprecher des Prologs (Christian Manuel Oliveira) als stummen Beobachter und heimlichen Erzähler am Geschehen teilnehmen zu lassen. Ein kurzer, aber heftiger Abend.

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